Der Roboter im Spiegel

Bedroht Künstliche Intelligenz den Journalismus? Nur wenn das Publikum mitspielt, sagt Kolumnist Sören Heim. Und dann könnte die kunstlose Einfalt der Empörungszyklen dem Journalismus auch ohne KI den Gar aus machen.


Maschinen werden immer klüger. Texte übersetzen sie schon fast perfekt, bald werden sie sie auch selbstständig schreiben. Vorsicht, Journalisten! Ihr seid die nächsten, die aufgrund der Automatisierung arbeitslos werden. Die künstliche Intelligenz wird euch fressen. So liest man es bald regelmäßig, mal mit sorgenvollem, mal mit beinahe süffisanten Einschlag. Diese feiste Autorenzunft, die ihrem Hobby frönt anstatt ehrlich zu arbeiten und die immer alles besser weiß – jetzt geht’s auch ihr an den Kragen.

Findet das Jobsterben wirklich statt?

Wirklich? Für die vergangenen Jahrzehnte lässt sich nicht ohne Weiteres belegen, dass Automatisierung im großen Stil Stellen gekostet hat (Wer die großen Jobvernichter sucht, sollte den Blick lieber auf den Nachfrageausfall durch staatlich begünstigte Lohndrückerei lenken). Die Produktivität pro Arbeiter stieg im Schnitt seit Mitte der 90er in etwa um magere 0,5 Prozent pro Jahr. Kein Vergleich zu früheren Jahrzehnten des vergangenen Jahrhunderts. Wo aber die Produktivität nicht durch die Decke geht, sind großflächige Ersetzungen menschlicher durch maschinelle Arbeitskraft kaum zu konstatieren. Es führt kein Automatismus von der Weiterentwicklung der Technik zur weitreichenden Automatisierung. Es muss sich für die Unternehmen auch lohnen eine Ersetzung von Mensch durch Maschinen durchzuführen.
Falsch! Triumphiert der Liberale: Es ist einfach so, dass durch die Automatisierung niedrig qualifizierte Jobs wegfallen und hochqualifizierte dazu kommen.

Nochmal falsch: Auch das ließe sich an steigender Produktivität ablesen. Vom Fortschritt der Technik führt auch kein Automatismus zum Fortschritt der Menschheit. Damit Automatisierung neue und bessere Jobs schafft, muss die Arbeiterschaft stark genug sein, gleichzeitig hohe Löhne durchzusetzen, damit die Nachfrage nicht einbricht, es müssen Sicherheitsnetze für die überflüssig Gemachten existieren (denn selten wird ein Job in der IT-Branche vom jetzt arbeitslosen 55jährigen Monteur bei Opel verrichtet werden) und es müssen entsprechend gebildete Nachwuchskräfte bereit stehen.

Hauptsache arbeitslose Schreiberlinge!

Aber was interessieren Sie, liebe Leser, makroökonomische Überlegungen? Sie möchten doch vor allem wissen, ob dieser verdammte Journalist, der Ihnen jetzt schon wieder versucht die Welt zu erklären, endlich durch einen Roboter ersetzt werden kann.
Nun gut: Ich zweifele: Mag sein, wenn man einen Computer mit allen relevanten Informationen zur letzten Bundestagssitzung oder zur Jahresversammlung des Taubenzüchtervereins füttert, wird er in einigen Jahren einen sauberen, geschliffenen Artikel zum Thema verfassen können, der dem Leser mit Glück auch noch ein wenig Spaß macht. Doch die Hauptarbeit des Autoren ist schon heute das Besuchen der Veranstaltung, das Führen von Gesprächen, das Filtern der Informationen, das Korrigieren etwaiger Fehler. Das Schreiben dazwischen geht einem, der es gelernt hat, vergleichsweise leicht von der Hand. Solange sich keine Computer finden, die eigenständig bei Taubenzüchtern und Bundestagsabgeordneten vorsprechen, werden die Verlage die Zuarbeiter der Maschine wohl mehr kosten als ein freiberuflicher Journalist. Vielleicht lassen sich zumindest Meinungsartikel aus der Retorte relativ rasch verwirklichen. Ein Augstein- oder ein Broderbot – ja, das ließe sich wohl machen. Und wenn Sie, liebe Leser, auch damit zufrieden sind, dass hinter den schon heute durchstandardisierten Meinungsbausteinen in grauer Tinte kein rotes Blut mehr kocht – dann wäre durchaus einiges gewonnen. Vielleicht ließe sich ganz maschinell ja sogar der Empörungsfaktor der öffentlichen Debatte ein wenig zurückfahren. Aber das wollen Sie nicht, oder? Mit einem modernen Fußballspiel an PC oder der Konsole ließe sich wahrscheinlich problemlos eine spannendere Bundesliga simulieren als sie die zeitgenössischen Bayernfestspiele hergeben. Aber wollen Sie einem Computer beim Würfeln zusehen?

Künstliche Intelligenz – menschliche Beschränktheit

Auch Schriftsteller müssen sich vor diesen Hintergründen wohl wenig Sorgen machen. Man darf KIs wohl zutrauen, in näherer Zukunft routinierte Schwedenkrimis, Psychothriller und Geile-Altherrengeschichten zu verfassen. Ein Großteil der zeitgenössischen Literatur ist ja durchaus schon weitgehend standardisiert. Aber kann sich irgend ein Verlag leisten, dass der Leser herausfindet, dass sein alter Schwede in Wirklichkeit ein elektronischer Chinese ist? Wohl leider nicht. Leider? Sicher doch: Denn wenn all die Texte, die heute schon klingen als würden sie von Maschinen verfasst, tatsächlich aus der Retorte kämen, vielleicht schüfe das ja den wirklich wagemutigen und talentierten Autoren Raum für Experimente, und würde nebenbei den Suhrkampintellektualismus (also diese immer leicht betroffenen Schema-F-Schinken für die gebildeten Schichten) gleich mit trocken legen. Man wird wohl noch träumen dürfen?
Allerdings: Immer weniger Menschen lesen, und selbst die Ansprüche der Lesenden könnte man an sich wohl bald mit Maschinentext befriedigen. Der Kult um den Autor, man betreibt ihn, damit der Leser in seinem Autorenbild etwas von der eigenen Menschlichkeit spüren kann.

Sicher, um die schreibende Zunft ist es nicht gut bestellt. Aber ehe die Autorenschaft an künstlicher Intelligenz zu Grunde geht geht sie an kunstloser Einfalt zu Grunde.  Der Roboter, der Ihren Job gefährdet – Er sitzt Ihnen vielleicht gerade im Zug gegenüber. Oder schlimmer: Er schaut sie morgens beim Waschen aus dem Spiegel an.

Sören Heim

Sören Heim ist Journalist, Übersetzer und Schriftsteller. Er ist Träger des kosovarischen Preises für moderne Dichtung „Pena e Anton Pashkut“ (Stift des Anton Pashku) und des Sonderpreises „Favorit von Daniel Glattauer“ der art.experience 2014. In HeimSpiel schreibt Sören Heim mit Heimvorteil zu den Schnittpunkten von Kunst, Kultur und Gesellschaftspolitik. Er beleuchtet die unerwartete Bedeutung ästhetischer Fragestellungen für zeitgenössische Debatten, die mit Kunst auf den ersten Blick kaum Berührungspunkte haben. Und wo immer, sei es in der Politik, sei es in der Ökonomie, sei es gar im Sport, er auf geballten Unsinn und Unverstand trifft, wagt der Kolumnist auch das ein oder andere Auswärtsspiel. Bisher erschien die Kolumne HeimSpiel im Online-Debattenmagazin The European. Daneben veröffentlicht Heim in mehreren Literaturzeitschriften vornehmlich Lyrik und dichte Kurzprosa, und bloggt auf der eigenen Homepage aus seinem Zettelkasten. Monographien: Kleinstadtminiaturen: Ein Roman in 24 Bildern. Girgis Verlag: 2016 – ISBN: 978-3939154181.Cover nur Front Gewogene Worte: Nachdichtungen aus dem Chinesischen. edition maya: 2016 – ISBN: 978-3930758463.cover kathaStrophen. Experimente in Rhythmus und Melodie. Chiliverlag: 2017 -ISBN: 978-3943292541.FrontCover 2_bleu Algenhumor: Gedichte für das dritte Jahrtausend. Girgis Verlag: 2016 – ISBN: 978-3939154228.algen Audio-Exklusiv: La vie! La jeunesse! – Hörmordkartell 2017

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