Beim Sex das Schwert ablegen? Elric von Melniboné

Auf seiner Fantastischen Reise erwartet Kolumnist Sören Heim wenig Gutes von Michael Moorcocks Klassiker Elric von Melniboné. Und wird enttäuscht. Oder nicht enttäuscht. Lesen Sie selbst.


Lassen Sie mich mit der Bemerkung beginnen, dass ich an Michael Moorcocks Klassiker Elric von Melniboné doch mit eher spitzen Fingern herangegangen bin. Dass ich wenig anderes erwartet hatte als saftigen Swords & Sorcery Trash, relativ männlich – also Geschichten über starke Helden und hilfsbedürftige Frauen – relativ morbide, und ein wenig billig, so wie die Cover versprachen, wie diese Monsterfilme der 50er Jahre, bei denen man sich weniger ob der Monster als ob der dahinter steckenden Technik gruselt. Oder lassen Sie mich noch besser damit beginnen, dass ich doch wohl kaum davon ausgehen konnte, dass ein Held, der im Vorwort zur neuen Comicbearbeitung etwa folgendermaßen beschrieben wird

„der Herrscher der uralten Dracheninsel von Melniboné – ein kranker Albino, der ein mehrere tausend Jahre altes Volk mit einer von den Göttern ererbten Macht regiert. Aber seine schwache Konstitution zwingt ihn, Drogen und Magie zu nutzen, um sein Leben zu erhalten “

die für die Fantastische Reise gestellten und noch immer hier und hier nachzulesenden Ansprüche erfüllen wird, oder? Und lassen Sie mich festhalten, dass Elric in etwa das liefert was Elric verspricht. Und dass dennoch die Erzählungen rund um den grüblerischen Albino-Recken mit dem seelenfressenden Schwert deutlich mehr Spaß machen als große Teile der moderneren, pädagogisch wertvoll auf düster gebürsteten epischen Fantastik.

Warum? Weil Autor Moorcock mit einem sicheren Auge für Überflüssiges dichte Geschichten erzählt, trashig, ja, aber mitreißend und sprachlich in seinen besseren Momenten geschickt zwischen Bravado und Kitsch balancierend. Für Elric werden, zumindest in den frühen Erzählungen, keine Welten entworfen, sondern Spannungsbögen gestrickt.
Die allererste Kurznovelle, auf die ich mich im Folgenden stützen möchte (desweiteren gelesen wurden Elric of Melniboné und Stormbringer) ist, etwas überspitzt Das Lied von Eis und Feuer auf knapp 40 Buchseiten. Thronusurpation, Liebesgeschichte, Verblassen und Erwachen der Magie, unerwartetes Auftauchen von Drachen und schrecklicher Verrat – alles inbegriffen.

Und Äktschn!

Moorcock wirft dabei den Leser direkt in die Handlung. Wir belauschen ein Heerlager, in dem Heerführer den Angriff auf die Träumende Stadt Imrryr planen, die letzte Stadt der Melniboné, wo Yyrkoon auf dem längst wertlosen Thron sitzt. Unterstützt werden die Angreifer von dem dubiosen Melniboné-Abkömmling Elric, vorgeblich der wahre Thronerbe. Dieser hat eigentlich wenig Intresse am Thron und möchte vor allem seine Geliebte und Yyrkoons Schwester Cymoril aus magischem Schlaf befreien. Vom Geschlecht der Melniboné selbst, von Elrics selbstzerstörerischer Beziehung mit dem Schwert Stormbringer, aus dem er seine ganze Macht zieht, geschweige denn von dessen Herkunft, auch von politischen Konstellationen erfahren wir nur das Nötigste. Die Handlung gleicht einem überreizten Fiebertraum und bietet sich an, mehr bildlich, denn als realistisch gemeinte Erzählung gelesen zu werden: Der Angriff auf Imrryr glückt, die Rettung der Geliebten nicht, stattdessen fällt diese wie Yyrkoon dem Durst Stormbringers zum Opfer. Elric und Gefährten müssen fliehen, als unerwartet Drachenreiter den letzten der Melniboné zu Hilfe kommen. Vor die Wahl gestellt sich mit seinen Mitstreitern der Übermacht zu stellen oder zu entkommen und Stadt und Heer ihrem Schicksal zu überlassen, wählt Elric letzteres.

Was im Oben aufgeführten Monsterfilm schrecklich künstlich wirken würde funktioniert literarisch überraschend gut: Auch wenn man kaum von „Tiefe“ reden möchte überzeugt die vor allem in schrillen Farben (ich möchte sagen in schwarz, sowie feurigen und blutigen Rottönen) überzeichneten Mehrdeutigkeit des Charakters Elric und der gesamten Welt, und regt zwischen der Action tatsächlich zum Nachdenken an: Gerade weil da so viele Leerstellen sind, die der Leser angeregt von einem wie im Drogenrausch dahinrasenden Plot selbst füllen muss.

Gebrochener Übermensch

In seiner zwanzigteiligen Monsterrezension zum Gesamtwerk Moorcocks weist Arthur B für Ferretbrain darauf hin, wie viel von seinem „punkigen“ Appeal Elric einbüßt, nachdem Moorcock beginnt die Lücken der frühen Novellen und des aus vier Erzählungen zusammengesetzten Romanes Stormbringer mit fünf weiteren Romanen akribisch zu füllen. Das glaube ich ihm aufs Wort, ich möchte gar weitergehen und behaupten, dass Elric vom Debüt The Dreaming City und dem sich daran anschließenden While the Gods laugh, eine faszinierende Suche nach einem rätselhaften Buch des Todes, in der bei näherem Hinsehen überhaupt nichts geschieht und kein Geheimnis gelüftet wird, mit jedem weiteren Text schlechter wird. In „episch“ wird Elric seines besonderen Reizes beraubt und muss den Vergleich mit dem Herrn der Ringe und anderen vor allem auf die Entwicklung einer Welt angelegten Texten wagen, in dem er nur verlieren kann. Hätte Kafka versucht in ähnlicher Weise wie Moorcock die Lücken des Process zu füllen, Ks Herkunft, die Verfasstheit der Gesellschaft zu beleuchten, in der K verurteilt wird, der Roman wäre bar jeglicher Faszination und mithin jeglichen Anspruchs.

Unbestritten ist Elric auch literaturhistorisch von einigem Interesse, besonders weil der Charakter die kritische Reaktion auf das ungebrochene Barbarenbild von Howards Conan-Erzählungen darstellt. Warum eine solche Reaktion für nötig achtet wurde lässt sich vielleicht aus diesem Artikel ganz gut ersehen. Elric ist dabei allerdings (zum Glück) nicht einfach ein Anti-Conan, sondern eine relativ eigenständige Erfindung mit ihrer eigenen stimmigen inneren Logik, die ein klassisches Heldenideal mit einem Bewusstsein der Verworfenheit desselben vereint. Als „Nobles of older stock, whose actions are governed by our own desires [not by Chivalry]“ (Kings in Darkness) klingen Elric und Seinesgleichen an Nietzsches Übermenschen an, wie viele Helden insbesondere der Pulpromane des Genres. Aber als „only a prelude to history“ (Stormbringer) erscheint dieses Ideal gleichzeitig als überkommen, und in der prähistorischen Zeit fantastischer Geschehnisse selbst schon durch die alles andere als erstrebenswert, beinahe Untote, Existenz des Helden stark angekratzt.

Beim Sex das Schwert ablegen?

Dabei bleibt Elric von Melniboné Trash. Keine Frage. Viele Dialoge strotzen nur von Klischees, das immergleiche Ende der sich verselbstständigenden Macht Stormbringers (hier treffend karikiert) verleiht dem Konzept bereits eine geringe Halbwertszeit. Frauenrollen des weiteren reduzieren sich in vielen Fällen auf den Topos der Damsel in Distress (obschon gleich While the Gods laugh das unterläuft und Gefährtin Shaarilla als die einzige darstellt, die durch die Rettung Elrics in der gesamten Erzählung überhaupt eine sinnvolle Handlung vollbringt), und allzu viele Gedanken über die Hintergründe oder die genaue Funktionsweise der Beziehung von Elric zu Stormbringer sollte man sich auch nicht machen (man erfährt etwa, dass Elric schon wenige Minuten nachdem er von seinem Schwert getrennt wird seine Kräfte einbüßt und zu einem schwächlichen Greisenhaften Häufchen Mensch zusammen sinkt. Doch weiß Gespielin Yishana über ihn zu berichten: „But I still remember his savage kisses and his wild lovemaking“. Trägt Elric Stormbringer für gewöhnlich also sogar im Bett?). Wer über solche Dinge hinwegsehen kann, wird feststellen, dass „Trash“ und „Anspruch“ keine Antagonisten sind. Mancher auf hohe Ansprüche zielende Salon-Schwätzer könnte von Moorcock das ein oder andere darüber lernen, wie ansprechende Literatur gemacht wird.

Fortschritt der Fantastischen Reise:

rezensiert:

Andrzej Sapkowski – Der Hexer
China Miéville – Perdido Street Station
Walter Moers – Die 13½ Leben des Käpt’n Blaubär
Esther Rochon – Der Träumer in der Zitadelle
Michael Moorcock – Elric of Melniboné

nächster Text:

Samit Basu – Der letzte Held

ausstehend:

Joy Chant – Der Mond der Brennenden Bäume
Viktor Pelewin – Das 5. Imperium
Neil Gaiman – American Gods
Patrick Rothfuss – The Name of the Wind.
Oliver Plaschka – Das Licht hinter den Wolken

CS Friedman – Black Sun Rising
Leena Krohn – Tainaron

 

Sören Heim

Sören Heim ist Journalist, Übersetzer und Schriftsteller. Er ist Träger des kosovarischen Preises für moderne Dichtung „Pena e Anton Pashkut“ (Stift des Anton Pashku) und des Sonderpreises „Favorit von Daniel Glattauer“ der art.experience 2014. In HeimSpiel schreibt Sören Heim mit Heimvorteil zu den Schnittpunkten von Kunst, Kultur und Gesellschaftspolitik. Er beleuchtet die unerwartete Bedeutung ästhetischer Fragestellungen für zeitgenössische Debatten, die mit Kunst auf den ersten Blick kaum Berührungspunkte haben. Und wo immer, sei es in der Politik, sei es in der Ökonomie, sei es gar im Sport, er auf geballten Unsinn und Unverstand trifft, wagt der Kolumnist auch das ein oder andere Auswärtsspiel. Bisher erschien die Kolumne HeimSpiel im Online-Debattenmagazin The European. Daneben veröffentlicht Heim in mehreren Literaturzeitschriften vornehmlich Lyrik und dichte Kurzprosa, und bloggt auf der eigenen Homepage aus seinem Zettelkasten. Monographien: Kleinstadtminiaturen: Ein Roman in 24 Bildern. Girgis Verlag: 2016 – ISBN: 978-3939154181.Cover nur Front Gewogene Worte: Nachdichtungen aus dem Chinesischen. edition maya: 2016 – ISBN: 978-3930758463.cover kathaStrophen. Experimente in Rhythmus und Melodie. Chiliverlag: 2017 -ISBN: 978-3943292541.FrontCover 2_bleu Algenhumor: Gedichte für das dritte Jahrtausend. Girgis Verlag: 2016 – ISBN: 978-3939154228.algen Audio-Exklusiv: La vie! La jeunesse! – Hörmordkartell 2017

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