Riot and Frost

I thought I could see stars out of my window
But it turns out that it was light


Bild von Michi S auf Pixabay
Liebe Leserin, lieber Leser, ich werde Sie in Zukunft mit einer Kolumne behelligen, in der ich Ihnen junge Musikerinnen und Musiker vorstelle, eher unbekannte Talente. Wenn es für mich gut läuft, kennen Sie sie noch nicht und werden sie nach dem Lesen der Artikel und dem Klicken auf die Links lieben.

Ich kann Ihnen schon jetzt verraten, dass sich die ersten zehn Kolumnen ausschließlich um europäische Künstlerinnen drehen werden.

Im ersten Artikel nun stelle ich Ihnen eine junge Sängerin aus Großbritannien vor.

Schwimmen im Klangmeer

Ich stieß auf Cody Frost vor gut sechs Jahren: Ich lasse mich oft durch die musikalischen Meere von youtube und anderen treiben und suche nach Musikerinnen und Musikern, die ich nicht kenne und die sich kennenzulernen lohnt; ich stöbere nach ihren Interpretationen von bekannten Stücken, und natürlich suche ich auch nach ihren eigenen Kompositionen. Beim Schwimmen im Klangmeer also entdeckte ich Cody Frosts Interpretation von „Bang Bang“.

 

Mich begeisterte die Exegese des Stücks, weil sie jeder Anlehnung an eine Tradition fern war. Keine Anleihe an Nancy Sinatra oder Cher war zu erhören. Frost nahm sich das Stück vor und machte es zu dem ihren. Es war und ist großartig. Ganz zurückhaltend in der ersten Strophe, so als würde sie eine Tatsache mitzuteilen haben, aber nicht wissen, ob wir überhaupt die richtigen Adressaten wären und dann immer lauter, verzweifelter, aggressiver. Vor mir, eingebunkert ins Video, saß eine junge, punkige, riotgirrrlartige Frau mit einem Nasenring, der den Namen auch verdiente, und warf mir ein Stück Seele zu. Das nämlich ist, für mich zumindest, der Unterschied von Handwerk zu Kunst: Dass mit dem Werkstück auch die Seele, das Herzblut dessen geliefert wird, der es geschaffen hat.

Cody Frost war ist nicht nur eine interpretierende Künstlerin, sie ist auch eine Erholung. Eine Erholung von der artifiziellen Jammerlappigkeit, die sich schon damals und leider immer noch, viel zu häufig Bahn bricht. Wenn Sie nicht wissen, was ich meine, hören Sie sich Elif an oder Lina Maly. Dieses Leiden mit der Stimme, diese überzogene Wehleidigkeit, diese Art von Jammer war bei Cody Frost eben nicht zu finden. Da war das Leiden ganz authentisch.

Ich verlor sie dann ein wenig aus den Augen, und ich wurde an sie erst wieder erinnert, als sie ein Jahr später in der fünften Staffel von „The Voice UK“ den dritten Platz belegte. Ich halte nicht viel von Shows dieser Art, aber manchmal werden aus ihnen unerwartete Talentschmieden. Dann, wenn auch Sängerinnen und Sänger dabei sind, die nicht die leicht verwertbaren Stimmen ohne Wiederkennungsfaktor haben, die üblicherweise in die Semifinals und Finals kommen.

Was Cody dort sang, ist nicht weiter von Belang, um ihr Schaffen zu betrachten.

Wichtiger sind ihre neuen Sachen. Durch die Pandemie sind einige großartige Coverversionen entstanden, z.B. von Bronski Beat, aber auch Eigenes.

Eindrucksvoll, und vermutlich der Türöffner für die Zukunft ist, „(I should) take better care“.

 

Eine wunderschöne Ballade, die Frost gleich in mehreren Videos eingesungen hat. Mein Liebenlingsfilmchen ist das unten verlinkte. Das Sehnsuchtsliebeslied ist weder ein leichtfertig hingeworfenes Konstrukt, noch eindimensional. Es unterscheidet sich darum von der übergehörten Massenware. „I’m not fighting personal Demons // these are just Demons we all have to face“, heißt es da und diese beiden Zeilen relativen das eigene Liebesleid zu etwas, das eben vorkommt, auch wenn es einen dämonischen Charakter hat. Die Zeilen „I am holding your Hand // and you’re not holding mine“ geben auf kleinstem Raum genau das Gefühl wieder, das einen jeden ergreift, wenn das Gegenüber noch da ist, aber schon unerreichbar weit entfernt.

Auch „Stomachaches“, das einen viel aggressiveren Klang hat, ist in diesem Jahr entstanden und beschäftigt sich wiederum mit der persönlichen Entwicklung, ja ist ein kleiner Coming-of-Age-Roman, aber auch eine Erzählung über das Abgesondertsein.

Bugs on roof tops

In the floor

Slam your head into a door

No one knows it

Can’t say why

If they ask me

Tell a lie

heißt es da.

Homo Clausus

Und fraglos gibt der Text dieses Songs die Verlorenheit des Individuums in der Welt wieder. Das, was der Soziologe Norbert Elias mit dem Begriff des Homo Clausus beschreibt, des in seinem Inneren verkapselten Menschen, der in die Außenwelt nicht mehr gelangen kann, ist auch in den Liedern von Cody Frost präsent. Und sie setzt diese Behandlung der Verlorenheit als poetisches Stück Musik beeindruckend um.

Für Cody Frost gilt, was auch für die gilt, über die ich in den weiteren Kolumnen schreiben werde: Tut was Ihr wollt, tut im Zweifel auch das, was Ihr nicht sollt. Aber um Himmelswillen, hört nicht auf zu singen, zu komponieren, zu texten. Die Kunst braucht Euch. Und wir auch!

Neue EP (Orderlink) https://codyfrost.tmstor.es/

(Dort kann man auch Drucke von Ihr bestellen)

Offizielle Seite: http://codyfrostmusic.com/

Leander Sukov 18.10.21

Leander Sukov

Leander Sukov hat in Hamburg Volkswirtschaft studiert und war während des Studiums Geschäftsführer der Vereinigten Deutschen Studentenschaften. Bis zur Kanzlerschaft von Gerhard Schröder war er Mitglied der SPD. Er ist nun Mitglied der LINKEN. Sukov hat für eine Reihe von Printmedien als Theater- und Literaturkritiker gearbeitet und das Nachrichtenportal RedGlobe gegründet, welches er heute nicht mehr selbst betreibt. Er ist hauptberuflich Schriftsteller und der Verlagsleiter der Kulturmaschinen-Verlages. Zusammen mit anderen Journalisten und Autoren betreibt er die Rezensionswebsite Cultureglobe.de.

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