Längst nicht das Ende der AfD!

Am Antisemitismus werde die AfD scheitern, liest man die Tage. Das wäre, als würde man einen Stürmer auswechseln, weil er Tore schießt, findet Kolumnist Sören Heim


In den letzten Tagen häuften sich Kommentare, die der Alternative für Deutschland nun aber wirklich den endgültigen Niedergang voraussagten. Bei Harald Martenstein mag persönliches Wunschdenken mit rein spielen. So viel Mühe hatte der sich gegeben, als querschießender nicht rechter Scharfmacher wahrgenommen zu werden, dass es schmerzen muss seit dem erstarken der Partei wieder wie ein relativ vernünftiger älterer Herr im Mainstream zu wirken. Aber auch Liane Bednarz, die mit am längsten rechte Strömungen in der AfD offenlegte und die derzeitige Entwicklung relativ früh prognostiziert hat, hegt ähnliche Vorstellungen, und in der TAZ schreibt Stefan Reinecke:

„…der Aufstieg der Rechtspopulisten kann mit dem Austritt von Parteichef Jörg Meuthen und einem Dutzend Abgeordneten aus der AfD-Fraktion in Baden Württemberg vorbei sein. Spaltungen und innere Kämpfe wirken auf das rechtsbürgerliche Publikum, das es lieber aufgeräumt mag, ohnehin deprimierend. “

Hintergrund ist natürlich das antisemitische Machwerk von Wolfgang Gedeon, dessen öffentliche Skandalisierung lange nach Erscheinen tatsächlich zumindest die Baden-Württembergische Landtagsfraktion der AfD zerrüttet. Gleichzeitig bieten sich für die Freunde der Partei schon jetzt wieder passende Narrative an, wie man trotzdem zur Alternative halten kann. Jörg Meuthen immerhin habe klare Kante gezeigt, sagen die, die mit derart offenem Rechtsradikalismus dann doch noch nicht ganz ihren Frieden gemacht haben, Frauke Petry verteidige auch bei einem so schwierigen Thema zuerst einmal die Meinungsfreiheit, freuen sich andere.

Kurz: Dass eine rechte Partei über Antisemitismus stolpern sollte scheint angesichts der bisherigen Reaktionen unwahrscheinlich und wäre zudem so paradox wie einen Stürmer auszuwechseln, weil der Tore schießt.

Tabubrüche auf dem Weg zum Erfolg

Aber schauen wir doch mal einen Moment zurück. Gegründet wurde die Alternative für Deutschland 2014 mit Bernd Lucke, Frauke Petry und Kondrad Adam als Dreifachspitze. Adam wurde früh von links kritisiert, hatte er sich doch zuvor unter anderem schon 2006 dadurch hervorgetan, dass er in der Welt das Zensuswahlrecht in ein postives Licht rückte:

„Erst später, mit dem Aufkommen der industriellen Revolution und seiner hässlichsten Folge, der Massenarbeitslosigkeit, ist die Fähigkeit, aus eigenem Vermögen für sich und die Seinen zu sorgen, als Voraussetzung für das Wahlrecht entfallen. Ob das ein Fortschritt war, kann man mit Blick auf die Schwierigkeiten, die der deutschen Politik aus ihrer Unfähigkeit erwachsen sind, sich aus der Fixierung auf unproduktive Haushaltstitel wie Rente, Pflege, Schuldendienst und Arbeitslosigkeit zu befreien, mit einigem Recht bezweifeln.“

Bernd Lucke sprach bei Hart aber Fair derweil unter anderem von „Entartungen von Demokratie und Parlamentarismus“, und zweifelte die „Integrationsfähigkeit“ von Sinti und Roma an. Beides hat in Deutschland eine lange Tradition, die man nicht auf die Jahre des Nationalsozialismus reduzieren kann, was die Sache aber nicht besser macht. Antiparlamentarismus und kaum unterschwelliger Rassismus: Es hat der AfD nicht geschadet.

Ausweitung der Kackzone

2015 wurde Lucke abgesägt. Unter anderem auch, weil er sich dann doch irgendwann gegen die offen Rechtsradikalen in der Partei stark machte. An der Spitze folgte ihm Frauke Petry. Die öffentliche Wahrnehmung dominieren derweil Alexander Gauland – Sie wissen, das ist der mit dem „Nachbarn“ –, Beatrix „Mausgerutscht“ von Storch, nach deren heftigsten Entgleisungen sie selbst googeln dürfen, und everybodys Darling Björn Höcke, der Sunnyboy mit den stahlblauen Augen. Höcke hat bis heute keine eidesstattliche Erklärung abgegeben, dass er nicht mit dem bekennenden Neonazi-Leserbriefschreiber Landolf Ladig identisch sei, wie es Recherchen von Andreas Kemper nahe legen, und wie es vor dem Abschuss von Lucke die Parteispitze von ihm forderte. Er pflegt einen an Träume vom tausendjährigen Reich gemahnenden Pathos, den der Kollege Wallasch hier nachgezeichnet hat, und legt unter anderem erstaunliches, scheinbiologisches Fachwissen zu unterschiedlichen Reproduktionsstrategien unter verschiedenen Menschengruppen an den Tag. Diese offen rassistischen Vorstellungen schadeten der Partei ebenso wenig, wie ihr wohl von Storchs Fußballtweet vom Donnerstag schaden wird, der kaum anders zu lesen ist denn als Vorwurf an die deutsche Nationalmannschaft, nicht reinblütig deutsch genug zu sein.

Bisher hat noch jede Ausweitung der Kackzone dieser Partei einen Zuwachs an Zuspruch, keine Einbußen, gebracht. Entschuldigung… schrieb ich Kackzone? Gut… kann eigentlich so stehen bleiben.

Vom neuen zum alten Antisemitismus?

Und nun soll ihr der Antisemitismus schaden, der doch an der Basis längst nur auf seine Chance wartete? Ich glaube nicht daran. Einerseits, weil ein antisemitischer Bodensatz, der sich noch in obzessiver „Israelkritik“, Gejammere über Auschwitzkeulen und Holocaustindustrie, personalisierender Kapitalismuskritik und Furor gegen die amerikanische Ostküste austoben muss, irgendwann auch wieder für ein offen antisemitisches Projekt aktiviert werden wird, und anhaltende Krisenzeiten wie die unseren sind dafür mehr als günstig. Zweitens, weil selbst die zum Beispiel mehrfach auf Facebook im Zusammenhang mit der AfD aufgeführten Präzedenzfälle dafür, wie sich selbst ins Abseits stellt, wer an antisemitische Topoi andockt, einer näheren Betrachtung kaum standhalten. Martin Hohmann etwa wurde zwar aus der CDU ausgeschlossen, fand aber durchaus Unterstützung auch bei hochrangigen Parteimitgliedern. Martin Walsers Paulskirchenrede war nicht die einhellig verurteilte Abweichung von der Norm, als die man sie heute vielleicht erinnert, sondern fand Fürsprecher unter anderem bei der Süddeutschen, der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und beim Spiegel, wobei auch kaum kaschierte antisemitische Stereotype bedient wurden. Gewiss ist Gedeon wohl ein ganz anderes Kaliber, aber die Zeit ist eben auch eine andere.

Die AfD wird uns erhalten bleiben. Rechtskonservative und Völkische legen sich, s.o., schon ihre jeweiligen Narrative zurecht. Und solange Flüchtlings- und Wirtschaftskrise dem Affen weiter Zucker geben und Medien verlässlich als Multiplikatoren des radikalsten Verbaldurchfalls wirken, hat diese Partei eine Zukunft. Aber das ist eine dieser Prognosen bei denen ich mich von der Geschichte gern eines besseren belehren lasse.

Sören Heim

Sören Heim ist Journalist, Übersetzer und Schriftsteller. Er ist Träger des kosovarischen Preises für moderne Dichtung „Pena e Anton Pashkut“ (Stift des Anton Pashku) und des Sonderpreises „Favorit von Daniel Glattauer“ der art.experience 2014. In HeimSpiel schreibt Sören Heim mit Heimvorteil zu den Schnittpunkten von Kunst, Kultur und Gesellschaftspolitik. Er beleuchtet die unerwartete Bedeutung ästhetischer Fragestellungen für zeitgenössische Debatten, die mit Kunst auf den ersten Blick kaum Berührungspunkte haben. Und wo immer, sei es in der Politik, sei es in der Ökonomie, sei es gar im Sport, er auf geballten Unsinn und Unverstand trifft, wagt der Kolumnist auch das ein oder andere Auswärtsspiel. Bisher erschien die Kolumne HeimSpiel im Online-Debattenmagazin The European. Daneben veröffentlicht Heim in mehreren Literaturzeitschriften vornehmlich Lyrik und dichte Kurzprosa, und bloggt auf der eigenen Homepage aus seinem Zettelkasten. Monographien: Kleinstadtminiaturen: Ein Roman in 24 Bildern. Girgis Verlag: 2016 – ISBN: 978-3939154181.Cover nur Front Gewogene Worte: Nachdichtungen aus dem Chinesischen. edition maya: 2016 – ISBN: 978-3930758463.cover kathaStrophen. Experimente in Rhythmus und Melodie. Chiliverlag: 2017 -ISBN: 978-3943292541.FrontCover 2_bleu Algenhumor: Gedichte für das dritte Jahrtausend. Girgis Verlag: 2016 – ISBN: 978-3939154228.algen Audio-Exklusiv: La vie! La jeunesse! – Hörmordkartell 2017

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