Welten der Antike – Geschichte von Griechenland bis China
„Welten der Antike“ von Michael Scott ist ein spannendes interkulturelles Geschichtsbuch, das ein wenig mehr Fokus auf das alltägliche Leben hätte vertragen können, meint unser Literaturkritiker Sören Heim
Wann – in der Schule, an der Universität oder in den Medien – erfahren wir je etwas über die Vernetztheit der Geschichte? Wo gibt es Kurse, Lehrpläne, Studienordnungen und Bücher, in denen derartige Interaktionen zwischen Kulturen in den Perioden der Alten – oder auch der Neueren – Geschichte thematisiert werden? Sehr vieles von dem, was wir uns als Gegenstand unserer Geschichtsstudien vornehmen, ist in strikte disziplinäre, zeitliche, geographische oder thematische Grenzen eingeschlossen, und das bedeutet, dass das Wissen über unsere Vergangenheit in klar voneinander geschiedenen Räumen erforscht, beschrieben und gelehrt wird, die scheinbar nichts miteinander zu tun haben (…),
schreibt Michael Scott im Vorwort seines Buches Welten der Antike. Das ist eine treffende Kritik und das Unterfangen, die Geschichte antiker Zivilisationen im engeren Zusammenhang darzustellen in jedem Fall ein nobles. Nicht nur, weil es den Blick dafür schärfen kann, dass Wechselwirkungen und gegenseitige Durchdringung von Nationalgeschichten nicht erst ein Phänomen der sogenannten „Globalisierung“ sind und dafür, dass es die gute alte Zeit der isolierten Kulturräume, so wie sie von Reaktionären vermittelt wird, nie gegeben hat. Sondern auch, weil man vieles auf diese Weise einfach besser versteht und tatsächlich auch sich besser merken kann. Die Geschichten miteinander wechselwirkender Reiche wie dem griechischen, dem persischen, dem römischen und etwa dem keltischen Kulturraum lässt sich im großen Zusammenhang mindestens genauso gut, wenn nicht besser lernen als die Geschichte jeweils nur eines dieser Kulturräume in der gleichen Zeit – einfach weil die kulturellen Wechselwirkungen viele Fragen und Wendungen in einem jeweils anderen Kulturraum aufklären, die von der isolierten Betrachtung eher verschleiert werden.
Warum China? – Warum nicht?
Scott ist es sicherlich ernst mit seinem Unterfangen, und zumindest die Art und Weise wie ausgerechnet Kriege halfen, die attische Demokratie und die römische Republik der Römer zu formen und wie die Zweite bei Ersterer in der Schule ging und gleichzeitig radikale Abwandlungen des Systems vornahm, sind durchaus gelungen und erhellend. Und auch Hinweise wie die, dass Karthago zur Zeit der Punischen Kriege wahrscheinlich demokratischer verfasst war als Rom, faszinieren. Auch wenn die Darstellung des Kriegsverlaufs dann weitgehend dem Schul-Geschichtsbuch folgt und Karthago nur als Gegner und eben nicht als komparativ behandelter Teil der antiken Welt vorkommt (gleiches gilt auch für andere Zivilisationen zwischen Rom und China, mit der Ausnahme von Indien, jedoch auch da nur insoweit es als Buddhismus-Exporteur nach China auftritt).
So legt denn auch bereits die Wahl des dritten Kulturraums, auf den der Fokus gerichtet wird, nahe, dass hier eher nach weltpolitischem Effekt als nach maximaler zu stiftender Erkenntnis ausgewählt wurde. Das parallel zu Rom und Griechenland entfaltete China der späten Zhou- und der Qin- Dynastie hatte nun mal in der im ersten Großkapitel behandelten Phase – wie auch der Autor zugibt – keinen Kontakt zu den anderen beiden Kulturräumen. Auch die rein zeitliche Parallele, dass mit dem Denken des Konfuzius ein Herrschaftssystem komplett umgestaltet wurde, ist eine nur scheinbare: Konfuzius blieb, auch das gibt der Autor zu, vorerst noch lang ohne Einfluss. Warum also China, mag man fragen. Andererseits natürlich: warum nicht? China und Rom werden ja später durchaus Kontakte knüpfen, die im Buch dann auch noch bedeutend werden. Wichtiger ist die Frage: Warum nichts anderes als China? Warum wird die griechisch-persische Wechselwirkung nicht näher beleuchtet, warum wird auf die anderen Mittelmeer-Anrainerstaaten nur als Kriegsgegner eingegangen, warum fehlte der ganze europäisch-keltische Kulturraum vollständig; der, wenn auch weniger straff organisiert, als Hochkultur zumindest bis ins 3. Jahrhundert vor Christus durchaus neben dem griechischen und römischen bestehen konnte und sowohl in der Kriegstechnologie als auch im Transportwesen auf Rom große Einflüsse hatte – sowie natürlich andererseits in den keltisch-griechischen, heute französischen, Mittelmeerstädten sowie später in der fast vollständigen Übernahme römischer Gepflogenheiten und Gesellschaftsstrukturen radikal von diesen umgewandelt (und eben nicht nur einfach vertrieben oder ausgerottet) wurde. Ebenfalls mindestens so bedeutsam wie das vergleichsweise isolierte China wäre sicherlich eine Darstellung des asiatischen Raumes zwischen Makedonien und Indien gewesen, dessen enge Verbindung im Buch zwar mehrfach angesprochen, doch nie expliziert wird.
Mehr Alltag wünschenswert
So liest sich Welten der Antike zwar definitiv gut (was auch mit einer manchmal zu literarischen Darstellung vorgeschichtlicher Kriege und Intrigen erkauft wird) und führt den uninformierten Leser leicht in die Geschichte dreier Reiche und deren Partner und Kontrahenten ein, die die Weltgeschichte bis heute geprägt haben. Und auch den informierteren Lesern erhellt Welten der Antike durch bisher womöglich unbekannte Zusammenhänge, während der westlich fixierte Laienhistoriker seine Perspektive auf den chinesischen Raum erweitern darf. Das Buch, als dass es sich ankündigt, ist es allerdings nicht. Dazu wäre auch eine größere Konzentration auf die Beeinflussung der Kulturräume jenseits von Kriegen, Verhandlungen und den Transfer von Herrschaftswissen nötig gewesen. Welchen Einfluss hatte der Osthandel auf die Tagesgeschäfte der Menschen im römischen Imperium? Können wir etwas darüber sagen, inwiefern die Erweiterung der Horizonte das Denken veränderte? Usw. – solche Fragen kommen mir in Die Welten der Antike deutlich zu kurz. Ein Buch wie der Einführungsband von Die Geschichte des privaten Lebens von Aries und Duby erledigt die Aufgabe, die sich Michael Scott stellt, da schon deutlich detailfixierter, ohne länger zu sein. Fordert zugegebenermaßen dann aber auch weit mehr an Vorwissen.
Welten der Antike ist eine spannende Einführungslektüre mit einem erfrischenden Ansatz, die allerdings ein wenig zu sehr an der Oberfläche verharrt. Einen besseren Überblick darüber, wie Expansion, Kriege, Bürgerkriege und Bündnisse den politischen Raum von Europa bis Ostasien verändert haben und die Entwicklungen in China auch noch auf das römische Reich wirken konnten und andersherum wird man in dieser Kompaktheit allerdings wohl derzeit nicht bekommen.
Schreibe einen Kommentar