Danielle Darrieux und die Nichtigkeit der Liebe
Unser Filmexperte lobpreist eine der schönsten französischen Schauspielerinnen und erklärt ihre Kunst
Der schönste Film der ersten 100 Jahre Kinogeschichte – ach was soll der Geiz, nur die Lumpen sind bescheiden – der schönste Film der ganzen 121jährigen Filmgeschichte, „Madame de…“ von Max Ophüls, endet mit einer eleganten Kamerawalzerfahrt auf einem Seitenaltar in einer Kirche. Dort liegen die beiden Ohrringe, die im Film als schwindelerregende Metaphern flüchtiger Liebe so oft die Besitzer wechselten. Eine kleine Tafel daneben weist darauf hin, wer sie gespendet hat: „Don de…“ – doch die Kamera stoppt ihre Fahrt bevor sie den Namen zeigt und der Walzer zerfließt in drei tiefen Glockenschlägen…
Wie „Madame de…“ hieß erfahren wir den ganzen Film über nicht – aber wir haben erfahren, wer sie war, tief hinein bis in ihr anfangs so nichtiges Herz, das ihr am Ende versagte. Einen Namen haben uns also die Autorin der Vorlage, Louise Vilmorin und der Regisseur Max Ophüls nicht gegeben – dafür aber ein Gesicht. Und auch dieses Gesicht wird uns am Beginn, mit einer der schönsten Kamerafahrten, die je gedreht wurde, nur zögerlich gegönnt….
Als erstes Bild sehen wir jene Ohrringe, die Madame de gehören…und sie plappert über den Wert des Geschmeides, ihr Herz hängt nicht dran, man könnte sie versetzen, aber vielleicht doch nicht, denn sie sind von ihrem Mann, dann doch lieber das Granatkreuz, das sie aus einer Schatulle fischt, das aber ist von Maman, non das kann sie nicht verkaufen – und wir wissen gleich, daß sie Geld für ihre Geheimnisse braucht, die zweifellos wohlhabend verheiratete Madame. Das Kreuz kann sie doch nicht entbehren – am Kreuz hängt ihr Herz, sagt sie eher sich selbst als uns, jedenfalls will sie es glauben. Die Pelze vielleicht, ach nein, die gehören zur Garderobe der Dame von Stand…und so fort huscht sie durchs Boudoir und wir sehen ihre Hände flattern, hören ihr Mündchen plappern, sehen durch ihre Augen wie ihr Blick hin und her hascht, entdecken in Scheiben und Spiegelfacetten ihr feines, nicht mehr ganz junges, aber doch distinguiertes Gesicht, ihre charmante Coiffure und ihr elegantes Costume mit Cul…und enden wieder auf den Ohrringen – nur immer eine Kreisbewegung und ein Kreisgedanke, was sie denn nun entbehren mag, damit sie Schulden bezahlen und verbergen könne. Ein Walzer ohne Musik, einer der Blicke – und mit einem Mißton: es sind eben doch die Schmuckstücke, die ihr der Gatte (nicht ihr Mann, möchte man sagen) geschenkt hat: die Ohrringe – die kann sie entbehren.
Natürlich macht das Kameramann Christian Matras mit unvergleichlich schwebender Präzision…aber diese allerfeinste cinematographische Broderie, diese Arabeske aus Charme, wäre nicht so gut gelungen ohne Danielle Darrieux. Sie ist die Dame ohne Namen.
Nichts ist schwerer als das Leichte, das nahezu Paradoxe zu spielen: ein Wesen nicht mehr ganz Jungmädchen – doch immer noch flatterhaft, sozusagen ein Alabasterhautundhaar und Brüsseler Spitze gewordenes Lächeln, ein Lächeln ohne Unergründlichkeit (davon gibt es schon zu viele in der Kulturgeschichte, Liebe Lisa).
Ihre Aufgabe, so sagte Max Ophüls, der sich wie kaum ein anderer auf das cinematographische Zaubern verstand, jene Kunst, die das Nichts verbirgt und vortäuscht es sei etwas wie Liebe, die Aufgabe für Danielle Darrieux also, sei schwer – sie müsse mit Schönheit, Charme und Eleganz die absolute Leere, die Nicht-Existenz verkörpern… und ich ergänze, sie mußte Bedeutung vortäuschen in einer Welt, die bedeutungslos ist. Es gelang.
Danielle Darrieux ist die Gattin eines hohen Militärs im Ministerium; man führt eine gediegene Ehe, jeder hat seine Affären, besucht elegante Bälle und glamouröse Theatervorstellungen bis Madame dem Diplomaten Graf Donati begegnet. Gewiß, da es sich um nichts Ernstes, wieder mal bloß um eine amouröse Nichtigkeit handelt, gestattet der Gatte ihr den Besuch ein um des anderen Balls mit dem Grafen. Und damit er ja nicht langweilt, zeigt uns Ophüls diese Bälle wie einen einzigen, zeigt uns das Verlieben als Walzer, und die Kamera ist der lebendig gewordene Walzer. An jedem der Abende während Graf und Madame sich immer enger wiegen, fragt der Diplomat diplomatisch (und wir lernen die Diplomatie auch im Privatleben als Kunst der zelebrierten Bedeutungslosigkeit, die Bedeutung vorspiegelt, kennen), wie es denn dem verehrten Gatten der Madame gehe und sie bedankt sich jedes Mal mit gleicher Höflichkeit aber stets um Nuancen anders – das Bild des Ehemannes verblaßt und das des Geliebten gewinnt an Kontur.
Als Zeichen seiner Liebe schenkt der Graf Madame de ausgerechnet jene Ohrringe, die ihr einst der Gatte dediziert hatte und denen sie keine Bedeutung mehr beimaß. Durch einen Coup de Theatre im Theater hat sie sie verschwinden lassen, um sie unter der Hand zu verkaufen. Nun gelangten aber ausgerechnet durch den Opportunismus des Juweliers diese Ohrringe wieder in die Hände des Gatten, der sie wiederum seiner Geliebten als Abschiedsvertröstung schenkt und von da auf wundersam glaubhafte Weise schließlich in den Besitz des Grafen – fragt mich nicht, natürlich ist alles das möglich und wahr, dieser Film zeigt uns doch, daß die Unwahrscheinlichkeit – vor allem die Unwahrscheinlichkeit der Liebe – wahr und nicht wahr ist.
Nun haben die Ohrringe für Madame tatsächliche Bedeutung erlangt – aber gerade deswegen kann sie sie nicht mehr tragen, verschweigt aber den Grund dafür – die Geschichte jenes Schmucks – dem Grafen…. Und das führt auf weiteren wundersam-wahren Wendungen zum Verlust der Liebe. Der Graf wendet sich ab, was Madame wiederum kränkt bis sie kränkelt und den Gatten wieder affiziert weil er sie leiden sehen will und nicht kann…kurz und grandios gut, so fordert er den Liebhaber zum Duell, vielleicht aus gekränkter Gatteneitelkeit, vielleicht aber auch weil er aus Liebe die Liebeskränkung seiner Gattin rächen will…
Der Graf überlebt den Waffengang im Morgengrauen – so gehört es sich, im tristen Herbstwald mit Nebel und Kutschen – nicht. Madame, die nur den einen Schuß des Herausforderers von Ferne hört, bricht zusammen. Es steht zu vermuten daß sie verschied.
Was für eine Petitesse an Erzählung, was für ein schöner Film – und würde nicht Danielle Darrieux die Madame gespielt haben, er wäre nicht so schön. Mag sein, daß es bessere französische Schauspielerinnen zu jener Zeit gegeben hat (was ich mit Inbrunst leugne), jüngere sicher, schönere vielleicht, aber keine anmutigere und glaubhaftere.
Als sie den Film 1953 drehte war Danielle Darrieux bereits 20 Jahre auf der Leinwand zu sehen. Ganz jung in einem der ersten Filme von Billie Wilder, dann ging sie nach Hollywood und wurde an Garbo und Dietrich gemessen und kam zurück nach Frankreich. Schon einmal spielte sie neben Charles Boyer der in „Madame de…“, soignierter kann man nicht sein, ihren Gatten gibt, die tragische Aversseite der Madame , die junge Mary Vetsera die mit Kronprinz Rudolf in Mayerling in den Tod geht…spielte am Broadway Coco Chanel und spielte in Jacques Demys bezaubernd trist-buntem Musical „Die Regenschirme von Cherbourg“ und spielte bis in ihre letzten Lebensjahre – 2002 noch in Luc Bessons „8 Frauen“ und lieh neunzigjährig ihre Stimme der Großmutter in dem politischen Animationsfilm „Persepolis“. Sie war immer präzise und glanzvoll, immer Dame, auch in schäbiger Garderobe – aber ihren Triumph erreichte sie 1953 mit Max Ophüls´ in „Madame de…“ und setzte mit ihm gemeinsam eine gleichsam vorausgeschickte Fußnote ein Jahr zuvor in dem Episodenfilm „Pläsir“. Ihre zarte, etwas dümmliche, aber herzensvolle Provinz-Prostituierte Rosa aus dem Maupassant´schen „Haus Tellier“ war nur oberfläch betrachtet das Gegenteil der adeligen Madame… Beide wissen im Tiefsten, daß es keine Liebe gibt und dennoch hoffen sie darauf. Gleichzeitig haben beide ihre Hoffnungen vergraben, die eine die Hoffnung auf eine zufriedene Ehe mit einem ländlichen Handwerker und Kind, die andere ihre Hoffnung auf die große Liebe mit dem charmanten Beau und Lebemann, der trotzdem die Treue hält.
Was also haben wir Danielle Darrieux zu verdanken? Etwas, was vielleicht nur Catherine Deneuve mit ebensolcher französischen Leichtigkeit darstellen könnte – und zwar auch in allen Altern ihrer Karriere – die so lange dauern könnte wie von Darrieux, Deneuve hat bereits 50, Darrieux aber 80 Jahre geglänzt….
Was war es…haltet Euch fest, das wollt ihr nicht hören: Danielle Darrieux hat uns auf zärtlichste Weise gezeigt daß es keine Liebe gibt, daß wir einsam sind, daß es nur aufregende Phantasmen der Zuneigung gibt, Illusionen der Treue und die Taschenzauberei der vorübergehenden Geborgenheit.
Wissen Sie wie es klingt, wenn ein Glastropfen in einem Lüster zerbricht? So einen Laut, so eine Lebenserkenntnis hat Danielle Darrieux verkörpert und war gleichzeitig ein Trost mit Schönheit, Charme und Eleganz, jenen Eigenschaften die uns die Nichtigkeit des Lebens, von der Max Ophüls zu ihr während der Dreharbeiten zu „Madame de…“ sprach, ertragen lassen.
Ob nun ihr eigenes Leben, wie es uns die Nachrufe erklären, reich war an Erfolgen, Affären, Skandalen und Ehen wollen wir gar nicht wissen. Mit „Madame de“ hat Danielle Darrieux es für 90 Filmminuten geschafft uns glauben zu lassen, daß es die Liebe, die tatsächlich nicht existiert (von den Tagen der Mütterlichkeit bis in die Tage des Vergrauens) doch gibt…im Film, in der Literatur, im Walzer, den sie als Madame de tanzt, in der Kamerabewegung, die zum stehen kommt mit den letzten Takten dieses Walzers und den drei schweren Glockenschlägen am Ende.
Am 17. Oktober ist Danielle Darrieux einhundertjährig gestorben.
Und damit alle sehen, wie sehr ich Recht habe:
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