Nachts, wenn alles schläft

Nach den Blockbustern „Effektivierung“ (2017) und der „Modernisierung“ (Dezember 2019) wurde am Freitag um 0:26 Uhr nun also Teil 3 der StPO-Serie, die „Fortentwicklung“ durch den Bundestag geschleust. Ein Unding. Kolumne von Heinrich Schmitz


Bild von Jerzy Górecki auf Pixabay

Das Strafprozessrecht ist neben dem materiellen Strafrecht die Säule der Strafjustiz. Da ist alles geregelt. Von den Befugnissen der Ermittlungsbehörden im Ermittlungsverfahren über die Regeln für das Hauptverfahren bis hin zu den Rechtsmitteln. Die Strafprozessordnung (StPO) ist die Magna Carta des Strafrechts, sie ist Fleisch gewordenes Verfassungsrecht. Sie enthält die wesentlichen Schutzrechte für Verdächtige, Beschuldigte und Angeklagte. Und sie enthält wesentliche Eingriffsbefugnisse des Staates in die Rechte der Bürger. Wann darf eine Hausdurchsuchung durchgeführt werden, wann darf ein Haftbefehl erlassen werden, usw.?

Und immer wieder wurde an dieser StPO herumgeschraubt. Immer wieder wurden die Rechte von Verdächtigen und der Verteidiger eingeschränkt. Immer wieder wurden die Möglichkeiten der Ermittler erweitert.

Öfter mal was Neues

Okay. So was kann man natürlich machen. Keine Frage, ein Gesetz, dessen erste Fassung aus dem Jahr 1879 stammt, muss gelegentlich an die Entwicklung, insbesondere die technischen Möglichkeiten angepasst werden. Das bedeutet aber nicht, dass man alles, was technisch möglich ist, auch machen muss oder auch nur machen sollte. Und es bedeutet auch nicht, dass das stets zu Lasten der Bürger geschehen muss.

Weil in diesem Gesetz fundamentale Eingriffe in die Grundrechte der Bürger geregelt werden, wäre es doch nett, wenn geplante Änderungen offen und transparent diskutiert würden. So mit Debatte im Bundestag und dem ganze Pipapo, das man sich von einem demokratischen Gesetzgebungsverfahren wünscht. Stattdessen wird ein derart elementares Gesetz mal eben mitten in der Nacht und komplett ohne Aussprache einfach durchgewunken. Jaja, das stand ja im Koalitionsvertrag, und die Legislaturperiode ist bald vorbei. Da muss es dann halt auch mal hopplahopp gehen. Das ging doch bei der Aufnahme der Kinderrechte in das Grundgesetz, die ebenfalls im Koalitionsvertrag vereinbart war auch, ach nee, da ging das nicht. Komisch. War nicht wichtig genug. Also schleicht man mit seinem Entwurf wie ein Dieb durch die Nacht und hofft darauf, dass das zwischen Fußballeuropameisterschaft, grünen Lebensläufen und dem G7-Gipfel keinem so richtig auffällt. Bei den Fragen an Frau Baerbock gab es am Donnerstag sogar noch eine 15-minütige Sondersendung im Ersten. Zur StPO hab ich nichts im TV-Programm gefunden. Wohl nicht so wichtig.

Gute-Nacht-Freiheitsrechte-Gesetz

In ein paar Tagen gibt der Bundesrat noch seinen Senf dazu, und dann haben wir wieder einmal eine Novelle. Ursprünglich geplant war ja mal ein „großer Wurf“. Aber von dem haben sich die Gesetzesmacher wohl schon lange verabschiedet. Stattdessen ein ewiges „Fortentwickeln“, wobei mir das Wort ganz gut gefällt. Wenn die StPO weiter so entwickelt wird, dann sind die Beschuldigtenrechte halt bald alle fort. Mal sehen, wie sie die nächste Änderung nennen. Gute-Nacht-Freiheitsrechte-Gesetz würde doch passen.

Wenn es also demnächst mitten in der Nacht an Ihrer Wohnungstür rappelt, dann müssen das nicht mehr zwingend Einbrecher sein. Das können dann auch Ermittler sein, die gerne Ihren PC, ihr Laptop oder ihr Tablett in Aktion beschlagnahmen wollen, während Sie mit Ihren Kindern in Übersee skypen.

Bisher ging so etwas nur bei Gefahr in Verzug, weil die Nachtruhe grundsätzlich ein schützenswertes Gut ist. Fragen Sie mal Boris Palmer, der setzt sich dafür ein, dass nachts Ruhe in Tübingens Gassen ist. Aber nun geht das Durchsuchen grundsätzlich auch nachts. Der modifizierte Paragraf 104 StPO lässt Durchsuchungen auch zwischen 21 und 6 Uhr zu, „wenn bestimmte Tatsachen den Verdacht begründen“, dass während der Maßnahme „auf ein elektronisches Speichermedium zugegriffen werden wird, das als Beweismittel in Betracht kommt“. Ja, die Nacht ist nicht allein zum Schlafen da, die Nacht ist da, dass was geschieht!

Ich bin mal gespannt, was das für bestimmte Tatsachen sein werden, die die Polizei veranlassen, nachts in eine Wohnung zu stürmen, wenn gerade keine Gefahr in Verzug ist. Da wird manch einem Bürger der Schreck in die Glieder fahren, auch und gerade, wenn der gar nichts Schlimmes gemacht hat. Zur Begründung führt die Groko aus, dass in Deliktsbereichen, die vorwiegend durch die Nutzung von Computern und Ähnlichem begangen würden, die Ermittlungsbehörden vermehrt vor dem Problem stünden, dass die Täter ihre Datenträger durch den Einsatz von Verschlüsselungstechnologien vor dem Zugriff durch die Strafverfolgungsbehörden schützen. Ja so was aber auch. Seine Daten effektiv zu verschlüsseln sollte erste Staatsbürgerpflicht werden. Und glauben die Koalitionäre ernsthaft, dass so richtig böse Cyberkriminelle keine Möglichkeit finden werden, den Zugriff zu verhindern? Ist ja nicht jeder so blöde und kauft seine Kryptohandys bei den Ermittlern. Glauben die wirklich, dass sie größere Mengen unverschlüsselter Daten bei solchen Aktionen gewinnen können? Oder glauben die tatsächlich, dass Cybercrime sich vor allem nachts abspielt, wo doch irgendwo auf der Welt immer Nacht ist?

Auf leisen Sohlen

Der „besonderen Schutzwürdigkeit der Nachtruhe“ werde durch die Einschränkungen Rechnung getragen. Aha, da bin ich mal gespannt. Vielleicht kommen die ja auf leisen Sohlen und flüstern nur.

Noch eine Neuerung: Bislang beschränkte sich die Postbeschlagnahme auf Sendungen, die sich zum Zeitpunkt der Beschlagnahme im Gewahrsam des Postdienstleisters befinden. Nun gibt es eine Erstreckung der Auskunftsverpflichtung des Unternehmens auf Sendungen, die sich noch nicht oder nicht mehr in dessen Gewahrsam befinden (§ 99 Abs. 2 Satz 4 StPO-E). Sie kennen das. In Zeiten wie diesen, weiß ihr Postdienstleister schon vor Ihnen, wann Ihr Drogenpaket oder Ihre Kinderpornos geliefert werden und er weiß auch, wann die Lieferung erfolgt ist. Darüber muss er künftig Auskunft geben. Nun weiß ich nicht, wie weit zurück diese Informationen liegen sollen, aber selbst wenn man nun weiß, dass der Verdächtige auch schon früher Päckchen eines bestimmten Absenders erhalten hat, bedeutet das ja nichts Zwingendes über deren Inhalt.

Ist Ihnen egal? Na gut. Vielleicht ist Ihnen dann ja nicht egal, dass die Ermittlungsbehörden künftig auch „örtlich begrenzt im öffentlichen Verkehrsraum“ ohne das Wissen der betroffenen Personen Nummernschilder „von Kraftfahrzeugen sowie Ort, Datum, Uhrzeit und Fahrtrichtung durch den Einsatz technischer Mittel automatisch“ erheben und mit bestehenden Registern abgleichen dürfen. Stört Sie nicht? Sie haben ja nichts zu verbergen? Die Technik macht keine Fehler und so etwas Beifang schadet doch keinem, der nichts zu verbergen hat? Ein nettes Beispiel. Während meines Studiums fuhr ich einen dottergelben R5 GTL mit einem schwarzen Dach. Irgendwann bekam ich alle paar Wochen Knöllchen aus dem Ruhrgebiet, obwohl mein Auto brav im Bereich Köln/Bonn war. Die Knöllchen konnte ich mir alle mit Hilfe eines Anwalts vom Hals halten. Aber offenbar hatten Terroristen eine Dublette meines Autos gefertigt, was dazu führte, dass ich einmal auf dem Weg zum kriminologischen Seminar von jungen, nervösen Polizeibeamten umstellt wurde, die die MP im Anschlag hielten. Gottlob lies sich das wegen der vorausgegangenen Knöllchen ebenfalls aus der Welt schaffen. Da war ich mal für eine Stunde in der RAF. Das hätte auch übel enden können.

Aber selbst diese gesetzliche Neuerung ist z.B. dem Generalstaatsanwalt Alexander Ecker noch zu wenig. Der möchte gleich die ganzen Daten aus der Kennzeichenüberwachung speichern. Kann man alles machen, wenn man die totale Überwachung und den gläsernen Bürger haben möchte. Falls nicht, sollte man auf derartige Instrumente verzichten.

Es ist aber nur eine Frage der Zeit, wann dem Ruf nach Speicherung der Daten, der von Seiten der Ermittlungsbehörden bereits laut vernehmbar war, bei der nächsten sogenannten Reform der StPO gefolgt wird. Warum nicht gleich alle Bürger mit GPS-Sendern versehen und ihre Bewegungen rund um die Uhr speichern? Kann man ja vielleicht irgendwann mal für irgendwas brauchen. Das Ganze dann noch mit jeder Menge Videokameras und einer Gesichtserkennungssoftware kombinieren, sämtliche Smartphone-Daten gleich an der Quelle abfangen und schwups sind wir endlich da, wofür wir diktatorische Überwachungsstaaten gerne verurteilen. Nein, verdammt nochmal, es gibt eben nicht automatisch mehr Sicherheit, wenn man die Freiheit Stück für Stück, immer schön häppchenweise (sorry Bernd) und in Nacht- und Nebelaktionen weiter einschränkt. Seltsamerweise regen sich viele Menschen mehr über eine Maske auf als über derart elementare Eingriffe in die Freiheitsrechte.

Raupe Nimmersatt

Das sind nicht die einzigen Änderungen der StPO und es ist zu befürchten, dass diese Änderungen auch nicht die letzten sind. Denn wie die berühmte Raupe Nimmersatt möchten die Ermittlungsbehörden sich stets weiter durch die Freiheitsrechte der Bürger fressen und eine nach der anderen Einschränkung ihrer Ermittlungsinstrumente immer weiter abbauen. Verteidiger stören da auch nur. Am Ende wird aus der Raupe aber kein schöner Schmetterling entstehen, sondern ein ziemlich hässliches Insekt, das niemand in der Bude haben will.

Bleibt – wie immer – die Hoffnung, dass das Bundesverfassungsgericht den Gesetzgeber erneut in die Schranken weisen wird. Und da bin ich dann doch wieder ganz guter Dinge.

Heinrich Schmitz

Heinrich Schmitz ist Rechtsanwalt, Strafverteidiger und Blogger. In seiner Kolumne "Recht klar" erklärt er rechtlich interessante Sachverhalte allgemeinverständlich und unterhaltsam. Außerdem kommentiert er Bücher, TV-Sendungen und alles was ihn interessiert- und das ist so einiges. Nach einer mit seinen Freital/Heidenau-Kolumnen zusammenhängenden Swatting-Attacke gegen ihn und seine Familie hat er im August 2015 eine Kapitulationserklärung abgegeben, die auf bundesweites Medienecho stieß. Seit dem schreibt er keine explizit politische Kolumnen gegen Rechtsextreme mehr. Sein Hauptthema ist das Grundgesetz, die Menschenrechte und deren Gefährdung aus verschiedenen Richtungen.

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