Der Überflieger – Eine Kolumne für Holger Czukay und Can

Holger Czukay, Bassist, und Vordenker der Krautrock-Institution Can ist tot. Seine Kunst bleibt weiterhin quicklebendig. Als Kultfigur und innovativer Musiker hat er bis heute eine ganze Armee weltberühmter Rockstars beeinflusst. Ulf Kubanke würdigt in seiner Hörmal-Kolumne den großen Überflieger und seine Band Can.


„Ich kann gar nichts!“ Mit diesen Worten bewarb Holger Czukay sich 1963 bei Karlheinz Stockhausen um einen Studienplatz. Denn er habe es fest vor, Komponist zu werden. „Sie sind angenommen.“ entgegnete der anscheinend beeindruckte Guru der Neuen Musik dem Frischling. Drei Jahre lang blieb der als Holger Schüring in Danzig geborene junge Musiker beim Genius der modernen Klassik.

Czukay und Can:

Mehr als ein halbes Jahrhundert nach diesem Gespräch ist Czukay längst selbst zur Legende mutiert. Besonders mit seiner Band Can, zu der u.A. auch der Anfang des Jahres ebenfalls verstorbene Drummer und Erfinder des Motorik-Beat Jaki Liebezeit gehörte, nimmt Czukay unter den international einflussreichsten deutschen Musikern einen der vordersten Ränge ein. Die Liste ist schier endlos. So nennen David Bowie, Marc Bolan, die Talking Heads, Radiohead, Oasis, John Lydon (Public Image LTD, Sex Pistols), Talk Talk, Joy Division/New Order oder Siouxsie And The Banshees Can als essentiell prägenden Einfluss.

Die Band selbst saugt ihren Honig sowohl aus zeitgenössischer Klassik oder Free Jazz als auch aus Innovatoren der Rockmsik wie Jimi Hendrix, Frank Zappa und besonders den Velvet Underground. Alles was Czukay und Co vorfanden, klaubten sie vom Wegesrand, drehten es durch die Can-Mangel und kochten daraus ihre ureigene, höchst unkonventionelle aber schmackhafte Klangsuppe. Eine Schublade gab es für sie nicht. So packte man Can international einfach in die Kategoie „Krautrock“, obgleich sie mit gängigen Bands des Genres wie etwa Tangerine Dream stilistisch kaum etwas gemein hatten.

Mit ihrer wilden Mischung aus Improvisation, Rock, Psychedelik, Jazz und Collage bewegten Can sich weit außerhalb jeglicher Kommerzialität. Die sonst so statischen Regeln des Musikbiz mit Singlehits, Radioformaten und typischem Strophe/Bridge/Chorus-Aufbau galten für diese musikalischen Wanderer auf der Suche nach dem besonderen Klangerlebnis nicht.

Doch genau diese Kompromisslosigkeit ist es schlussendlich, die Czukay und Can am Ende den Status des musikhistorisch bedeutenden Pioniers beschert. Von Weltmusik, Ambient, New Wave bis hin zum Post-Rock nimmt man sie in nahezu jedem Genre als Prototyp, Avantgarde und Vorreiter wahr. Ebenso wegweisend war ihre für damalige Verhältnisse hochmoderne Art des Produzierens. Die u.A. im hauseigenen Can-Studio perfektionierte Mischung aus endlosem Jammen und späterem Zusammenschneidern der besten Passagen verkörpert dabei nur einen Teil ihrer Innovation.

Einen besonderen Platz nehmen in Cans Katalog die Filmmusiken ein. Ihre Kompositionen zu erfolgreichen Streifen wie „Das Millionenspiel“ erfreuten sich großer Beliebtheit und erwiesen sich als lukrativ. Ebenso ihr musikalischer Beitrag zu einer 1973er Tatort-Folge. Einen Teil ihrer Leinwand-Kompositionen findet man auf dem Album „Soundtracks“. Ihr erfolgreichstes Stück, „Spoon“ (zur Krimiserie „Das Messer“) erschien jedoch zunächst lediglich als Single. Diese chartete überraschend als Top Ten-Hit und ging lässige 200.000 mal über den Ladentisch. 1972 packten sie das tolle Stück dann auf ihr Album „Ege Bamyasi“.

Als ultimativen Anspieltipp möchte ich ihre musikhistorisch wichtigste LP „Tago Mago“ empfehlen. Zusammen mit dem ehemaligen japanischen Straßenmusiker Damo Suzuki gelingt ihnen 1971 eines der wichtigsten Alben, das je aus Deutschland kam. Alle obig genannten Ikonen vergöttern die Platte. Kritiker weltweit preisen diese gut 70 Minuten als eine der besten experimentellen Rockplatten aller Zeiten. Und zu Recht! Denn wer sich diesen Cocktail beherzt gönnt und nicht von dessen zunächst womöglich als ungewohnt empfundener Andersartigkeit abschrecken lässt, gewinnt mit „Tago Mago“ ein Juwel fürs Leben. Auch nach Jahren oftmaliger Durchläufe findet der Hörer noch immer Details, die er bislang übersehen hat. Langweilig wird dieses Klangzeugnis ihrer kreativen Parallelwelt niemals. Zum Anfüttern hier der Opener „Paperhouse“.

Czukay als Mensch

Auch wenn Czukay sein Privatleben bewusst von der musikalischen Laufbahn abschottete, galt er doch als offener, sehr freundlicher Zeitgenosse. Sowohl künstlerische Weggefährten wie auch Journalisten schätzten seinen freundlichen, Funken sprühenden Humor, der auch in zahlreichen Interviews aufblitzt.

Czukays Solokarriere

Im Gegensatz zu etlichen Can-Alben blieben Holger Cukays 12 Solo-Platten weitgehend im Schatten öffentlicher Wahrnehmungsquarantäne. Auch die Verkaufszahlen waren größtenteils dermaßen niedrig. Man kann sie kaum als messbar bezeichnen. Ein großes Unrecht! Denn bis hin zu Spätwerken wie „La Luna“ eröffnet sich dem Hörer ein entdeckungswürdiger Mikrokosmos an Klängen. Mal schräg, mal eingängig und heiter, aber ausnahmslos beeindruckend. Mittreiter und Kollabo-Partner fand er u.A. in den Eurythmics oder David Sylvian.

Die Ausnahme zu den verkannten Meisterwerken bildet seine berechtigt verehrte 1979er LP „Movies“. Ein früher Meilenstein der Samplingtechnik, dessen Kuriositäten – von Farsi-Gesängen und afrikanische Sprachfetzen bis hin zu Opernarien – er mittels seines Kurzwellensenders aufschnappte und verabreitete. Czukay übernahm alle Saiteninstrumente, die Keyboards, den Mix und die Produktion.

Der Einfluss dieser Platte auf die entwicklung des Sampling ist groß. Brian Eno und David Byrne etwa zeigten sich dermaßen beeindruckt, dass sie kurz darauf auf dem gemeinsamen „My Life In The Bush Of Ghosts“ die Methode adaptierten. Auch renommierte Magazine wie der New Musical Express wählten „Movies“ zum „Album des Jahres“. Daraus zum Abschluss der Kolumne den betörenden „Persian Love“-Song.

Ulf Kubanke

Ehemaliger Anwalt; nun Publizist, Gesprächspartner und Biograph; u.a. für Deutschlands größtes Online-Musikmagazin laut.de.

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