„Ork City“ vs. Deutscher Buchpreis

Die Buchpreiskandidaten brechen sich wieder derart einen ab, um als intellektuell wahrgenommen zu werden und bloß nicht zu unterhalten, dass es für die deutsche „E“-Literatur Zeit wäre, von einem einfachen Fantasy-Pageturner zu lernen, findet Literaturkolumnist Sören Heim.

Bild: Pixabay - Montage aus: https://pixabay.com/vectors/books-stack-education-reading-41930/ und https://pixabay.com/photos/fantasy-winter-ork-alien-mysticism-2635905/

„Ork City“ ist ein relativ einfacher Fantasyroman mit einem etwas überdurchschnittlich interessanten Thema. Ein „Fantasy Noir“, gewiss kein Meisterwerk, gewiss keine „höhere Literatur“. Aber ich kann zumindest sagen: Nach den ersten 10 Seiten wollte ich bis zum Ende des Buches lesen und ich habe mich trotz mehrerer Mit-den-Augen-roll-Momenten gut unterhalten gefühlt. Hier meine Rezension.

Bisher habe ich 15 Romane von der Longlist des diesjährigen Deutschen Buchpreises gelesen und dabei musste ich öfter an Ork City denken. Denn es waren erst zwei, mit gutem Willen vier KandidatInnen dabei, an denen ich ebenso viel Spaß hatte wie an einem Text, dem Preise für „ernste“ Literatur wahrscheinlich nicht mal nutzen würden, um sich den Hintern abzuwischen. Jetzt sagt bitte nicht, Preise hätten keine Hintern. Kennt ihr „Der Butt“ von Günter Grass nicht?

Gute Bücher sollen doch nicht unterhalten!

Einwand: „Aber richtig gute Bücher sollen doch keinen Spaß machen! Die sollen aufrütteln, verstören, das Bewusstsein erweitern. Vielleicht sogar abschrecken. Ich meine, wenn man wie Goldstein über den Holocaust schreibt, dann darf das doch keinen Spaß machen.“

Zugestanden. Aber wie eine Biografie aus der Wikipedia sollte sich das Ganze vielleicht auch nicht lesen. „Spaß haben“ oder „unterhalten werden“, das sind viel zu beschränkte Begriffe für das, was ein guter Roman mit Lesenden macht. Aber: Selbst die besten Romane zu den schrecklichsten Themen sollten etwas haben, das verhindert, dass man sie weglegen möchte. Oder: Wenn man sie weglegt, dann nur, weil man eigentlich weiterlesen möchte, aber nicht mehr kann, physisch und psychisch überfordert ist. Aber lang kann man sie dann doch nicht beiseite legen. Ork City hat mit einem spannungsreich und vor allem temporeich ausgeführten Plot immerhin das erste für sich. Vielen Deutscher-Buchpreis-Kandidaten in diesem Jahr fehlt sowohl Ersteres als auch Zweiteres. Hätte ich keine Rezension schreiben wollen, hätte ich die meisten Titel nicht zu Ende gelesen.

Ja, es gibt große literarische Meisterwerke, die sind sprachlich so komplex, da muss man sich durchaus durchkämpfen und sich womöglich für die erste Lektüre sogar Hilfe aus einem Online-Guide holen. Das heißt aber im Umkehrschluss nicht, dass, was sich anstrengend liest, deshalb schon ein großes Meisterwerk ist. Und die meisten „schwierigen“ Romane, die von Dauer sind, also nicht allein durch Pflichtlektüren an Unis lebendig bleiben, haben eben etwas, das sich festsetzt, das von Anfang an zeigt: Diese Arbeit wird sich lohnen. Der beklemmende Surrealismus Kafkas. Die musikalischen Sätze Joyces und Woolfs. Der groteske Witz Pynchons. Bei vielen Buchpreiskandidaten in diesem Jahr fehlt das. Felicitas Hoppe kommentiert in sperrigen Sätzen eine Aufführung der Nibelungen. Wirklich, das ist das ganze Buch. Hebbels Nibelungenstück und kritische Kommentare und In-Kontext-Setzungen dazu. Referate des wissenschaftlichen Standes, fiktive SchauspielerInnen-Interviews, politische Meinung. Ich habe mich schon recht breit darüber ausgelassen, was für einen schrecklichen Houellebecq-Verschnitt Heinz Strunk abgeliefert hat. Doch das Schockierendste an dem Text ist, dass das bei Weitem nicht der schwächste Buchpreis-Roman ist. So platt das Szenario, so ekelhaft die Hauptfigur – das Ganze erweckt zumindest so viel Interesse, dass die Chance recht gut steht, dass man, einmal angefangen, bis zum Ende weiterliest. Andere Texte… Nun ja. „Die nicht sterben“ von Dana Grigorcea etwa hat ein ganz interessantes Setting und viele faszinierende Ansätze. Aber von so einem simplen Page-Turner wie „Ork City“ hätte das Buch wirklich ein wenig darüber lernen können, wie man so etwas in eine Geschichte von einigem Zusammenhalt überführt. „Zu den Elefanten“ von Peter Karoshi ist das millionste „Vater und Sohn finden reisend zueinander“-Buch, in einer kunstwollenden Sprache, die teils Selbstparodie sein könnte. „Mein Lieblingstier heißt Winter“ von Ferdinand Schmalz ist sprachlich noch zwanghafter. Obwohl die Geschichte dazu kaum Anlass gibt, klingt es, als habe der Autor Grassens Geist beschworen. Das ist Sprachgebrauch, der aktiv das Lesen einer einfachen Geschichte erschwert. Mindestens drei Romane sind, was ich „Recherche-Romane“ nennen würde, eine verbreitete Distanz-Simulation, deren Grenzen und Probleme ich in der Besprechung von Monika Helfers „Vati“ ausführlicher anspreche, ebenso in einer älteren Besprechung von „Marschmusik“ mit Bezug auf den Neuen Dorf- bzw. Heimatroman.

Die gelungeneren Texte

Zugegeben, der Preis hat auch dieses Jahr wieder ein paar Treffer gelandet. „Vater und Ich“ ist eine gelungene dichte Erinnerung, „Der Himmel vor hundert Jahren“ ein sprachlich und formal überzeugender Dorfkosmos. „Drei Kameradinnen“ von Shida Bazyar dürfte das Publikum spalten, doch die Erzählperspektive ist gut konstruiert, wenn auch der Twist zum Schluss manchem zu dick aufgetragen sein mag. Und Sasha Marianna Salzmann verbindet mit „Im Menschen muss alles herrlich sein“ tatsächlich eine spannende Geschichte mit einem breiten und tiefen Blick auf Perestroika und Wende in der Ukraine und Deutschland. Aber sollte ein Preis, der immerhin mit dem Anspruch antritt, der wichtigste Preis für deutschsprachige Gegenwartsliteratur zu sein, auf der Longlist nicht eigentlich 20 Werke versammeln, die in allen Belangen besser sind als „Ork City“? Das müsste doch zu machen sein. Ist es aber wohl nicht. Tatsächlich würde ich nur 4 Titel dieses Jahr sicher höher einordnen als diesen 08/15 Fantasy Noir. Hier meine Rangliste nach dem „Will ich nochmal lesen bzw. abbrechen und was besseres Lesen“-Verfahren. Denn so viel „Unterhaltung“, dass man dranbleiben will, muss auch „hohe“ Literatur bieten. Um sich zu bilden/und oder sich die Leviten lesen zu lassen gibt es Kirchen und Schulen. Wo vorhanden – Rezensionen verlinkt.

1 Der Himmel vor hundert Jahren
auch 1 Im Menschen muss alles herrlich sein

3 Vater und Ich
4 Drei Kameradinnen

Ork City oder ein ähnlicher Pageturner,
den man trotz Schwächen auf jeden Fall zu Ende lesen will.

5 Eurotrash

6 Zu den Elefanten
7 Zandschower Kliniken
8 Vati
9 Die nicht sterben
10 Die Nibelungen
11 Besichtigung eines Unglücks

12 Strunk

13 Franzobl

14 Der versperrte Weg

15 Mein Lieblingstier heißt Winter

Sören Heim

Sören Heim ist Journalist, Übersetzer und Schriftsteller. Er ist Träger des kosovarischen Preises für moderne Dichtung „Pena e Anton Pashkut“ (Stift des Anton Pashku) und des Sonderpreises „Favorit von Daniel Glattauer“ der art.experience 2014. In HeimSpiel schreibt Sören Heim mit Heimvorteil zu den Schnittpunkten von Kunst, Kultur und Gesellschaftspolitik. Er beleuchtet die unerwartete Bedeutung ästhetischer Fragestellungen für zeitgenössische Debatten, die mit Kunst auf den ersten Blick kaum Berührungspunkte haben. Und wo immer, sei es in der Politik, sei es in der Ökonomie, sei es gar im Sport, er auf geballten Unsinn und Unverstand trifft, wagt der Kolumnist auch das ein oder andere Auswärtsspiel. Bisher erschien die Kolumne HeimSpiel im Online-Debattenmagazin The European. Daneben veröffentlicht Heim in mehreren Literaturzeitschriften vornehmlich Lyrik und dichte Kurzprosa, und bloggt auf der eigenen Homepage aus seinem Zettelkasten. Monographien: Kleinstadtminiaturen: Ein Roman in 24 Bildern. Girgis Verlag: 2016 – ISBN: 978-3939154181.Cover nur Front Gewogene Worte: Nachdichtungen aus dem Chinesischen. edition maya: 2016 – ISBN: 978-3930758463.cover kathaStrophen. Experimente in Rhythmus und Melodie. Chiliverlag: 2017 -ISBN: 978-3943292541.FrontCover 2_bleu Algenhumor: Gedichte für das dritte Jahrtausend. Girgis Verlag: 2016 – ISBN: 978-3939154228.algen Audio-Exklusiv: La vie! La jeunesse! – Hörmordkartell 2017

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