Zeig mir deine Fußmatte…

Man kann über alles philosophieren, auch über die Matten, die vor Türen liegen, damit man sich die Schuhsohlen daran reinigt. Und wer in dieser Kolumne die Philosophie nicht entdeckt, der darf sich einfach ein bisschen amüsieren.


Ein Gang durchs Treppenhaus eines Mehrfamilienhauses ist abwechslungsreich wie ein Museumsbesuch. Zehn Türen, und vor jeder Tür eine Fußmatte – aber jede ist anders. Zeige mir deine Fußmatte und ich sage dir, wer du bist.

Halten wir uns nicht lange bei jenen einfachen, funktionalen, dünnen Matten auf, auf deren gummiertem Grund ein einfarbig-dezenter rauer Kunststoffbelag aufgetragen ist. In größeren Abmessungen sind sie auch in Büros und Behörden zu finden. Sie gehören zu Leuten, die denken: Ist doch egal, wie es vor meiner Tür aussieht, Hauptsache, der Dreck bleibt draußen.

Reden wir auch nicht lange über die abgewetzten alten Kokos-Matten, bei denen man Angst hat, dass man sie mit den Schuhen zerreißt, wenn man sich mit dem einen Bein fest darauf stellt, während das andere mit energischem Wischen den Schmutz von der Sohle in das Kokosgeflecht befördern will. Wer hinter einer Tür mit so einer Matte wohnt, hat womöglich für die praktischen Dinge des Lebens gar keinen Sinn, er ist mit den Gedanken nicht im hier und jetzt, sonst würde er ja bemerken, dass die Matte, vor Jahrzehnten erworben, ihren Zweck schon längst nicht mehr erfüllt. Er ist vermutlich Philosoph.

Dann gibt es die einfarbigen, hochwertigen, mehrschichtigen Matten, gefertigt aus High-tech-Material, alterungsbeständig, hocheffektiv, auf dem neuesten Stand der Fußmatten-Forschung. Möglicherweise sogar ökologisch geprüft, fair gehandelt, vegan, biologisch abbaubar. Da hat jeder seine eigenen Prioritäten. Wichtig ist: Ich mache mir Gedanken über das, was ich mir da vor die Tür lege. Es handelt sich nicht nur um ein funktionales Produkt, das einen Zweck erfüllt, nein, es ist im Einklang mit meinen Werten, mit meinen Vorstellungen von einem gute Leben und einer guten Welt.

Man sieht dieser Fußmatte nicht an, welchen Werten der Mensch hinter der Tür verpflichtet ist, man sieht nur, dass er Werte hat und dass sich diese Werte sich auch beim Fußmattenkauf auswirken. Sie sieht schlicht hochwertig aus. Sie ist so dick, dass man fasst darüber fällt, und sie ist auf keinen Fall dazu geeignet, in den Spalt unter der Tür geschoben zu werden, damit diese für den Moment nicht zuschlagen kann. Dazu ist sie ja auch nicht gedacht, dafür hat man einen Türstopper.

Schließlich gibt es die witzigen Fußmatten, die mit den lustigen Sprüchen und den anspielungsreichen Aufdrucken. Ich gestehe, eine solche Fußmatte befindet sich vor meiner eigenen Wohnungstür. Kaum einer meiner Besucher bemerkt ihre Botschaft, und das hat einfachen Grund: Niemand muss vor meiner Tür warten. Man klingelt unten am Hauseingang und wird natürlich an der offenen Wohnungstür empfangen. Wer da steht, schaut beim Abputzen der Schuhsohlen nicht auf die Matte, sondern auf mich, der ich in freudiger Erwartung im Türrahmen stehe.

Warum also kauft man sich solche Fußmatten? Einfache Antwort: Nicht für die Besucher, sondern für sich selbst. Jedes Mal, wenn ich diese Fußmatte betrete, erinnere ich mich daran, was für ein kreativer Typ ich bin und was für einen klugen Humor ich habe – und ich freue mich darüber.

Fußmatten dieser Art sind also Modeartikel – denn auch die kaufen wir uns ja nicht für andere, sondern für uns selbst. Meine Hemden und Krawatten sind weniger Botschaften an andere, als vielmehr an mich selbst. Sie zeigen mich im Spiegel so, wie ich mich gern sehe und wie ich mich mag. Meine Fußmatte zeigt mir, wenn ich nach Hause komme: Das ist meine Wohnung, hier bin ich zu Hause, es ist so, wie es mir gefällt, und ich bin dort so, wie ich mir gefalle.

Jörg Phil Friedrich

Der Philosoph und IT-Unternehmer Jörg Phil Friedrich schreibt und spricht über die Möglichkeiten und Grenzen des digitalen Denkens. Friedrich ist Diplom-Meteorologe und Master of Arts in Philosophie.

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