Der Letzte macht das Licht aus
Wenn man durch Südamerika reist, trifft man überall Venezolaner. Weil es mit dem Land steil bergab geht und die Gewalt eskaliert, entscheiden sich immer mehr Menschen, Venezuela zu verlassen. In Kolumbien, Peru oder Chile üben sie oft gering bezahlte Jobs aus. Trotzdem sind sie glücklich, wieder genug zu essen und eine Perspektive für ihr Leben zu haben.
Der Flughafen Balmaceda im chilenischen Patagonien ist in etwa so groß wie die Bahnhofshalle einer deutschen Kleinstadt, genauso zugig und ähnlich heruntergekommen. Immerhin gibt es dort eine Cafeteria, durch die der Wind ebenso bläst wie durch den Rest der Flughafenhalle. Dort arbeitet Ros, eine junge Venezolanerin. Als Kellnerin in so einem Lokal zu arbeiten, dürfte eher nicht der Lebenstraum einer intelligenten jungen Frau sein. Ros ist aber froh, den Job zu haben. In einem zugigen Café, ausgerechnet in Chile, einem Land, dessen Gesellschaftsordnung wohl am ehesten dem entspricht, was der frühere tschechische Staatspräsident Vaclav Klaus einmal „Marktwirtschaft ohne Adjektiv“ nannte.
In ihrer Heimat, dem sozialistischen Venezuela des charismatischen Großsprechers Hugo Chavez und seines unfähigen Nachfolgers Nicolas Maduro, hatte Ros Medizin studiert und sich auf eine Karriere als Ärztin vorbereitet. Inzwischen ist nicht nur das venezolanische Gesundheitssystem zusammen gebrochen, selbst an den gängigsten Medikamenten mangelt es, auch sehen immer weniger junge Venezolaner eine Zukunft in ihrer Heimat. Nach beinahe 20 Jahren sozialistischer Herrschaft ist das einstmals reichste Land Südamerikas zu einem gescheiterten Staat geworden, dessen Bevölkerung der mittlerweile de facto diktatorisch regierende Machthaber Maduro nur noch mit Hilfe von Polizei, Militär und informellen Schlägertrupps einigermaßen unter Kontrolle halten kann.
Immer Venezolaner flüchten aus ihrem Land
Wer kann, der haut ab aus einem Land, in dem es kaum mehr etwas zu kaufen gibt und das 2017 mit einer Inflationsrate von über 2600 Prozent weltweiter Spitzenreiter bei der Geldentwertung war. Und bei Spiegel-Online war in diese Woche zu lesen, dass die Zahl der Proteste infolge der Versorgungskrise und der Ausschaltung von Parlament und Opposition durch Maduros Regierung im vergangenen Jahr auf ein Rekordhoch gestiegen ist. Die auf Konfliktstudien spezialisierte Organisation „Observatorio Venezolano de Conflictividad Social“ (OVCS) teilte Spiegel-Online zufolge mit, dass im Jahr 2017 insgesamt 9787 Demonstrationen und andere Arten von Protestaktionen gezählt wurden. Auch dies dürfte weltweit ein Spitzenwert sein.
Und so hat nicht nur Flughafenkellnerin Ros das Land der leeren Regale und der geplatzten Träume verlassen. Eine ganze Generation ist dabei, mit den Füßen gegen den real existierenden Sozialismus à la Chavez und Maduro abzustimmen. Viele zieht es in die Nachbarländer Kolumbien und Brasilien. Andere gehen weiter weg, in die USA, nach Europa, nach Chile oder sogar nach Peru, auf das die Venezolaner noch vor ein paar Jahren eher mittleidig herab geschaut haben, das aber während der aufeinanderfolgenden Regierungszeiten mehrerer wirtschaftsfreundlicher, liberaler (Toledo, Kuczynski) oder sozialdemokratischer (Garcia, Humala) Präsidenten eine wahre Wachstumsrallye hingelegt hat.
Starbucks statt Sozialismus
Mittlerweile trifft man in den Coffeeshops von Lima oder Santiago de Chile ständig junge Venezolaner, die dort Kaffee aufbrühen anstatt in Caracas unter der krisenhaften Entwicklung infolge von Chavez` Sozialismus des 21. Jahrhunderts leiden zu müssen. Auch bei jedem zweiten Tankstopp füllte mir ein geflüchteter Venezolaner das Benzin in den Wagen. Und auf meine Frage, ob es ihnen schwer falle, in der Fremde einem eher schlecht bezahlten Job nachzugehen, sagten mir alle unisono, dass dies auf jeden Fall besser sei, als mit dem Failed State Venezuela weiter in die Misere abzurutschen.
Auch Ros berichtete mir, dass sie glücklich sei, in Chile wieder ein normales Leben leben zu können und eine Perspektive für ihr Leben zu haben. Und wenn es nur eine Arbeit in einer windigen Flughafencafeteria ist. Mit Tränen in den Augen fügte sie hinzu, wie sehr sie ihren bereits in Chile lebenden Verwandten dankbar sei, dass sie ihr das Geld für die Reise in den Andenstaat vorgestreckt hätten. Sie ist überzeugt: Immer mehr wollen weg, nur weg aus Venezuela. Falls sich Maduro oder ein ähnlich aufgestellter Nachfolger noch lange halten, dann, so befürchtet Ros, könnte irgendwann der Letzte das Licht in ihrer Heimat ausmachen.
Schreibe einen Kommentar