Ah, der Wolfsgruß und der Schweigefuchs

Während der EM kam es zu einer Sperre für den türkischen Innenverteidiger Demiral wegen eines Handzeichens. Was hat es damit auf sich? Eine Kolumne von Heinrich Schmitz.


Bild von Roland Maruntelu auf Pixabay

Zwei Handgesten, die sich recht ähnlich sehen, in ihrer Bedeutung aber kaum unterschiedlicher sein könnten und doch beide eine bemerkenswerte Rolle in unserer heutigen Gesellschaft spielen. Die eine ist ein politisches Symbol, die andere ein pädagogisches Werkzeug. Lassen Sie uns einen Blick auf diese Gesten werfen und die Welten erkunden, die sie repräsentieren.

Wolf

Beginnen wir mit dem Wolfsgruß, der u.a. von den sogenannten „Grauen Wölfen“ verwendet wird. Diese ultranationalistische türkische Bewegung hat die Geste, die die Form eines Wolfsmauls nachahmt, zu ihrem Symbol gemacht. Zwei gespreizte Finger als Ohren und die restlichen Finger zusammengelegt als Maul – das Ganze strahlt eine aggressive Haltung aus, ein stummes Bekenntnis zu einer ideologischen Gemeinschaft. Dieser Gruß ist keine freundliche Aufforderung zur Gemeinschaft, sondern ein Zeichen der Macht und der Abschottung, ein Symbol, das oft mit politischem Extremismus und Ausgrenzung in Verbindung gebracht wird. Er ist der ausgestreckte Mittelfinger im Tierreich, wenn man so will – laut, provokativ und einschüchternd.

Allerdings, und das darf nicht verschwiegen werden, wird dieser Gruß in der Türkei nicht nur von grauen Wölfen angewandt, sondern auch von anderen Menschen, die damit an den Wolf als türkisches Nationaltier erinnern wollen. Wie der Nutzer den Gruß gerade meint, kann man nicht sehen.

Nicht verboten

Problem in Deutschland ist allerdings, dass diese Geste nicht verboten ist, während dies in Österreich seit 2019 der Fall ist. Außerhalb des Fussballturniers hätte also niemand etwas dagegen unternehmen können, wenn ein Spieler diesen Gruß zeigt. Im Zusammenhang mit der EM ist das allerdings möglich, weil die UEFA politische Statements und Gesten ausdrücklich verbietet.

Fuchs

Auf der anderen Seite haben wir den Schweigefuchs. Diese harmlose Geste, bei der zwei Finger einer Hand an die Lippen gelegt und die andere  Hand zu einem Fuchskopf geformt wird, hat ihren Ursprung im Klassenzimmer. Der Schweigefuchs ist das mehr oder weniger liebevolle, stille Gebot zur Ruhe und Konzentration, der pädagogische Zaubertrick, der das Chaos in geordnete Bahnen lenkt. Er flüstert sanft: „Hört zu, seid leise, hier kommt etwas Wichtiges.“ Der Schweigefuchs ist der unscheinbare Held, der in der Lage ist, selbst die lauteste Horde in ehrfürchtige Stille zu verwandeln – zumindest in der Theorie. Wegen der Verwechslungsgefahr mit dem Wolfsgruß ist der Schweigefuchs wohl vom Aussterben bedroht.

Was also trennt diese beiden Gesten, abgesehen von ihrer Form und Anwendung? Der Wolfsgruß der Grauen Wölfe steht für Exklusion, Radikalismus und eine aggressive Durchsetzung von Idealen. Er ist ein Zeichen, das polarisiert und trennt, ein politisches Statement, das unmissverständlich sagt: „Wir gegen die anderen.“

In einer türkisch-deutschen Facebookgruppe wurde angegeben, der Gruß stehe für das wölfische Prinzip, sich als Rudel hinter einen Führer zu scharen. Klingt gruselig, aber bitte, wenn es Türken gibt, die das tun wollen, soll das nicht mein Problem sein. Ich möchte darauf wetten, dass dem türkischen Präsidenten heute abend beim Fussball mit tausenden Wolfsgrüßen gehuldigt werden wird. Und da wird auch keine Grundschullehrerin mit einem Schweigefuchs, auch Leisefuchs genannt, gegen anstinken können. Halten wir es einfach aus, das geht vorbei.

Der Schweigefuchs hingegen ist das Symbol der Inklusion, des kollektiven Wissensdurstes und der friedlichen Koexistenz. Er ruft nicht zur Abgrenzung auf, sondern zur Kooperation und zum respektvollen Miteinander. Wäre echt schade, wenn den der Wolf holt.

Es ist faszinierend, wie zwei Handgesten so unterschiedliche Welten repräsentieren können. Der Wolfsgruß ist das erhobene Haupt des Raubtiers, das seine Zähne fletscht und seine Dominanz zeigt. Der Schweigefuchs hingegen ist das kluge, stille Wesen, das weiß, dass man durch Zuhören und ruhiges Verhalten viel mehr erreichen kann. Während der Wolfsgruß zu Spannung und Konflikt beiträgt, wirkt der Schweigefuchs deeskalierend und harmonisierend.

Am Ende des Tages erinnern uns beide Gesten daran, dass Handzeichen mächtige Werkzeuge sind, die weit über ihre bloße Form hinaus wirken. Sie können Brücken bauen oder Mauern errichten, Gemeinschaft schaffen oder Zersplitterung fördern. Es liegt an uns, welchen Symbolen wir folgen und welche Botschaften wir in die Welt senden. Vielleicht sollten wir uns öfter am Schweigefuchs orientieren – denn in einer Welt, die manchmal zu laut und zu konfrontativ ist, kann ein bisschen Stille und Besonnenheit Wunder wirken.

Heinrich Schmitz

Heinrich Schmitz ist Rechtsanwalt, Strafverteidiger und Blogger. In seiner Kolumne "Recht klar" erklärt er rechtlich interessante Sachverhalte allgemeinverständlich und unterhaltsam. Außerdem kommentiert er Bücher, TV-Sendungen und alles was ihn interessiert- und das ist so einiges. Nach einer mit seinen Freital/Heidenau-Kolumnen zusammenhängenden Swatting-Attacke gegen ihn und seine Familie hat er im August 2015 eine Kapitulationserklärung abgegeben, die auf bundesweites Medienecho stieß. Seit dem schreibt er keine explizit politische Kolumnen gegen Rechtsextreme mehr. Sein Hauptthema ist das Grundgesetz, die Menschenrechte und deren Gefährdung aus verschiedenen Richtungen.

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