Narnia – Nur ne Bibel mit Fabelwesen?

Wer nicht gerade aus einem sehr christlichen Haushalt kommt hat „Die Chroniken von Narnia“ wahrscheinlich als Negativbeispiel ideologischer Literatur kennen gelernt. Aber ist Narnia ideologischer als sagen wir – Michael Endes Phantásien?


Das Unbehagen an Narnia

Die Chroniken von Narnia sind wohl das über die Jahrzehnte gerechnet am heftigsten angefeindete Stück Kinderliteratur. Nicht nur einzelne Interessensgruppen attackieren die Bücher für ihre dezidiert christliche Moral, auch selbst literarisch tief im Christentum verwurzelte Schriftsteller wie etwa die Harry Potter Autorin JK Rowling kommen über die Art, wie CS Lewis mit Susan Pevensie umgeht nicht hinweg:

“Es gibt einen Moment, wenn Susan, das ältere Mädchen, für Narnia verloren ist weil sie sich für Lippenstift zu interessieren beginnt. Sie ist arreligiös geworden, weil sie Sex entdeckt hat. Damit habe ich ein großes Problem.”

Dass die Chroniken letztendlich nicht vielmehr seien, als die in eine Welt voller Fabelwesen transponierte Bibel ist ein Vorurteil, das mich selbst lange von der Lektüre der Bücher abgehalten hat. Propaganda, egal welcher Denkrichtung, ist selten Grundlage guter Literatur. Kaum eine Ermutigung, sich in Lewis Werk einzuarbeiten.

Wer es dennoch versucht wird möglicherweise positiv überrascht und lernt dazu noch in der Vorweihnachtszeit, eigenen Vorurteilen kritischer gegenüber zu stehen. Wäre das nicht schön?

Viel Literatur, wenig Predigt!

Tatsächlich sind die meisten der sieben Narnia-Bücher gute, auch überdurchschnittlich gut geschriebene, Kinderliteratur. Gewiss, es gibt gerade in den späteren Werken Elemente der Predigt (so etwa in The Silver Chair einen langen „neoplatonischen“ Dialog über die Realität menschlicher Erfahrung und Wahrnehmung) und es gibt Momente, die auch überzeugte christliche Leser, gerade sofern sie Eltern sind, stutzen machen sollten. So etwa wenn es in Prince Caspian als das natürlichste der Welt erklärt wird, dass es richtiger sei den Ideen der kleinen Lucy zu folgen, die der nur ihr sichtbare Aslan ihr einflüstert, als dem Verständnis von Narnia, dass die älteren Geschwister im ersten Band gewonnen haben. Innerhalb der Welt Narnias ist das aber letztendlich schlüssig, und ob man es problematischer findet als die in Michael Endes Momo beschworene Gemeinschaftlichkeit des Kleinstädtischen und die Ablehnung alles Künstlichen, hängt wohl stark davon ab, welcher Weltanschauung man anhängt.

In jedem Fall: Meist herrscht bei Lewis das Primat der Literatur, Moral wird durch Darstellung vermittelt, nicht durch plumpe Propaganda, und das wiederum hebt ihn schon deutlich ab von den meisten Kinderbuchautoren. Man denke da nur an Dumble-bores schreckliche Monologe in Harry Potter.

Zwei Anfänge & Michael Ende

Werfen wir doch einmal einen vergleichenden Blick in die ersten Kapitel von Die Chroniken von Narnia und Michael Endes Die unendliche Geschichte. Sowas kann erhellend sein.

Geradezu vor den Kopf stößt den Leser Ende in seinem Roman gleich zu Anfang, mit seiner spezifischen Weltsicht: Wie anstrengend, laut und respektlos die Jugend von heute sei erfährt man da von Herrn Koriander, und Widerworte von Bastian gibt es nur in die erwachsene Herablassung bestätigender Weise: Es seien ja immerhin nicht alle Kinder so. Später werden dann alle Register jenes anstrengenden „sei du selbst, aber die beste Version deiner selbst“ gezogen, die Kinder schon im Kindergarten hassen lernen durften, trotz stellenweise sehr fantasievoller Passagen ist die gesamte Unendliche Geschichte am Ende wenig mehr als die fortwährende Bestätigung einer urerwachsenen Weltsicht, was eine glückliche Kindheit sei und wie sich Kinder „frei“ entwickeln sollten.

Wie vorsichtig und mit staunenden Kinderaugen entfaltet dagegen Lewis die Welt seines Narnia wundervoll aus dem Inneren eines Kleiderschranks. Das hier christliche Ideen neu verhandelt werden wird erst im Laufe der Geschichte ganz langsam klar und im ersten Buch nie zu dominant. Und warum auch sollte in Kinderbüchern vermittelte christliche Moral in irgendeiner Weise verdammenswerter sein als all die anderen Moralvorstellungen, mit denen Kinder in der ihnen gewidmeten Literatur regelmäßig und oft noch nicht einmal besonders subtil geimpft werden?

Das Christentumsparadoxon

Zuletzt lässt sich Die Chroniken von Narnia gar nicht so leicht und widerspruchsfrei als christliche Parabel lesen, wie es gern nahegelegt wird. Denn ihre christliche Moral entfalten die Chroniken nur, wenn man sie gerade nicht plump in christliche Terminologie übersetzt. Denn nur „unübersetzt“ ist das Zusammenspiel von Aslan/Gott/Jesus und all den heidnischen Göttern und Fabelwesen nicht durch und durch blasphemisch. Unterlässt man die Übersetzung aber, so existiert eben eine Parallelwelt die ihren eigenen Glauben einfordert neben dem im England der Chroniken ja keinesfalls abgeschafften Christentum, so dass jeder guter Christ innerhalb der Erzählwelt der Chroniken den Pevensie-Kindern was husten würde, die plötzlich mit ihren magischen Löwen ankommen. Narnia hat einen doppelten Boden: Es sitzt, als kindliches Ideal könnte man sagen, wie ein Stachel im Fleisch des real existierenden Christentum.

Das Problem mit Susan?

Und das Problem mit Susan, das neben Rowling auch der Schriftsteller Neil Gaiman prominent anprangerte? Nun: So problematisch man die Sache finden kann, kommt darin zu aller erst einmal die konsequente Anwendung des im Buch entwickelten Mythos zum Ausdruck. Sowie zum Schluss des Herrn der Ringe die Magie aus der Welt verschwinden muss, und die Helden des 3. Zeitalters sich in den Grauen Anfurten einschiffen, so gibt es für jene, die Narnia aus ihrer Lebenswelt verbannen keinen Platz in Narnia. Logisch. Es ist hierbei also durchaus fraglich, ob das in erster Linie mit der von Susan Pevensie entdeckten Sexualität zu tun hat. So resümiert R.J. Anderson in einem sehr ausführlichen und zumindest bedenkenswerten Artikel zum Thema:

Aber auch das würde Susan nicht aus Narnia ausschließen, wenn sie interessiert wäre dorthin zu kommen. Der Grund für ihre Abwesenheit ist nicht, dass Aslan (oder Lewis) sie für den Verlust ihrer kindlichen Unschuld grausam verbannt hat, sondern vielmehr, dass sie sich entschieden hat Narnia und Aslan beiseite zu schieben, um ihre eigenen Interessen zu verfolgen, und als Ergebnis verlor sie allmählich jedes Interesse und sogar die Erinnerung an die spirituelle Realität, für die Narnia und Aslan stehen.”

Sören Heim

Sören Heim ist Journalist, Übersetzer und Schriftsteller. Er ist Träger des kosovarischen Preises für moderne Dichtung „Pena e Anton Pashkut“ (Stift des Anton Pashku) und des Sonderpreises „Favorit von Daniel Glattauer“ der art.experience 2014. In HeimSpiel schreibt Sören Heim mit Heimvorteil zu den Schnittpunkten von Kunst, Kultur und Gesellschaftspolitik. Er beleuchtet die unerwartete Bedeutung ästhetischer Fragestellungen für zeitgenössische Debatten, die mit Kunst auf den ersten Blick kaum Berührungspunkte haben. Und wo immer, sei es in der Politik, sei es in der Ökonomie, sei es gar im Sport, er auf geballten Unsinn und Unverstand trifft, wagt der Kolumnist auch das ein oder andere Auswärtsspiel. Bisher erschien die Kolumne HeimSpiel im Online-Debattenmagazin The European. Daneben veröffentlicht Heim in mehreren Literaturzeitschriften vornehmlich Lyrik und dichte Kurzprosa, und bloggt auf der eigenen Homepage aus seinem Zettelkasten. Monographien: Kleinstadtminiaturen: Ein Roman in 24 Bildern. Girgis Verlag: 2016 – ISBN: 978-3939154181.Cover nur Front Gewogene Worte: Nachdichtungen aus dem Chinesischen. edition maya: 2016 – ISBN: 978-3930758463.cover kathaStrophen. Experimente in Rhythmus und Melodie. Chiliverlag: 2017 -ISBN: 978-3943292541.FrontCover 2_bleu Algenhumor: Gedichte für das dritte Jahrtausend. Girgis Verlag: 2016 – ISBN: 978-3939154228.algen Audio-Exklusiv: La vie! La jeunesse! – Hörmordkartell 2017

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