Moria – Europas Schande

Nach den Bränden im Lager Moria auf Lesbos sind 12600 Menschen obdachlos. Eine Katastrophe, die absehbar war. Und die Schande Europas ebenso. Eine Kolumne von Heinrich Schmitz


Bild von kalhh auf Pixabay

Am 28.3.2020 schrieb ich die Kolumne „Humanitäre Katastrophe jetzt beenden“ , die eine Forderung zur Hilfe für die in elenden Verhältnissen lebenden Bewohner des Lagers Moria enthielt. Ich schrieb:

Geholfen werden muss dann, wenn Not da ist. Ja, wir können nicht jeden Hungernden auf der ganzen Welt versorgen. Aber wir haben die verdammte Pflicht und Schuldigkeit wenigstens die Menschen, die sich auf dem Gebiet der Europäischen Union befinden, auch so zu behandeln, wie es die viel beschworenen europäischen Werte verlangen. Und wenn keiner mitmachen will, dann schaffen wir das auch alleine.

Passiert ist seitdem nichts. Ganz im Gegenteil. Die Länder der Europäischen Union haben den Schwarzen Peter solange hin- und hergeschoben, bis nun auch das Lager nicht mehr da ist. Moria ist abgebrannt. Ob es von Bewohnern des Lagers angezündet wurde, wird zwar von einigen vermutet, einen Beweis dafür gibt es aber nicht. In so einem Dreckslager gibt es tausend Möglichkeiten für einen Brand. Und selbst wenn es so wäre, wären unter den 12600 hilfsbedürftigen Menschen allenfalls eine handvoll Brandleger.

Politblabla

Und wer nun geglaubt hat, es gäbe wenigstens jetzt schnelle, unbürokratische Hilfe für die Menschen, der hat sich geschnitten. Das übliche Politblabla von der europäischen Lösung ersetzt mal wieder die Hilfen einzelner Länder.

Wenn man sich in den sozialen Netzwerken umschaut, findet man eine Vielzahl von hartherzigen Kommentaren, insbesondere aus den Reihen von Bläulingen.

Alice Weidel postete bei Facebook:

Asyl-Migranten aus griechischem Lager Moria nach Deutschland zu holen, wäre fatales Signal!

Brandstiftung und vorsätzliche Zerstörung dürfen nicht mit einem Freifahrtschein in das deutsche Sozialsystem belohnt werden. Es ist den deutschen Bürgern und der deutschen Solidargemeinschaft nicht zuzumuten, Leute aufnehmen und versorgen zu müssen, die den Zugang in unser Land mit Gewalt und Rechtsbruch erpresst haben.

Das EU-Mitglied Griechenland ist durchaus in der Lage, 13.000 Migranten selbst unterzubringen. Um überfüllte Lager und humanitäre Extremsituationen zu vermeiden, ist es notwendig, illegale Migration schon an den EU-Außengrenzen zu unterbinden und illegal eingereiste Migranten unverzüglich zurückzuführen. Dabei sollte die Bundesregierung Griechenland tatkräftig unterstützen.

Woher Frau W. weiß, wer die Brände entfacht hat, weiß ich nicht. Aber das macht ja auch nichts, wenn man damit die Zustimmung seiner Klientel einsammeln kann. Und die gibt es reichlich.

Werner S.

Die Vernichtung Deutschlands hat nicht begonnen es ist schon die Realität. Einfach nur traurig was die Merkelregierung uns beschert hat.

Ja klar. Unter der Vernichtung Deutschlands geht es nicht. Untergangsgeraune ganz im Stil der guten alten Zeit. Schon scheinen die guten alten deutschen Satzzeichen vernichtet.

Pierre K.

Zu gern würde ich wissen welche Vollidioten dafür demonstrieren das die herkommen, ist denen überhaupt nicht bewusst wer das alles langfristig bezahlt, dieses Pack zu füttern.

Nun, da kann ich Herrn Kahl mit einer Antwort helfen. Ich zum Beispiel. Aber auch viele andere Menschen, denen der Begriff der Solidarität oder – wem das nun zu sehr nach Sozialismus klingt – der Begriff der Barmherzigkeit noch etwas wert ist.

Deutsche Flüchtlinge

Haben diese Fans der Härte gegen Hilfsbedürftige eigentlich vergessen, was nach dem von unseren Vorfahren angezettelten Krieg für eine Not in Deutschland herrschte? Haben Sie sich einmal die Bilder von zerbombten Städten und Dörfern angesehen? Von Heerscharen von Menschen, die ihre Heimat verloren hatten und durch die Gegend irrten? Haben Sie vergessen, dass die größte von Migration betroffene Gruppe etwa 14 Millionen Deutsche waren, die zwischen 1944 und 1950 der Flucht und Vertreibung zum Opfer fielen? Mehr als 17 Millionen Deutsche lebten vor Kriegsende auf dem heutigen Gebiet von Polen, den baltischen Staaten, Ungarn, Tschechien, der Slowakei, Jugoslawien und Rumänien. Durch Flucht und Vertreibung lebten im geteilten Deutschland bald doppelt so viele Menschen pro Quadratkilometer wie vor dem Zweiten Weltkrieg. Die US-amerikanische, die britische und die französische Besatzungszone (also die spätere Bundesrepublik ) nahmen rund acht Millionen Vertriebene und Flüchtige auf. Das entsprach einem Bevölkerungsanteil von etwa 16 Prozent. Ging alles.

Und da soll es ein Problem sein, weitere 12600 Menschen auf dem Gebiet des vereinten Deutschlands aufzunehmen? Lächerlich.

Milliarden von „Negern“

Es geht im Moment eben nicht darum, „Milliarden von Negern“ in Deutschland aufzunehmen, mal ganz davon abgesehen, dass in ganz Afrika nur gut 1,3 Milliarden Menschen leben. Aber mit Zahlen haben es die Patrioten eh nicht so. Da werden aus 40000 Demonstranten gerne mal 1,3 Millionen. Es geht auch nicht darum, hunderttausende neue Flüchtlinge nach Deutschland zu holen, sondern den Menschen, die bereits seit Jahren in dem Lager Moria auf ihre Asylverfahren warten, endlich menschenwürdige Aufenthaltsbedingungen zu verschaffen.

Wenn dann davon gesprochen wird, man sei ja bereit, den Menschen vor Ort zu helfen, dann möchte ich gerne einmal wissen, was damit gemeint ist. Die Insel Lesbos ist am Ende ihrer Kräfte, und auch ganz Griechenland stöhnt unter der Last, mit der die EU dieses Mitgliedsland ganz gerne alleine lässt. Die Errichtung eines neuen und menschenwürdigen Lagers auf Lesbos wird an der dortigen Bevölkerung scheitern. Und nein, dass sind eben keine Fremdenfeinde und Ausländerhasser. Das sind Menschen, die die Menschen im Lager Moria seit Jahren nach Kräften versorgt haben, weil das staatlicherseits nur sehr rudimentär geschah. Das sind Menschen, die genauso unserer Hilfe bedürfen, wie dies die Flüchtlinge tun.

Lieber gar nicht helfen

Wer jetzt angesichts der blanken Not der Menschen, die auf der Straße leben müssen, die nicht genug zu essen und zu trinken haben, wohlfeil von einer europäischen Lösung faselt, der will in Wirklichkeit lieber gar nicht helfen. Dem ist vielleicht sogar recht, wenn ein Teil der Flüchtlinge elend verreckt. Man darf ja keine Fluchtanreize bieten. Da wären doch Bilder von Toten, die auf europäischen Straßen verwesen, gerade richtig, um sie in den Herkunftsländern zu verbreiten. Um die Botschaft zu verbreiten, glaubt doch nicht das Märchen von den christlichen und humanistischen Werten der Europäischen Union, glaubt doch nicht daran, dass hier Menschenrechte eine hohen Stellenwert hätten.

Ich möchte nicht, dass meine Enkel in einem Europa aufwachsen, in dem der nationalistische Egoismus die Menschlichkeit tötet. Ich wünsche mir ein Europa, in dem Menschen nicht nach ihrer Hautfarbe oder ihrer Herkunft beurteilt werden und in dem die vielbeschworenen Werte tatsächlich gelten. Das ist möglich und Europa war da auch auf einem guten Weg, bevor es vor lauter Osterweiterungswahn in eine Situation geraten ist, in der wenige Nationalisten den Rest der EU am Nasenring durch die Manege führen. So wird das nichts.

Friedensnobelpreis zurückgeben

2012 wurde die EU für ihren Einsatz für Frieden, Versöhnung, Demokratie und Menschenrechte in Europa mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Das war wohl etwas optimistisch, denn die EU ist nicht einmal in der Lage, sich auf einen Verteilungsschlüssel für Menschen in Not zu einigen. Es ist offenbar nur eine Aktienwerteunion. Sie sollte den Nobelpreis zurückgeben und sich was schämen.

Da die Niederlande und Österreich bereits mitgeteilt haben, dass sie niemanden aus Moria aufnehmen werden, kann der deutsche Innenminister sich seine europäische Lösung hinschieben, wo nie die Sonne scheint.

Immerhin 16 von 256 Abgeordneten der CDU-Fraktion fordern die Aufnahme von 5000 Flüchtlingen durch die EU, aber eben notfalls auch durch Deutschland alleine. Sind das die letzten Spuren eines C in der CDU? Kann es für einen Christen eigentlich eine Frage sein, ob man diesen Menschen helfen muss? Haben die Christen in der CDU vergessen, dass es in der Bergpredigt heißt:

Selig sind die Barmherzigen; denn sie werden Barmherzigkeit erlangen. Matthäus 5,7

Deutschland hat gerade die Ratspräsidentschaft in der EU. Das ist eine Bürde, aber auch eine Chance. Und wenn dann Frau Merkel und Herr Macron gerade einmal 400 minderjährige unbegleitete Flüchtlinge aus Moria aufnehmen wollen, dann ist das traurig und beschämend wenig.

Dass von Europa in Sachen Hilfe wenig bis nichts zu erwarten ist, tut zwar weh, aber es nimmt uns eben nicht die Möglichkeit, auf eigene Faust zu helfen. Die Aufnahmelager, die nach 2015 errichtet wurden, sind leer. Das BAMF hat nun die Verwaltungsvorgänge im Griff und auch die Verwaltungsgerichte entscheiden mittlerweile zügiger. Es spricht daher nicht dagegen, Menschen nach Deutschland zu holen, zumal zahlreiche Gemeinden ihre Aufnahmebereitschaft geäußert haben. Das hätten sie garantiert nicht getan, wenn sie unterm Strich keine positiven Erfahrungen mit ihren Flüchtlingen gemacht hätten.

Und nein, ich bin nicht blind und nicht blauäugig und weiß auch, dass wir nicht allen Notleidenden auf der Welt helfen können. Das entbindet uns aber nicht von der Verpflichtung, jetzt denen zu helfen, denen wir helfen können, ohne selbst in Not zu geraten. Es ist schäbig, wenn wir lieber Geld z.B. am Libyen bezahlen, damit dort Leute in Lagern gehalten werden, die nicht ansatzweise menschenrechtliche Standards erfüllen und in denen die Flüchtlinge wie Sklaven gehalten und sogar gefoltert werden, als denen eine andere Möglichkeit zu bieten menschenwürdig zu leben. Wenn wir uns etwas auf unsere Humanität einbilden wollen, dann müssen wir die erst einmal unter Beweis stellen. Wenn nicht jetzt, wann dann?

Heinrich Schmitz

Heinrich Schmitz ist Rechtsanwalt, Strafverteidiger und Blogger. In seiner Kolumne "Recht klar" erklärt er rechtlich interessante Sachverhalte allgemeinverständlich und unterhaltsam. Außerdem kommentiert er Bücher, TV-Sendungen und alles was ihn interessiert- und das ist so einiges. Nach einer mit seinen Freital/Heidenau-Kolumnen zusammenhängenden Swatting-Attacke gegen ihn und seine Familie hat er im August 2015 eine Kapitulationserklärung abgegeben, die auf bundesweites Medienecho stieß. Seit dem schreibt er keine explizit politische Kolumnen gegen Rechtsextreme mehr. Sein Hauptthema ist das Grundgesetz, die Menschenrechte und deren Gefährdung aus verschiedenen Richtungen.

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