Raffelhüschen: Uns drohen Steuererhöhungen und Altersarmut

Seit Jahren warnt der Freiburger Wirtschaftswissenschaftler Prof. Bernd Raffelhüschen vor den Folgen des demographischen Wandels für die sozialen Sicherungssysteme. Anders als viele Politiker und Unternehmer sieht er in der aktuellen Welle der Zuwanderung aus dem östlichen Mittelmeerraum aber keine Abmilderung. Im Gegenteil. Angesichts der hohen Zahl von Unqualifizierten prophezeit er Steuererhöhungen und ein Anwachsen der Altersarmut.


Andreas Kern (AK): Guten Tag, Herr Prof. Raffelhüschen. Seit Jahren warnen Sie davor, dass der demographische Wandel die Beiträge für Kranken- und Sozialversicherung in die Höhe treiben wird. Kommt die aktuell hohe Zuwanderung aus dem östlichen Mittelmeerraum nicht sehr gelegen?

Bernd Raffelhüschen (BR): Zunächst arbeiten wir Ökonomen mit langfristigen Zeitreihen, die eher 30 bis 40 Jahre umfassen. Sonderereignisse eines Jahres haben da zunächst keine Auswirkungen. Sie dürfen auch nicht vergessen, dass wir im Jahr 2007 im Schnitt eine Abwanderung aus Deutschland hatten.

AK: Dennoch sagen viele Politiker und Manager aus der Wirtschaft, dass die aktuelle Migrationswelle hilft, den Fachkräftemangel zu überwinden und den Sozialkassen ein breiteres Fundament zu geben.

BR: Da bin ich aber ganz anderer Meinung. Rein ökonomisch gesehen, kommen gerade eher die Falschen. Bei den Syrern mag es noch 15 Prozent Akademiker geben, bei den Migranten vom Balkan oder aus Nordafrika liegt die Ziffer darunter. Meiner Kenntnis nach sind mindestens 70 Prozent der Menschen, die gerade nach Deutschland kommen, unqualifiziert. Sie wandern nicht in den Arbeitsmarkt ein, sondern in die Sozialsysteme. Es kommen viele, die 30 Jahre oder älter sind – und keine Ausbildung haben. Diese Menschen müssen wir erst nachqualifizieren, das kostet.

Dann kommen sie mit Mitte Dreißig in Arbeit. So haben sie wohl kaum die Möglichkeit, 45 Jahre in die Rentenversicherung einzuzahlen. Um vorauszusagen, dass dies die Rentenkassen belastet, brauchen Sie nun wirklich kein Ökonom sein. Nur, kann man diese Kosten nicht allein den anderen Beitragszahlern aufbürden. Auch Steuererhöhungen werden unvermeidlich sein. Ich rechne in den kommenden Jahrzehnten zudem mit einer starken Zunahme der Altersarmut

AK: Dennoch gelten Sie als Befürworter eines Zuwanderungsgesetzes?

BR: Man kann doch gar nicht bestreiten, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist. Nur müssen wir endlich so handeln – und anfangen, „Erwachsen“ zu werden. Da wir kein Einwanderungsgesetz haben, drängt alles durch den Engpass „Asylrecht“, das einmal für ganz andere Dinge gedacht war. Einwanderungsgesetz, da müssen sich alle im Klaren sein, heißt: sich die Menschen auszusuchen, die einem Land nutzen. Das kann man nach Kriterien wie Alter, Ausbildung und Sprachkenntnisse machen – und dies mit Punkten bewerten. Das mag hierzulande manchem nicht gefallen, aber so machen das klassische Einwanderungsländer wie Australien und Kanada eben.

AK: Stimmt. Mein Onkel war Mitte Dreißig und Heizungsmonteur. Die Kanadier haben ihm die rote Karte gezeigt…

BR: Ihr Onkel war zu alt. So ist die Willkommenskultur eben in klassischen Einwanderungsländern. Aber so sichern diese Länder Akzeptanz für Zuwanderung.

AK: Was würden Sie der Bundeskanzlerin in der jetzigen Situation raten?

BR: Als allererstes müssen wir ganz schnell wieder eine einheitliche europäische Linie finden. Es kann nicht sein, dass zwei Länder – Deutschland und Schweden – das ganze Zuwanderungsproblem alleine schultern.

Im östlichen Mittelmeerraum ist doch folgende Botschaft angekommen: Eine Person hat eingeladen. Sie wissen doch, wie es mit Einladungen ist. Lädt Sie jemand zum Geburtstag ein, dann erwarten Sie doch auch, dass für Essen und anderes gesorgt ist. So kann es nicht weitergehen. Zumindest mit Frankreich, besser doch mit allen anderen Schengen-Staaten, muss sich Deutschland schnellstens abstimmen und dann einen gemeinsam vereinbarten Kurs auch durchhalten. Wenn es dann nicht anders geht, muss man auch über Zäune nachdenken. Schauen Sie sich doch an, was klassische Einwanderungsländer machen. Die USA haben an ihrer Südgrenze einen Zaun, der ist viel länger als das, was wir in Ungarn sehen. Und darüber, wie die Australier „Refugees welcome“ definieren, müssen wir nun wirklich nicht diskutieren…Noch einmal: Die Länder sehen die Frage der Einwanderung vor allem unter zwei Aspekten: Was nutzen die neuen Mitbürger unserem Staat – und welche Migranten kann ich wirklich schnell integrieren.

AK: Aber der frühere Bundeskanzler Gerhard Schröder hat doch versucht, Leistungsträger aus anderen Kontinenten für Deutschland zu gewinnen. Allzu viele IT-Experten aus Indien sind aber dann nicht gekommen.

BR: Der Versuch war löblich. Aber, so etwas muss man besser vorbereiten. Die Inder sprechen eben Englisch. Da ist es irgendwie logisch, dass es sie eher nach Großbritannien, in die USA oder Australien zieht. Beispielsweise müsste das Goethe-Institut in Bombay begleitend massiver Deutschkurse in Indien anbieten; in deutschen Gymnasien müsste die indische Elite von morgen schon früh mit unserer Sprache in Berührung kommen.

AK: Vielen Dank für das Gespräch

Andreas Kern

Der Diplom-Volkswirt und Journalist arbeitet seit mehreren Jahren in verschiedenen Funktionen im Bereich Öffentlichkeitsarbeit. Kern war unter anderem persönlicher Referent eines Ministers, Büroleiter des Präsidenten des Landtages von Sachsen-Anhalt sowie stellvertretender Pressesprecher des Landtages. Er hat nach einer journalistischen Ausbildung bei einer Tageszeitung im Rhein-Main-Gebiet als Wirtschaftsredakteur gearbeitet . Aufgrund familiärer Beziehungen hat er Politik und Gesellschaft Lateinamerikas besonders im Blick. Kern reist gerne auf eigene Faust durch Südamerika, Großbritannien und Südosteuropa.

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