Ich würde nie zu RB Leipzig gehen

In zwei Wochen beginnt wieder die Bundesliga. Dann erstmals mit dabei: RB Leipzig. Für viele Fans sind „Roten Bullen“ aber ein rotes Tuch. De facto beherrscht wird der Verein vom Brausehersteller Red Bull, der mit dem Klub natürlich auch Geld verdienen will.


„Was für Eltern muss man haben, um so verdorben zu sein, einen Vertrag zu unterschreiben bei diesem Sch…Verein. Wir würden nie zum FC Bayern München gehen.“ So lautet der Refrain eines bekannten Liedes der „Toten Hosen“. Als der Song 1999 veröffentlicht wurde, fielen meine inneren Reaktionen ähnlich scharf aus wie die öffentlichen Äußerungen des damaligen Bayern-Präsidenten Uli Hoeneß: Oh Gott, was für ein Mist.

Auch andere müssen Anstoß an dem Spottlied genommen haben. Denn, wie „Hosen“-Frotmann Campino später zugab, verkauften sich die Songs der Band in Süddeutschland fortan schlechter. Dabei berührte mich das Lied – als Hesse und Fan von Eintracht Frankfurt – weder emotional noch regional, ich fand es nur in der Sache völlig daneben. Denn der FC Bayern München ist alles andere als ein großkotziger, asozialer Klub, der sein Geld einem Großmogul verdankt.

Bayern München: Erfolg aus eigener Kraft

Anders herum wird eher ein Schuh draus: Dank einer professionellen Vereinsführung, einem Auge für Talente und vor allem Management-Genies wie Robert Schwan und eben Uli Hoeneß arbeiteten sich die Bayern von der Nummer 2 in München zur unumstrittenen Nummer 1 in Fußball-Deutschland und zur festen Größe in Europas Spitzensport hoch. Anders als die Top-Teams in England, Spanien oder Italien brauchen die Münchner für ihre Erfolge auch keinen russischen Oligarchen (FC Chelsea), keinen US-Tycoon (Manchester United), keinen gnädigen Fiskus (Real Madrid) und keinen Großkonzern im Rücken (Juventus Turin).

Die Bayern sind ein „Selfmade-Klub“ und stolz darauf, bei ihrer Hausbank Stammgast der Anlageberatung und nicht der Kreditabteilung zu sein. Zudem galten die Bayern – zumindest bis zum Gastspiel von Pep Guardiola – als sozial orientierter Verein, der einen vorbildlichen Umgang mit seinen Spielern pflegte. Dafür sprachen Fälle wie der des schwer erkrankten Ex-Profis Lars Lunde. Persönlich wachte Hoeneß über die Genesung des Dänen. Und den alkoholsüchtig gewordenen Ex-Weltmeister Gerd Müller holte der Bayern-Patriarch aus den USA zurück und gab ihm eine Anstellung im Trainerstab. Man kann den FC Bayern ob seiner Dominanz mögen oder ablehnen – aber eine Schmähung wie im Lied der „Toten Hosen“, das hat dieser extrem professionell und menschlich geführte Verein nicht verdient.

RB ähnelt Fußball-Franchise fast wie in USA

Nun, da in zwei Wochen die neue Bundesliga-Saison beginnt und erstmals auch RB Leipzig mitspielen darf, fiel mir das Lied der „Hosen“ wieder ein. Und ich fand, dass ich mich zumindest mit Teilen des Songs arrangieren könnte, wenn man darin ein paar Buchstaben austauscht: „Wir würden nie zu RB Leipzig gehen.“

Anders als Bayern München ist RB Leipzig keine Traditionsmannschaft, die es aus eigener Kraft nach oben geschafft hat. Anders als Bayer Leverkusen oder der VfL Wolfsburg sind die „Roten Bullen“ aber auch keine Werksmannschaft, in der sich zu früheren Zeiten die Fabrikarbeiter und deren Angehörige fit hielten. Am ehesten entsprechen die „Roten Bullen“ einer Franchise, wie es sie im US-Sport gibt und die dort investiert, wo es einen kommerziell erfolgsversprechenden Markt gibt. Nur tarnt sich der Leipziger Ableger des österreichischen Red Bull-Konzerns als Verein, vor allem um die Statuten des Deutschen Fußballbundes DFB zu umgehen.

Ostdeutsche Band wagt Affront gegen „Rote Bullen“

Zwar ist die Freude groß in Leipzig und Umgebung über den neuen Bundesligisten und die Möglichkeit, nun regelmäßig Spitzenfußball vor der Haustür zu haben. Doch selbst im Rest von Ostdeutschland kommen die „Bullen“ nicht überall an. Als die Leipziger im Mai ihren Aufstieg feierten, trat die Berliner Band „Silly“ in den Trikots ostdeutscher Traditionsmannschaften wie Dynamo Dresden oder Union Berlin auf. Eine gezielte Provokation, wie manche mutmaßen. Und seit Jahren kritisieren Verantwortliche anderer Vereine und Sportjournalisten, dass sich bei RB Leipzig Vereinspolitik mit den Marketinginteressen eines Unternehmens vermischt.

Schaut man sich einmal genau die Strukturen an, wie sie etwa auf der Internet-Seite des Vereins und dem Wikipedia-Eintrag über RB Leipzig zu entnehmen sind, erhält man durchaus erhellende Eindrücke. Aufschlussreich sind auch Berichte des „Spiegels“ und des Magazins „11Freunde“

50+1-Regel in der Kritik

Im Fokus steht die 50+1-Regelung. Nach dieser Vorschrift ist es Kapitalanlegern nicht möglich, die Stimmenmehrheit bei Kapitalgesellschaften zu übernehmen, in die Fußballvereine ihre Profimannschaften ausgegliedert haben. Erlaubt ist hingegen, dass sich die Mehrheit des Kapitals im Besitz privater Investoren befindet. So hält beispielsweise Borussia Dortmund an seiner eigenen Bundesligamannschaft, die als börsennotierte Kommanditgesellschaft auf Aktien ausgegliedert ist, nur 5,53 % des Kapitals.

Aber was nutzt eine solche Regelung wenn ein ganzer Verein faktisch nur ein Instrument in der Hand eines Brauseherstellers ist? RasenBallsport Leipzig e. V., wie der Klub offiziell heißt, wurde 2009 auf Initiative der Red Bull GmbH gegründet. In Leipzig und in der Liga spricht man aber meist nur von den „Bullen“ oder den „Roten Bullen“. Manche sagen auch, in einem Anflug von Ehrlichkeit: Red Bull.

RB hat kaum Mitglieder

Der neue Verein übernahm zur Saison 2009/10 das Startrecht des SSV Markranstädt in der fünftklassigen Oberliga Nordost. Die Lizenzspielerabteilung ist seit dem Aufstieg der ersten Mannschaft in die 2. Bundesliga 2014 in die RasenBallsport Leipzig GmbH ausgegliedert, deren Gesellschafter zu 99 Prozent die Red Bull GmbH und zu einem Prozent der Verein sind. Da auch die Vereinsmitglieder in enger Beziehung zu Red Bull stehen, wird der Klub de facto von der Red Bull GmbH beherrscht. Damit sich das auch nicht ändert, wird die Zahl der Mitglieder mit Stimmrecht bewusst klein gehalten. Und wer ein solches Stimmrecht bekommt, dürfte mit Sicherheit „auf Linie“ sein.

Im Rahmen der Lizenzvergabe für die 2. Fußball-Bundesliga gab der Ligaverband dem Verein mehrere Auflagen vor, unter anderem die Klubführung neu zu strukturieren. Fortan eröffnete RB Leipzig erstmals die Möglichkeit, offizielles Fördermitglied zu werden. Der Jahresbeitrag liegt Berichten zufolge zwischen 70 und 1000 Euro und dient der Förderung des Nachwuchsbereichs. Ein Stimmrecht haben die Fördermitglieder Medienberichten zufolge jedoch nicht. Im März diesen Jahres schrieb die „Leipziger Volkszeitung“ unter Berufung auf RB-Vorstand Oliver Mintzlaff, dass der Verein 17 stimmberechtigte Mitglieder habe. Ein Traditionsklub wie Schalke 04 dürfte in jedem durchschnittlichen Gelsenkirchener Wohnblock auf mehr kommen. Hinzu kämen bei RB Leipzig etwa weitere 300 Fördermitglieder. Die selbe Summe übertrifft Borussia Dortmund mit Sicherheit bereits in einem kleineren Stadtteil von Lüdenscheid.

Ende von Elf-Freunde-Romantik

Und so führt der Bundesliga-Einzug von RB Leipzig auch dem letzten Fußballfan vor Augen, wie sehr sich sein Lieblingssport von der Elf-Freunde-Romantik eines Sepp Herberger oder eines Fritz Walter entfernt hat. Neben den Sachsen tummeln sich ja mit Wolfsburg (Volkswagen), Leverkusen (Bayer AG), Hoffenheim (SAP) und Ingolstadt (Audi) bereits vier andere Quasi-Werksmannschaften in der höchsten Spielklasse, während Charakterklubs wie Kaiserslautern, Bochum, Braunschweig, St. Pauli, Düsseldorf, 1860 München und Karlsruhe fast schon zum Inventar des Unterhauses zählen. Dort sind zuletzt noch Größen wie der VfB Stuttgart und Hannover 96 eingezogen. Und Teams wie Werder Bremen oder Eintracht Frankfurt, die noch in den 90er Jahren zu den deutschen Aushängeschildern der Bel-Etage zählten, mussten vergangene Saison bis Schluss um den Klassenerhalt zittern.

Spätestens jetzt sollte der DFB seine 50+1-Regel auf den Prüfstand stellen. Diese wurde zwar eingeführt, um den Mitgliedervereinscharakter der Bundesliga zu erhalten. Aber was ist das für ein Schutz, der Traditionsvereinen Wettbewerbsfähigkeit nimmt und sie zu niederklassigen Schatten einstiger Größe werden lässt, während ein österreichischer Brausehersteller oder ein badisches Softwarehaus in der Provinz ihre Retortenklubs designen können. Das ist etwa so halbgewagt, wie das deutsche Ladenschlussgesetz, das Handelskonzerne in ihren Geschäftsmöglichkeiten beschneidet, Tankstellen aber gleichzeitig zu Supermärkten mit Zapfsäule mutieren lässt. Wenn Traditionswahrung, dann bitte richtig: ohne zweifelhafte Hybridmodelle wie RB.

Gleiche Chancen für alle!

Will man dagegen erfolgreichen Profi-Fußball – mit all seinen Konsequenzen -, dann darf man den Traditionsvereinen, die das Salz in der Liga-Suppe sind, nicht die finanzielle Weiterentwicklung verwehren. Sie müssten gleichberechtigte Zugangsmöglichkeiten zu Investorengeldern bekommen. Deshalb: Schluss jetzt mit Traditions-Heuchelei und Vorschriften, die nur noch die Fassade überkommener Vereinsseeligkeit wahren. Mit umfassenden, aber fairen und transparenten Regelungen für Sportinvestoren wäre es vielleicht auch den echten Leipziger Traditionsteams – wie Lok oder dem VfB  – gelungen, sich im Profi-Fußball zu etablieren. Vielleicht hätten dies auch andere ostdeutsche Klubs wie Dynamo Dresden oder Hansa Rostock geschafft, die sogar ohne Großsponsor schon einmal Bestandteil der Bundesliga waren. Niemand hätte da RB Leipzig gebraucht.

Zum Schluss noch eines: Ich habe nichts gegen Leipzig, nur gegen RB. Daher – in abgewandelter Form – noch einmal eine Passage aus dem Lied der „Toten Hosen“: „Ich will nur mal klarstellen, damit man mich richtig versteht. Ich habe nichts gegen Leipzig. Ich würde nur nie zu den Roten Bullen gehen…“

 

 

Andreas Kern

Der Diplom-Volkswirt und Journalist arbeitet seit mehreren Jahren in verschiedenen Funktionen im Bereich Öffentlichkeitsarbeit. Kern war unter anderem persönlicher Referent eines Ministers, Büroleiter des Präsidenten des Landtages von Sachsen-Anhalt sowie stellvertretender Pressesprecher des Landtages. Er hat nach einer journalistischen Ausbildung bei einer Tageszeitung im Rhein-Main-Gebiet als Wirtschaftsredakteur gearbeitet . Aufgrund familiärer Beziehungen hat er Politik und Gesellschaft Lateinamerikas besonders im Blick. Kern reist gerne auf eigene Faust durch Südamerika, Großbritannien und Südosteuropa.

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