Feindkonstruktion. Eine Antwort auf Akif Pirinçci

Wie konstruiert man sich einen Feind? Und warum tut man das? Carl Schmitt dachte noch, es ginge darum, den Anderen zu vernichten. Es kann aber auch darum gehen, ihn ohne schlechtes Gewissen verrecken zu lassen.


Auch bösartige, haltlose, niederträchtige Äußerungen fallen unter die Meinungsfreiheit. Auf einer Kolumnen-Plattform, deren Gründer sich als einzigen Konsens auf die Vielfalt der Standpunkte und freie Meinungsäußerung geeinigt haben, muss man einiges ertragen. Aber das heißt nicht, dass man es einfach hinnehmen muss und sich schulterzuckend wieder den eigenen Themen zuwenden kann, wenn Unterträgliches auf der Online-Plattform, auf der auch die eigene Kolumne erscheint, veröffentlicht wird. Im Gegenteil: Wenn wir Freiheit für die Debatte einfordern, haben wir auch die Pflicht, uns in der Debatte zu Wort zu melden – den Streit zu suchen, wo gestritten werden muss.

Zu den Behauptungen von Akif Pirinçci in dem Interview, das er Alexander Wallasch vor ein paar Tagen gegeben hat, kann vieles gesagt und gefragt werden. Er reiht ohne die Spur eines Arguments nur wilde Mutmaßungen aneinander. Er gibt keine Begründungen, er nennt keine Fakten. All das kann man ihm vorhalten. Ich will mich aber auf das konzentrieren, was bei Arte-Fakten ohnehin Thema ist, auf die Frage: Was für eine Welt versucht Akif Pirinçci zu konstruieren?

Pirinçci spricht von „Flüchtilanten“, er bezeichnet die Ankömmlinge als „Jungmänner“, und die, die ihnen als Familien folgen werden, als „Minderintelligenzler“. Was sind das für Begriffe? Wozu dienen sie?

Ein Feind wird konstruiert

Bleiben wir beim ersten Wort: „Flüchtlilanten“ soll offensichtlich eine Zusammenziehung aus „Flüchtling“ und „Asylant“ sein. Ich persönlich habe schon mit diesen beiden Worten Schwierigkeiten. Nicht etwa, weil ich auf der Suche nach politisch besonders korrekten Begriffen wäre. „Flüchtling“ ist aus mehreren Gründen nicht stimmig, denn einerseits sind nicht alle, die bei uns Asyl suchen, auf der Flucht, andererseits sind auch die, die vor der Gewalt und Krieg, vor Elend und Not geflohen sind, nun eigentlich nicht mehr auf der Flucht – ihre Flucht ist zu Ende, so hoffe ich, sobald sie bei uns angekommen sind. Asylant – das erscheint mir so merkwürdig unpersönlich und inaktiv. Ich würde gern von Asylsuchenden sprechen.

Indem Pirinçci von „Flüchtilanten“ spricht, indem er sich ein neues Wort ausdenkt, spricht er diesen Menschen sowohl den Status des Flüchtlings als auch den des Asylanten ab – und entzieht sich gleichzeitig möglicher Kritik an seiner Terminologie, indem er seine Wortkonstruktion nicht einmal erläutert. Vor allem aber anonymisiert er den Begriff weiter. Bei Flüchtlingen und Asylanten haben wir inzwischen konkrete Gesichter, reale Menschen vor Augen, mit seinem Wort schafft Pirinçci das Bild einer „grauen Masse“. Die so bezeichneten Menschen müssen uns noch fremder, noch suspekter sein, als es uns Flüchtlinge oder Asylanten ohnehin schon sind. Die so bezeichneten radikal Fremden (Carl Schmitt, Der Begriff des Politischen) werden sodann zum Feind gemacht. Es sind „Jungmänner“ – nicht etwa „junge Männer“. Der Begriff funktioniert genauso wie „Gutmenschen“. Aus etwas Angenehmen wird etwas Fremdes, Unverständliches, über das man vor allem weiß, dass man nicht dazu gehört.

Angst vor der fremden Masse

„Minderintelligenzler“ geht noch einen Schritt weiter. Jeder, der in der Geschichte aus Fremden Feinden konstruieren wollte, hat sich dieser Methode bedient: Der Fremde wird zu einer vage definierten Masse gerechnet und zur Gefahr erklärt. Zum Feind wird er schließlich, wenn man das „Eigene“ als überlegen, als besser wahrnimmt und darstellt.

Was damit verhindert werden soll? Die Menschen, die da zu uns kommen, sollen nicht als Einzelschicksale gesehen werden. Sie sollen gerade nicht in ihrer Singularität verstanden werden, sondern als fremder, gefährlicher Haufen auf Distanz gehalten werden. Dazu braucht man solche Massen-Begriffe wie Pirinçci sie verwendet. Man konstruiert sich damit eine Welt, in der man sich selbst umzingelt von bedrohlichen Feinden betrachten kann.

Wozu tut man so etwas? Ich kenne Pirinçcis Gründe nicht, aber was ich selbst täglich erlebe, ist folgendes: Was ich aus den Medien über das Leben in Flüchtlingslagern erfahre, ist kaum auszuhalten. Was Menschen aus Syrien, Eritrea, Afghanistan und anderen Orten der Welt durchmachen, ist für mich kaum vorstellbar. Ich sitze selbst im Warmen, habe zu essen und muss weder Krieg noch Gewalt erleiden. Meine alltägliche Gleichgültigkeit gegenüber diesem Leid müsste mich eigentlich an mir selbst verzweifeln lassen. Wie kann ich weiter glücklich sein, wie kann ich mich mit Freunden zum Schwätzchen verabreden, nachdem ich gesehen haben, wie ein kleiner Junge tot an den Strand gespült wurde?

Ich verschließe die Augen davor, wenigstens für einige Zeit. Ich versuche, eine innere Distanz dazu zu finden. Das habe ich seit Jahrzehnten eingeübt. Ich rede mir ein, dass zu viel Mitleid auch nichts besser macht, dass ich diesen Menschen ohnehin nicht unmittelbar helfen kann.
Die sicherste Methode aber, dieses Leid nicht an sich herankommen zu lassen, ist, die Betroffenen gar nicht als Menschen sehen zu müssen. Wem es gelingt, die Notleidenden in der Ferne zu radikal Fremden und zugleich zu einer dunklen Bedrohung zu erklären, anzusehen, der kann auch gut damit umgehen, dass sie in ihrem Elend allein gelassen werden. Trotz der Gewissheit, dass wir die Kraft hätten, ihnen zu helfen.

Pirinçci will nicht helfen und will kein schlechtes Gewissen haben. Er gibt denen eine Stimme, die nicht helfen wollen, weil sie Angst haben, dass sich dadurch irgendwas für sie ändern könnte. Er will ohne Gewissensbisse und Schuldgefühle weiter so leben können, wie bisher, auch wenn in der Ferne die Menschen verhungern, ermordet werden oder sonstwie zugrunde gehen. Er will ihnen ohne Mitleid und Gewissensbisse jede Hilfe verweigern, auch wenn wir ihnen helfen könnten.

 

(Vielen Dank an Romy Straßenburg für die kritische Durchsicht des Manuskriptes.)

Jörg Phil Friedrich

Der Philosoph und IT-Unternehmer Jörg Phil Friedrich schreibt und spricht über die Möglichkeiten und Grenzen des digitalen Denkens. Friedrich ist Diplom-Meteorologe und Master of Arts in Philosophie.

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