EU finanziert diffamierende Studie über „Islamophobie“

Schon das vierte Jahr in Folge geben die Politikwissenschaftler Farid Hafez und Enes Bayraklı gemeinsam mit der türkischen, regierungsnahen Stiftung SETA den sogenannten „European Islamophobia Report“ heraus, in dem Wissenschaftler/innen, Journalist/innen und Politiker/innen als „islamophob“ und rassistisch denunziert werden. Der Report wurde dieses Jahr von der EU mit knapp 127.000 Euro finanziert. In einem offenen Brief an die Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen fordern 13 betroffene Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, unter ihnen auch unser Kolumnist Heiko Heinisch, den Stop solcher Förderungen und die Beendigung der Zusammenarbeit mit dem AKP-nahen Thinktank SETA.


Offener Brief

 

Sehr geehrte Frau Präsidentin von der Leyen,

die Unterzeichnerinnen und Unterzeichner dieses Briefes bitten Sie und die neue EU-Kommission, dafür Sorge zu tragen, die Zusammenarbeit mit und die finanzielle Unterstützung von türkischen Organisationen einzustellen, die ihre Aufgabe darin sehen, Bürgerinnen und Bürger Europas, die sich öffentlich und kritisch mit der türkischen Regierungspolitik und politisch-islamischen Strömungen in Europa beschäftigen, in regelmäßigen Denunziationsberichten öffentlich anzuprangern.

Zu ihnen zählt der unlängst erschienene „European Islamophobia Report 2018“ (EIR). Er wird, wie die zuvor erstellten jährlichen Reporte, unter der Schirmherrschaft der türkischen, regierungsnahen SETA-Stiftung von den Politikwissenschaftlern Farid Hafez und Enes Bayraklı herausgegeben. Die Europäische Kommission finanzierte diesen Bericht mit 126.951,81 Euro aus dem Fonds zur „Unterstützung des zivilgesellschaftlichen Dialogs zwischen der EU und der Türkei“ (CSD-V). Dieser Fonds wird mit Steuergeldern der EU-Bürgerinnen und –Bürger bestückt. Die Vergabe der Mittel jedoch obliegt allein dem türkischen Außenministerium. Die EU hat hier die Kontrolle aus der Hand gegeben. Das hat zur Folge, dass Gelder der EU unter anderem dazu verwendet werden, die türkische, regierungsnahe Stiftung SETA mit Geld zu versorgen. SETA trat in der Vergangenheit immer wieder mit Berichten an die Öffentlichkeit, in denen Bürger und Bürgerinnen der Union diffamiert, denunziert und Erdogan-Kritiker an den Pranger gestellt wurden. Der European Islamophobia Report 2018 liefert ein gutes Exempel dafür, warum die Vergabe dieser Mittel dringend überdacht und Förderkriterien entwickelt werden müssen, die eine Zweckentfremdung von EU-Geldern durch die Türkei in Zukunft verhindern. Eine Unterstützung von SETA-Studien durch die Europäische Kommission ist aus mehreren Gründen unangebracht:

  1. Die SETA-Stiftung ist ein politisches Instrument der türkischen Regierung
    Sie dient nicht dem zivilgesellschaftlichen Dialog zwischen der EU und der Türkei, sondern der Verlautbarung der Regierungslinie (siehe die Kriegspropaganda von SETA auf Social Media Kanälen im Rahmen des Einmarschs der türkischen Armee in Nordsyrien) und der Identifizierung und öffentlichen Diffamierung von Gegnern des türkischen Präsidenten Erdoğan, der AKP und der türkischen Regierungspolitik. Der Gründungsdirektor der SETA-Stiftung, der Theologe Ibrahim Kalın, ist der heutige Sprecher von Erdoğan. Der europäischen Öffentlichkeit fiel er bereits 2012 durch seine Rede auf dem Istanbuler Weltforum auf, in der er die Entmachtung des Westens und eine „postsäkulare Ordnung“ ebendort ankündigte.
    SETA‘s Publikationen sprechen eine deutliche Sprache. So erschien 2018 eine „Studie“ mit dem Titel „Die Struktur der PKK in Europa“, in der namentlich europäische Politiker/innen, Journalistinnen und Journalisten, Künstler/innen und Wissenschaftler/innen als Sympathisanten und Unterstützer der PKK aufgezählt werden. Dafür reichte es mitunter aus, dass sie Kritik an der türkischen Politik in den Kurdengebieten geäußert hatten. Ähnlich verfährt 2019 eine Studie mit dem Titel „Die Fethullahistische Terrororganisation (FETÖ) in Deutschland“. Im SETA-Bericht „Der verlängerte Arm internationaler Medienorganisationen in der Türkei“ wiederum werden Namen und Lebensläufe von 143 türkischen Journalistinnen und Journalisten gelistet, die für internationale Medienhäuser wie etwa Deutsche Welle, FAZ oder BBC arbeiten. Ihnen wird vorgeworfen, regierungsfeindlich zu berichten. Die deutsche Kulturstaatsministerin Monika Grütters protestierte gegen diesen Bericht.
  1. Der European Islamophobia Report reiht sich in die Denunziationsberichte von SETA ein
    Im Report werden undifferenziert viele Persönlichkeiten und Institutionen aus ganz Europa als „islamophob“ und als Vertreter und Beförderer von sogenanntem „antimuslimischem Rassismus“ bezeichnet, ein Begriff der synonym zum Begriff „Islamophobie“ verwendet wird. Die Unterzeichnerinnen und Unterzeichner dieses Briefes werden im Report in eine Reihe mit Rechtsradikalen, Rassisten und deren Netzwerken gestellt. Alle im Report gelisteten, unter ihnen auch Musliminnen und Muslime, die andere Wege als die meisten Islamverbände gehen wollen, seien, so die Ansicht der Herausgeber, Teil des weltweiten „islamophoben“ Diskurses. So wundert es auch nicht, dass die Herausgeber des EIR auch ein Buch über Islamophobie in islamischen Gesellschaften publiziert haben. Dieses Vorgehen dient dem Zweck, jegliche Kritik am Islam, an verschiedenen politisch-islamischen Organisationen und deren Proponenten aus dem Diskurs zu drängen und die Deutungshoheit über diese Themen zu erlangen.
    Angesichts des Mobilisierungspotentials türkisch-nationalistischer und islamistischer Kreise stellen die Berichte der SETA-Stiftung eine nicht zu unterschätzende Gefahr für die darin genannten Personen dar.
  1. Der EIR ist keine wissenschaftliche Publikation
    Wir möchten mit Nachdruck darauf hinweisen, dass dieser „Bericht“ keinerlei wissenschaftlichen Standards entspricht. Der European Islamophobie Report ist weder eine quantitative noch eine qualitative Studie; zu einer Studie fehlen ihm die wesentlichen Kriterien und Voraussetzungen, die eine solche auszeichnen. Die Herausgeber haben sich an keiner Stelle die Mühe gemacht, die von ihnen angewandten Methoden zu erläutern oder die Kriterien zu beschreiben, anhand derer die von ihnen geschilderten „Fälle“ ausgewählt wurden.
    Mit dem Begriff „Islamophobie“ wird versucht, zwei unterschiedliche Phänomene in einem Begriff zusammenzufassen: Feindschaft gegenüber und Diskriminierung von Muslimen auf der einen Seite und Religionskritik auf der anderen. Der Terminus differenziert nicht zwischen ressentimentbeladener Hetze und der Aufklärung verpflichteter Kritik an der Religion. Er entpuppt sich somit als Kampfbegriff, der dazu genutzt wird, Kritik am Islam, an politisch islamischen Strömungen, einzelnen Organisationen und Akteuren oder an Problemen und Menschenrechtsverletzungen innerhalb muslimischer Gemeinschaften und Gesellschaften abzuwehren und als „anti-muslimischen Rassismus“ zu etikettieren. Dies führt dazu, dass kritische Geister, auch und gerade innerhalb der muslimischen Welt, als „islamophob“ denunziert und in die gleiche Ecke gestellt werden wie Rechtspopulisten, Rechtsradikale und Rassisten.
  1. Demokratiepolitisch gefährlich
    Das Ziel des Islamophobia Reports ist es, jede kritische öffentliche Beschäftigung mit dem Islam und islamistischen Strömungen hintanzuhalten, zu verhindern oder jedenfalls zu diskreditieren. Damit aber wird das Recht auf freie Meinungsäußerung und Gedankenfreiheit in Europa ernsthaft in Frage gestellt. Selbst die öffentliche Auseinandersetzung mit dem politischen Islam der Muslimbruderschaft und anderer radikaler Strömungen soll, geht es nach den Herausgebern des EIR, unterbunden werden. Ihnen geht es nicht um eine offene demokratische Debatte, sondern um die Verhinderung derselben. Wir vermuten, dass die Herausgeber des EIR’s langfristig  das Ziel verfolgen, die Gesetzgebung der EU und ihrer Mitgliedsstaaten mit Hilfe einer sich als NGO gerierenden türkischen, regierungsnahen Stiftung dahingehend zu beeinflussen, dass eine kritische Auseinandersetzung mit dem politischen Islam verunmöglicht wird. Die Unterzeichnerinnen und Unterzeichner weisen diesen Versuch der Zensur zurück.

Sehr geehrte Kommissionspräsidentin, wir bitten Sie, dafür Sorge zu tragen, dass die EU respektive die Europäische Kommission in Zukunft keine finanzielle Unterstützung für den European Islamophobia Report mehr gewährt und dass die Instrumentalisierung eines Fonds der eigentlich der „Unterstützung des zivilgesellschaftlichen Dialogs zwischen der EU und der Türkei“ dienen soll, durch die türkische Regierung und die ihr nahe stehende SETA-Stiftung in Zukunft verhindert wird.

Unterzeichnerinnen und Unterzeichner:

Seyran Ateş, Anwältin, Autorin und Imamin

Kamel Daoud, Journalist und Autor

Kenan Güngör, Sozialwissenschaftler und Integrationsexperte

Heiko Heinisch, Historiker und Autor

Dr. Necla Kelek, Sozialwissenschaftlerin und Autorin

Prof. Mouhanad Khorchide, Theologe, Leiter des Zentrums für Islamische Theologie, Universität Münster

Ahmad Mansour, Psychologe und Autor

Saïda Keller-Messahli, Romanistin und Autorin

Zana Ramadani, Autorin und Politikberaterin

Nina Scholz, Politikwissenschaftlerin und Autorin

Prof. Susanne Schröter, Ethnologin, Leiterin des Forschungszentrums Globaler Islam, Universität Frankfurt

Dr. Gerhard Weinberger, Botschafter i.R. und Autor

Susanne Wiesinger, Autorin

Heiko Heinisch

Nach Abschluss des Geschichtsstudiums arbeitete Heiko Heinisch u.a. am Ludwig-Boltzmann-Institut für historische Sozialwissenschaft. Nach längerer freiberuflicher Tätigkeit arbeitet er seit Mai 2016 als Projektleiter am Institut für Islamische Studien der Universität Wien. Nach längerer Beschäftigung mit den Themen Antisemitismus und nationalsozialistische Judenverfolgung wuchs sein Interesse an der Ideengeschichte, mit Schwerpunkt auf der Geschichte der Ideen von individueller Freiheit, Menschenrechten und Demokratie. Er hält Vorträge und veröffentlichte Bücher zu christlicher Judenfeindschaft, nationalsozialistischer Außenpolitik und Judenvernichtung und widmet sich seit einigen Jahren den Problemen, vor die Europa durch die Einwanderung konservativer Bevölkerungsschichten aus mehrheitlich islamischen Ländern gestellt wird. Daraus entstand das gemeinsam mit Nina Scholz verfasste Buch „Europa, Menschenrechte und Islam – ein Kulturkampf?“ im Wiener Passagen Verlag (2012). Er ist Mitglied des Expert_Forum Deradikalisierung, Prävention & Demokratiekultur der Stadt Wien. Im März 2019 ist das gemeinsam mit Nina Scholz verfasste Buch „Alles für Allah. Wie der politische Islam unsere Gesellschaft verändert“ im Molden Verlag erschienen.

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