BAMF – Fragwürdiges von der Behördenspitze

Der neue Leiter des BAMF, Dr. Hans-Eckhard Sommer, hat dem SPIEGEL ein langes Interview gegeben. Das tun Chefs von Bundesbehörden gelegentlich. Die Klügeren halten sich an die Sache. Die weniger klugen werden später nicht Staatssekretär im Bundesinnenministerium, sondern finden sich im einstweiligen Ruhestand wieder. – Eine Gastkolumne von Heiko Habbe


Wohin Sommer strebt, ist unklar. In einigen Passagen kann man sich allerdings des Eindrucks nicht erwehren, dass der glücklose Verfassungsschutzpräsident Maaßen stilprägend geworden ist.

Schon in der Überschrift lässt Sommer sich als „Hardliner“ apostrophieren. Im Wortzitat bringt er das zwar in Zusammenhang mit dem „Eintreten für die konsequente Anwendung des geltenden Rechts“. Diese Formulierung allerdings wird allzu oft als Chiffre für eine einseitig strenge Auslegung eben diesen Rechts verwendet. Hardliner eben. Und da mag man sich bereits fragen, ob jemand mit dieser Ausrichtung der Richtige ist für die Leitung einer Behörde, die in erster Linie Anträge auf humanitären Schutz zu prüfen hat. Das europäische Recht verpflichtet zur gründlichen und sorgfältigen Prüfung von Asylanträgen (EU-Asylverfahrensrichtlinie, Erwägungsgrund 34). Zur Härte verpflichtet es nicht.

Recht und Ordnung

Wenn Sommer erläutert, was er sich unter Durchsetzung geltenden Rechts vorstellt, verdichten sich die Bedenken. Als Beispiel führt er ausgerechnet die Abschiebung eines Mannes in Thüringen an, der von der Ausländerbehörde aus dem Kreißsaal abgeführt wurde, wo seine Partnerin gerade das gemeinsame Kind entband. Erst der entrüstete Protest der Hebammen führte am Flughafen zum Abbruch der Maßnahme. Ein Vorgehen, das auch Sommer nicht versteht. Für ihn steht allerdings im Vordergrund, „dass man das Thema Abschiebungen damit in Misskredit bringt“. Weiter sagt er:

Sommer: Man hätte am Tage der Abschiebung reagieren und die Aktion abbrechen können. Da wartet man dann eine gewisse Zeit.

SPIEGEL: Ist das nicht herzlos? Wenn man ein, zwei Monate wartet, dann ist die Abschiebung in Ordnung?

Sommer: Selbstverständlich. Das ist eine rechtsstaatliche Entscheidung. Die Ehe war nach deutschem Recht nicht gültig, da gibt es keine Abschiebungshindernisse. Dass der Mann zwischenzeitlich Vater geworden ist, ändert daran nichts. Wir müssen Recht und Ordnung auch in diesem Bereich durchsetzen.

 

Dass Recht und Ordnung auch im Umgang mit Flüchtlingen Geltung beanspruchen, ist richtig. Nicht richtig ist, was Sommer hier sagt. Eine Ehe, die nur nach traditionellen Regeln oder religiösen Riten geschlossen wurde, die wird zwar tatsächlich vom deutschen Staat nicht anerkannt. Und schützt also einen Ehepartner auch nicht vor dem Schicksal, durch Abschiebung vom anderen getrennt zu werden. Anders ist es mit der Beziehung von Eltern zu Kindern. Die steht, auch bei nichtehelichen Kindern, unter dem Schutz des Grundgesetzes.

Artikel 6 GG

(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.

(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.

Vater und Kind

Das Bundesverfassungsgericht hat schon 2005 entschieden, dass der Schutz des Grundgesetzes sich auch auf die Beziehung des nichtehelichen Vaters zu seinem Kind erstreckt. Und dass das um des Kindeswohls willen dazu führt, dass der Vater eben nicht einfach abgeschoben werden darf.

Die leibliche und seelische Entwicklung der Kinder findet in der Familie und der elterlichen Erziehung eine wesentliche Grundlage. Familie als verantwortliche Elternschaft wird von der prinzipiellen Schutzbedürftigkeit des heranwachsenden Kindes bestimmt (vgl. BVerfGE 80, 81 <90>). Besteht eine solche Lebens- und Erziehungsgemeinschaft zwischen dem Ausländer und seinem Kind und kann diese Gemeinschaft nur in der Bundesrepublik Deutschland verwirklicht werden, etwa weil […] ihm […] das Verlassen der Bundesrepublik nicht zumutbar ist, so drängt die Pflicht des Staates, die Familie zu schützen, einwanderungspolitische Belange regelmäßig zurück“ (BVerfG, Beschluss v. 8.12.2005 – 2 BvR 1001/04).

Der Schutz gilt allerdings erst ab der Geburt des Kindes. Der Mann hätte, mit anderen Worten, noch abgeschoben werden können. Nach der Geburt hätte eine getrennte Abschiebung sich dagegen aus verfassungsrechtlichen Gründen verboten. Die örtliche Ausländerbehörde in Thüringen hat das offenbar gewusst. Und wollte deswegen schnell noch Fakten schaffen.

Nach der Geburt hingegen wäre nämlich auch eine gemeinsame Abschiebung von Eltern und Kind nach Italien nicht möglich gewesen. Denn die seit Jahren kritischen Verhältnisse im italienischen Asylsystem verbieten nach Ansicht deutscher Gerichte eine Abschiebung von Familien, zumindest mit Kindern unter drei Jahren. Das geht zurück auf eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte aus dem Jahr 2012. Der hatte damals entschieden, dass die Rückschiebung von Familien wegen der Verhältnisse im italienischen Aufnahmesystem eine menschenunwürdige Behandlung ist.

Tiefe Kenntnis ohne viel Ahnung?

BAMF-Chef Sommer, der sich an anderer Stelle im SPIEGEL-Interview viel darauf zugute tut, ein Fachmann zu sein –

SPIEGEL: Was unterscheidet Sie von Ihren Vorgängern, Frank-Jürgen Weise und Jutta Cordt?

Sommer: Meine tiefe Kenntnis des Ausländer- und Asylrechts. Ich bin vom Fach. Das kommt aus meiner Sicht auch bei den Mitarbeitenden gut an.

– weiß er das nicht? Dann wäre er nicht der Fachmann, der zu sein er behauptet. Aus seiner jahrelangen Karriere im bayerischen Innenministerium, in der er stets ein loyaler Diener des jeweiligen Innenministers war und für die ihn CSU-Chef Seehofer nun mit der Leitung der Asylbehörde belohnte, wird man aber schließen müssen, dass er mit dem Grundgesetz und der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des EGMR vertraut ist. Das allerdings führt zu dem Schluss, dass Sommer an dieser Stelle wissentlich falsche Informationen verbreitet. Fake News von der Spitze des BAMF. Man kann das Irreführung der Öffentlichkeit nennen. Würde Sommer in böser Absicht reden, was man nicht leichtfertig unterstellen sollte, auch Lügen. Besorgniserregend ist es immer.

Und leider passt auch ins Bild, wie er den Bremer BAMF-„Skandal“ darstellt. Nachdem nämlich praktisch alle Medien, die im April auf den Zug aufgesprungen waren und Zeter und Mordio schrien, mittlerweile kleinlaut eingeräumt haben, dass in Bremen eigentlich nichts gelaufen ist, was man nicht durch chronische Überlastung einer Behörde erklären kann, kommt nun ganz zum Schluss der Behördenchef und stellt öffentlich im SPIEGEL die eigenen Mitarbeiter in den Senkel. „Schlimm“ sei gewesen, was in Bremen passiert ist, in „bedenklichem Umfang“ seien Fehler passiert: 601 Fälle habe die interne Revision beanstandet, eine andere Untersuchung haben noch einmal 145 Fälle zutage gefördert.

Dass dafür 4.500 Akten überprüft wurden, und im zweiten Durchgang dann noch einmal 13.000 Akten, dass Verfahren aufgerollt wurden, die teilweise schon 2006 geführt wurden, fast ein Jahrzehnt vor der Flüchtlingsaufnahmekrise, das alles erwähnt Sommer nicht. Der SPIEGEL-Leser erfährt somit nicht, dass die Fehlerquote bei positiven Bescheiden aus Bremen bei gerade mal etwas über 3% liegt. Auch erfährt er nicht, dass die Beanstandungen in den meisten Fällen keineswegs bedeutet haben, dass der Flüchtlingsschutz zu Unrecht erteilt sei. Oft wurden lediglich Verfahrensabläufe mangelhaft umgesetzt. Und so wird es dem SPIEGEL-Leser auch schwer gemacht, die Fehlerquote bei ablehnenden Bescheiden richtig einzuordnen. Die werden nämlich zu 20 %, in jedem fünften Fall, vor Gericht aufgehoben, wie die SPIEGEL-Redakteure durchaus richtig anmerken. Diese nicht nachvollziehbar hohe Ausschussquote ist der eigentliche BAMF-Skandal.

Dass der neue Behördenchef jetzt mit suggestiver Medienarbeit, teils gegen die eigenen Mitarbeitenden gerichtet, an die Öffentlichkeit geht und so das Geschäft der Besorgtbürger und Demokratiefeinde besorgt: wird das der nächste?

 

 

 

Heiko Habbe

Heiko Habbe ist Rechtsanwalt in Hamburg, Berater bei der Kirchlichen Rechtshilfestelle "fluchtpunkt" und Lehrbeauftragter der Uni Hamburg.

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