Der normale Pep

Als dreimaliger Meister verlässt Pep Guardiola München. Andernorts wäre er damit ein Held für alle Ewigkeit, in München zählt das eher wenig. Mit dem Champions League Titel dagegen hat es nicht geklappt. Deshalb dürfte der Katalane keine tieferen Spuren an der Isar hinterlassen.


Bayern München ist Deutscher Meister der Saison 2015/2016. Eine Nachricht, die so originell ist wie Inflation in Venezuela, ein Wahlsieg für Recep Tayip Erdogan oder Regen in London. Immerhin ist es die vierte Meisterschaft in Folge und die dritte für Trainer Pep Guardiola (den Titel 2012/2013 holte noch Vorgänger Jupp Heynckes).  Das klingt immerhin schon mittelmäßig  aufregend, etwa so wie weniger Inflation in Venezuela, Einbußen für die Erdogan-Partei AKP oder überwiegend Sonne in London.

Wäre Pep Guardiola drei Mal hintereinander mit Borussia Dortmund Meister geworden, hätten sie ihm auf dem Borsigplatz ein Denkmal gebaut. Hätte er dies mit Schalke 04 geschafft, die Königsblauen hätten wohl umgehend im Vatikan seine Heiligsprechung beantragt (und die Chancen stünden gut, da Wunder in Rom traditionell einen hohen Stellenwert genießen).

Meistertitel sind in München nichts Besonderes

Aber Meister mit Bayern München, das ist nichts, was einem bei diesem Club ewigen Nachruhm verschafft. Branko Zebec, Pal Csernai, Giovanni Trappatoni, Felix Magath und Louis van Gaal haben das auch gekonnt. Das, was bei den Bayern inzwischen einzig und allein zählt, nämlich einen Titel in der Champions League zu holen, daran ist Guardiola letzten Endes gescheitert. Jupp Heynckes, Ottmar Hitzfeld, Udo Lattek und Dettmar Cramer (bei Letzteren hieß der Wettbewerb noch Europapokal der Landesmeister) haben diesen Cup einst an die Isar gebracht. Pep geht daher als „gewöhnlicher Meistertrainer“, als „Normal One“, um eine Vokabel aus dem Sprachschatz des Jürgen Klopp zu verwenden. Dem Selbstbewusstsein eines Guardiola dürfte dies nicht genügen.

Auch atmosphärisch wird er kaum Spuren in München hinterlassen.  Zu kühl, zu distanziert hat der Spanier seinen Job gemacht. Zu emotionslos war sein Abgang, den er im Weihnachtsurlaub per Pressemitteilung verkünden ließ. Auch wirkte Pep im Land der Bajuwaren stets wie ein Fremdkörper, wie ein „Außer-Bayrischer“. Guardiola war gefühlt ein Projektmanager aus der globalen Business-Welt, der demjenigen seine Dienste anbietet, der mit den höchsten Boni winkt. Und nicht wie ein Fußballbesessener, der sich mit Verein, Stadt und Spielern identifiziert – und für den seine Arbeit mehr als ein Job ist, der dann endet, wenn der Vertrag endet.

Ein Projektmanager im Fußball-Business

Zwei seiner direkten Vorgänger – Heynckes und Hitzfeld – waren dezidiert anders.  Bis heute zählen sie zum Umfeld des FC Bayern. Einem Verein, der immer schon enge Bande zu früheren und aktuellen Mitarbeitern knüpfte – und deshalb trotz allen Millionenumsatzes und trotz aller Meistertitel als eine Art Familienverein wahrgenommen wird. All das dürfte wohl dazu beitragen, dass Guardiola eine Episode in der Bayern-Historie bleiben wird, wenn auch eine schillernde.

Beide Vertragspartner – Verein und Trainer – dürften sich mehr versprochen haben, als sie 2013 ihre Liaison begründeten. Die Bayern, gerade frischer Champions League Gewinner mit Heynckes, träumten vom nächsten Sprung nach vorn. Aus einer starken nationalen Marke sollte eine Weltmarke des Fußballs werden: Ein Klub, der ähnlich wie der FC Barcelona, Real Madrid oder früher der AC Mailand den europäischen Fußball dominiert und mit seiner Spielweise eine ganze Sportart prägen kann. Der FC Bayern als Titan des europäischen Fußballs und Josep Guardiola als dessen Prophet, so mögen die Visionen an der Säbener Straße ausgesehen haben.

Doch Gott sei Dank ist Fußball nicht planbar, ist Sport keine Mathematik (was Vereinschef Karl-Heinz Rummenigge seinem früheren Übungsleiter Hitzfeld einmal vorgeworfen hatte). Zumal das Budget des Münchner Vereins im europäischen Maßstab keineswegs außergewöhnlich hoch ist. Wenn die Bayern unter diesen Rahmenbedingungen die Könige Fußballeuropas werden wollen, dann reichen ein Trainerguru und taktische Mätzchen nicht aus, dann brauchen sie vor allem eins: Mentalität (die, so Darmstadt 98-Trainer Dirk Schuster, jederzeit Qualität schlagen kann).

Mentalität schlägt Qualität

So waren die Geschichten der Champions League-Siege des FC Bayern immer zuallererst Geschichten überragender Spielerpersönlichkeiten.

In den goldenen 70er Jahre war das Münchner Team eine Ansammlung von Charakterköpfen: An allererster Stelle stand natürlich Franz Beckenbauer, daneben waren aber auch Gerd Müller, Sepp Maier und Uli Hoeneß Protagonisten einer in Deutschland wohl bis heute einmaligen Ausnahmegeneration.

2001 war es das Mentalitätsmonster Stefan Effenberg, das eine spielerisch vielleicht nicht ganz so schlagkräftige Münchner Truppe bis zum Champions League Titel pushte. Im Tor stand Oliver Kahn, der sich auf dem Platz jedes Mal mit dem Anpfiff von einem gebildeten BWL-Studenten in einen emotionalen Vulkan verwandelte. Zur Mannschaft gehörte auch der heutige Trainer von Eintracht Frankfurt, Niko Kovac, der seinen Ehrgeiz damit beschreibt, dass er seine kleine Tochter niemals absichtlich beim Mensch-ärger-Dich-nicht gewinnen lassen könne.

Spielerpersönlichkeiten machen den Unterschied

Und beim bislang letzten europäischen Titel vor drei Jahren war es vor allem der holländische Egomane Arjen Robben, der in den entscheidenden Spielen den Unterschied ausmachte und dessen Spielauffassung nicht in allen Aspekten den Regeln altenglischen Fair-Plays gerecht wird. Die Kunst aller verantwortlichen Übungsleiter bestand darin, die Energien dieser Individualisten in die richtigen Kanäle zu lenken. Sich nicht wichtiger zunehmen als die Stars – Hitzfeld, Heynckes und Lattek waren im wahrsten Sinne des Wortes Meister in dieser Disziplin. Anders als das nicht gerade kleine Ego Guardiolas akzeptierten diese auch, dass der Ruhm des FC Bayern grundsätzlich höher als ihr eigenes öffentliches Ansehen gewichtet werden muss.

Guardiola dagegen ist wie er ist. In seiner Welt dürften wohl Trainer und Taktik den meisten Raum einnehmen. Tempofußball, Ballbesitz, überraschende Personalrochaden – damit hat der Katalane sich und seinen Heimatklub FC Barcelona ins Rampenlicht katapultiert. Vielleicht könnte Pep, dem kühlen Strategen, aber gerade deshalb der ganz große Erfolg in München versagt geblieben sein.

Guardiola ließ Leader auf der Bank

Qualität soll in seiner Welt theoretisch wohl immer Mentalität schlagen können. Und zweimal, in den Jahren 2014 und 2015, ist es dann auch so gekommen, dass der FC Bayern im Halbfinale der Champions League an Gegnern höherer Qualität gescheitert ist. In diesem Jahr war es aber vielleicht doch die von Trainer Diego Simeone eingeimpfte Mentalität, die Atletico Madrid über die Münchner triumphieren ließ. Die Spanier traten kompakt und leidenschaftlich auf, während Guardiola im Hinspiel mit Franck Ribery und Thomas Müller auf zwei echte emotional Leader verzichtete, die sich zudem mehrfach als Torschützen in entscheidenden Spielen bewiesen hatten. Dagegen stellte Pep in Madrid den Individualisten Diego Costa und Nachwuchskraft Kingsley Coman auf, der sicher über einiges Talent verfügt, aber bisher noch keine Big Points eingefahren hat.

Wollen die Bayern künftig wieder die Hand an den Champions League Pokal anlegen, sollte der künftige Trainer Carlo Ancelotti vor allem dem Faktor Mentalität Beachtung schenken. Dass er dazu in der Lage ist, zeigt dessen Umgang mit dem gegenwärtig wohl exzentrischsten Star dieses Planeten, Zlatan Ibrahimovic. Aus der Zeit ihrer Zusammenarbeit bei Paris St. Germain wird folgende Anekdote kolportiert: Vor einem wichtigen Ligaspiel im Jahr 2013 sei Ancelotti angespannt gewesen. Darauf hin sei Ibrahimovic zum Coach gegangen und habe gefragt: ‘Glauben Sie an Jesus Christus?’ Ancelotti antwortete mit Ja. Die Antwort von Ibrahimovic: „Sehr gut, dann glauben Sie an mich. Jetzt können Sie sich entspannen.“ Dann schoss der übermäßig selbstbewusste „Ibra“ 30 Tore in einer Saison, Paris wurde französischer Meister. Bis heute sprechen der exaltierte Star und „Carletto“ gut übereinander.

 

 

Andreas Kern

Der Diplom-Volkswirt und Journalist arbeitet seit mehreren Jahren in verschiedenen Funktionen im Bereich Öffentlichkeitsarbeit. Kern war unter anderem persönlicher Referent eines Ministers, Büroleiter des Präsidenten des Landtages von Sachsen-Anhalt sowie stellvertretender Pressesprecher des Landtages. Er hat nach einer journalistischen Ausbildung bei einer Tageszeitung im Rhein-Main-Gebiet als Wirtschaftsredakteur gearbeitet . Aufgrund familiärer Beziehungen hat er Politik und Gesellschaft Lateinamerikas besonders im Blick. Kern reist gerne auf eigene Faust durch Südamerika, Großbritannien und Südosteuropa.

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