Kein Mord?

Ein seit 6 Monaten in Deutschland lebender Tschetschene sticht wegen angeblicher Untreue 19 Mal mit einem Messer auf seine Frau ein, wirft sie dann aus dem Fenster und schneidet ihr danach die Kehle durch. Das Gericht verurteilt ihn nicht als Mörder, sondern wegen Totschlags zu 13 Jahren Haft. Die Empörung ist groß. Ist da was schief gelaufen? Ist das ein Skandal?


Es kann keine Zweifel daran geben, dass der Angeklagte eine abscheuliche Tat begangen hat. Er hat seine Frau regelrecht abgeschlachtet. Deshalb ist es auch verständlich, dass das Urteil des Landgerichts Cottbuss in der Öffentlichekeit auf wenig Verständnis gestoßen ist. Warum ist das kein Mord? Warum bekam der keine lebenslange Freiheitsstrafe? BILD sprach selbstverständlich von Skandal und einem Strafrabatt für Muslime.  Dabei spricht vieles dafür, dass das Urteil bei der aktuellen Gesetzeslage richtig ist.

Was ist Mord?

Wenn ich neue Rechtskundeschüler nach dem Unterschied zwischen Mord und Totschlag frage, erhalte ich immer die gleiche Antwort. Danach soll Mord das vorsätzliche Töten eines Menschen und Totschlag das eher versehentliche Töten sein. Das ist zwar auf der Basis unseres geltenden Strafrechts völlig verkehrt, zeigt aber, dass selbst bei ziemlich dramatischen Straftatbeständen eine erhebliche Diskrepanz zwischen der Rechtslage und dem Wissen darüber besteht. Es provoziert aber auch die Frage, ob das natürliche Empfinden der Schüler, was denn ein Mord sei, vielleicht richtiger sein könnte, als das, was die bestehenden Gesetze für Tötungsdelikte definieren.

Der aktuell geltende Mordparagraf ist ein seit Jahrzehnten umstrittenes Ärgernis.

§ 211 StGB

(1) Der Mörder wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft.
(2) Mörder ist, wer aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen,
heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln oder um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken, einen Menschen tötet.

Fällt Ihnen da etwas auf? Schon der merkwürdige Aufbau des Paragrafen macht stutzig. Ein anständiges Gesetz besteht aus zwei Bestandteilen. Tatbestand und Rechtsfolge. Im Tatbestand steht drin, was man nicht tun darf, und in der Rechtsfolge, was für eine Strafe bei einem Verstoß gegen diesen Tatbestand vorgesehen ist. Also ein klares Wenn/Dann. Und hier? Kommt erst mal eine einzige, drakonische lebenslange Strafe im Zusammenhang mit einem fiesen Wort, Mörder.

Erst im zweiten Absatz wird erläutert, was man denn so tun muss, um sich die Bezeichnung „Mörder“ redlich zu verdienen. Schon die ganze Sprache des Mordparagrafen verrät, dass mit diesem Paragrafen im Vergleich zu anderen etwas nicht stimmen kann.

Urfassung

Die historische Entwicklung des § 211 StGB ist ein Beispiel für eine zuweilen unangenehm aufstoßende Kontinuität des deutschen Rechts. Im ursprünglichen Gesetzestext des StGB von 1871 stand nämlich im Prinzip noch das, was auch meine Rechtskundeschüler für einen anständigen Mordtatbestand halten:

§. 211

Wer vorsätzlich einen Menschen tödtet, wird, wenn er die Tödtung mit Ueberlegung ausgeführt hat, wegen Mordes mit dem Tode bestraft.

Und auch der Totschlag war nahe an der Rechtskundeschüler-Definition:

§. 212

Wer vorsätzlich einen Menschen tödtet, wird, wenn er die Tödtung nicht mit Ueberlegung ausgeführt hat, wegen Todtschlages mit Zuchthaus nicht unter fünf Jahren bestraft.

Sie erkennen: klare Tatbestände, klare Rechtsfolgen. Die Tat wird als Mord oder als Totschlag bezeichnet. Der Täter wird „wegen Mordes“ oder „wegen Todtschlages“ verurteilt, nicht „als Mörder“. Schöne Gesetze, wie es sich gehört.

Nazirecht

Dann kamen aber die Nazis. Die Änderung des Mordparagraphen erfolgte nach 70 Jahren, ohne dass es dafür eines anderen Grundes bedurft hätte, als Menschen zu entmenschlichen. Zur Zeit der nationalsozialistischen Unrechtsjustiz. Zu der Zeit, als es nicht mehr darum ging, Taten abzuurteilen, sondern Menschen zu verurteilen, Menschen um jeden Preis zu vernichten. Ob nun die genaue Formulierung des Mordparagrafen vom „Scharfrichter des Bösen“, Roland Freisler, unmittelbar, oder – wie der Strafrechtler Rubach aus Augsburg meint – von „Schmidt-Leichner, einem glänzenden Juristen, der nach dem Krieg ein ebenso glänzender Strafverteidiger wurde“, stammt, ist dabei herzlich nebensächlich. Tatsache ist, dass der geifernde Robenmörder Freisler genau das tat, was dieser Wortlaut provoziert, Menschen von Menschen in etwas anderes, nämlich in Mörder, zu verwandeln. Rund 2.600 Menschen schickte er alleine per Urteil in den Tod. Dabei half insbesondere das Tatbestandsmerkmal „niedrige Beweggründe“, dass dieser Mörder in Robe beliebig auslegen konnte. Freisler wollte gar keine festgelegten Tatbestandsmerkmale, sondern den Tätertypen „Mörder“.

Der Gesetzgeber hat ihn nicht durch Zusammensetzung von Tatbestandsmerkmalen konstruiert. Er hat ihn ganz einfach hingestellt. Damit der Richter ihn ansehen und sagen kann: Das Subjekt verdient den Strang.“ Freisler

Nach den Nazis konnte die bundesdeutsche Justiz sich dann mit diesen irrwitzigen „Mordmerkmalen“ herumschlagen. Der Gesetzgeber beließ es bei dem Naziparagraphen.

Niedrige Beweggründe

Im Cottbusser Fall ging es vorrangig um das Mordmerkmal „niedrige Beweggründe“. „Niedrige Beweggründe“ ist ein herzlich ungenauer Begriff. Was für den einen eine Heldentat ist – zum Beispiel eine Tyrannentötung – ist für die Anhänger dieses Tyrannen selbstverständlich eine widerwärtige Tat.

Der BGH hat sich am 1.3.2012 an einer näheren Definition versucht.

Beweggründe sind niedrig im Sinne von § 211 Abs. 2 StGB, wenn sie nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe stehen und deshalb besonders verachtenswert sind. Die Beurteilung dieser Frage, ob Beweggründe in deutlich weiter reichendem Maße als bei einem Totschlag als verachtenswert erscheinen, erfordert eine Gesamtwürdigung aller äußeren und inneren für die Handlungsantriebe des Täters maßgeblichen Faktoren.“

Und, sind Sie jetzt schlauer? Was steht nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe? Was ist mit „allgemein“ gemeint? Wer kann und soll das beurteilen?

Der Täter handelte offenbar aus rasender Eifersucht. Ist das ein niedriger Beweggrund?

Eventuell, meint der BGH:

Gefühlsregungen wie Eifersucht, Wut, Ärger, Hass und Rache kommen in der Regel nur dann als niedrige Beweggründe in Betracht, wenn sie ihrerseits auf niedrigen Beweggründen beruhen, was am ehesten der Fall ist, wenn diese Gefühlsregungen jeglichen nachvollziehbaren Grundes entbehren.

Grundsätzlich gilt also Eifersucht nicht als niedriger Beweggrund, sofern sie einen nachvollziehbaren Grund hat. Eifersucht war und ist weltweit das häufigste Motiv zur Tötung des Sexualpartners. Davon hat schon William Shakespeare in „Othelllo“ geschrieben und die Toten Hosen haben sie besungen. Eifersucht ist ein starkes Gefühl, das zur Raserei führen kann. Da können schon mal die Sicherungen durchbrennen, auch wenn wir so cool und aufgeklärt tun. Was würden Sie fühlen, wenn Sie Ihren Partner mit einer anderen Person in flagranti beim Sex erwischen? Nett grüßen und ein Getränk für hinterher bereitstellen? Oder austicken? Oder etwas dazwischen?

Eifersucht kann allerdings kein Rechtfertigungsgrund dafür sein, seine Frau abzustechen oder auch nur zu schlagen. Dass ein Mann nicht alles mit seiner Frau machen darf, was ihm in den Sinn kommt, ist aber auch in Deutschland eine relativ neue Erkenntnis. Bis 1997 war es z.B. nicht strafbar, die Ehefrau zu vergewaltigen. Soviel nur zu der super aufgeklärten deutschen Gesellschaft und deren allgemeinen sittlichen Werten. Mittlerweile besteht jedoch zumindest eine gesetzliche Übereinkunft, dass man das nicht darf. Ob sich damit die Praxis der Vergewaltigung in der Ehe tatsächlich wesentlich verbessert hat, kann ich nicht sagen.Die Zahl der Verurteilungen bleibt überschaubar. Nur 15 Prozent der Frauen in Deutschland gehen einer EU-Studie zufolge zur Polizei, wenn ihr Partner gewalttätig wird

Aber zurück zum Urteil. Um einen niedrigen Beweggrund festzustellen, hätten zwei Umstände vorliegen müssen.

Zum einen hätte die Eifersucht ihrerseits auf einem niedrigen Beweggrund beruhen müssen, was man z.B. dann annehmen könnte, wenn an dem Untreuevorwurf gegenüber der Ehefrau überhaupt nichts dran war, der Täter das wusste und er seine Frau

als ihm gehörend, als sein Eigentum und damit lediglich als Objekt

betrachtet hat, über das er verfügen kann, wie ihm beliebt.

Aber auch das alleine reicht für eine Verurteilung wegen Mordes nicht aus, denn

Der Täter muss weiterhin die tatsächlichen Umstände, welche die Niedrigkeit der Beweggründe ausmachen, in ihrer Bedeutung für die Tatausführung in sein Bewusstsein aufgenommen und erkannt haben sowie – insbesondere auch bei affektiver Erregung und gefühlsmäßigen oder triebhaften Regungen, wie dies etwa Verärgerung, Wut und Eifersucht sind – in der Lage gewesen sein, sie gedanklich zu beherrschen und willensmäßig zu steuern (st. Rspr.; vgl. Fischer, aaO, Rn. 82 mwN).

Und genau an diesem Punkt scheiterte die Verurteilung wegen Mordes nach dem Urteil der Cottbusser Kammer. Denn die hatte Zweifel, dass der Angeklagte die Niedrigkeit seiner Beweggründe auch erkannt habe.

Zwar

ist der Maßstab für die Bewertung eines Beweggrundes den Vorstellungen der Rechtsgemeinschaft der Bundesrepublik Deutschland und nicht den Anschauungen einer Volksgruppe, die die sittlichen und rechtlichen Werte dieser Rechtsgemeinschaft nicht anerkennt, zu entnehmen,

sodass der Schluss der BILD auf einen Strafrabatt für Muslime falsch ist. Aber das ändert nichts daran, dass auch bei diesem, wie bei jedem anderen Täter, ein vorsätzlicher Verstoß gegen das Gesetz nachgewiesen werden muss, um den Mordtatbestand zu erfüllen. Es geht hier noch gar nicht um die Strafzumessung, sondern um die davorliegende Feststellung der Strafbarkeit der Tat selbst, als Mord oder als Totschlag.

Die Verteidigung hatte wohl unwiderlegt angegeben, dass der Täter mit seiner Familie erst im Mai 2016 als Asylsuchender nach Deutschland gekommen sei und hier keine sozialen Kontakte gehabt habe. Auch das mag ein Grund dafür gewesen sein, dass das Gericht Zweifel an der Erkennbarkeit der Niedrigkeit der Beweggründe gehabt hat. Da mir die schriftlichen Urteilsgründe nicht vorliegen, ist das allerdings eine reine Spekulation.

Schuldstrafrecht

Es kann auch andere Gründe gehabt haben. In Tschetschenien sind die Vorstellungen über Ehe, Ehre und Moral deutlich andere als in Deutschland. Das dortige Regelwerk Adat, ein ungeschriebener „Ehrenkodex“ der Tschetschenen, eine Art Gewohnheitsrecht, ist uralt und enthält archaische Vorschriften, gegen die das islamische Scharia-Recht vor Neid erblasst. Natürlich finden diese Vorschriften hier keinerlei direkte  Anwendung, sie  hatten aber dennoch zwingend Einfluss auf die Persönlichkeitsentwicklung des Täters.

Das deutsche Strafrecht ist ein Schuldstrafrecht, bei dem ausschließlich auf die individuelle Schuld des Täters abgestellt wird und nicht alleine auf den Erfolg einer Tat. Schuld bedeutet konkrete Vorwerfbarkeit eines strafrechtlich relevanten Verhaltens und Vorwerfbarkeit bedeutet, dass der Täter rechtswidrig gehandelt hat, obwohl er nach seinen persönlichen Fähigkeiten und unter den konkreten Umständen der Tat in der Lage war, sich von der normierten Pflicht zu rechtmäßigem Verhalten leiten zu lassen. Bei einem derart schwammigen Begriff wie dem der niedrigen Beweggründe für jeden ein schwieriges Unterfangen. Bei jemandem, der in einem archaischen Kulturkreis aufgewachsen ist und nie eine Schule besucht hat, dürfte es fast ausgeschlossen sein, dass er dieses spezielle Mordmerkmal richtig erfasst hat. Jedenfalls durfte die Kammer  daran zweifeln.

In dubio pro reo

Zweifel wirken sich nach dem Grundsatz „in dubio pro reo“ – Im Zweifel für den Angeklagten – immer zugunsten des Angeklagten aus. Eine Verurteilung wegen Mordes war daher bei der geltenden Gesetzeslage gar nicht möglich. Das hatte auch bereits die Staatsanwaltschaft erkannt und war vom Mordvorwurf abgerückt.

Dass das Urteil damit vermutlich richtig und keineswegs ein Skandal ist, ändert aber nichts an der Problematik der Strafbarkeit bei Tötungsdelikten.

Der Skandal liegt auf einer ganz anderen Ebene. Seit Jahrzehnten bemängeln Juristen dieses Problem und fordern eine Reform. Auch Justizminister Maas hatte zu Beginn seiner Amtszeit eine Reform angekündigt. Gekommen ist nichts. 2014 wurde eine Expertenkommission eingesetzt, die 2015 einen 903 Seiten starken Bericht veröffentlichte. Das war es dann auch schon. Schön, dass wir mal drüber gesprochen haben.

Als eindeutig reformbedürftig erkannte die Kommission damals folgende Punkte:

1. Das systematische Verhältnis zwischen § 211 und § 212 StGB, also die Frage, ob der Mord ein besonderer Fall der Tötung im Allgemeinen oder ein eigener Tatbestand ist.

2. Die Terminologie, die in der bisherigen Fassung ihre nationalsozialistischen Ursprünge nicht verhehlen kann.

3. Die lebenslange Freiheitsstrafe als einzige Strafe für Mord.

Passiert ist nichts und ich fürchte, es wird auch nichts passieren. Bis zu einer vernünftigen Reform des Strafrechts der Tötungsdelikte werden wir uns noch häufiger über für Laien völlig unverständliche Urteile wundern dürfen und wir werden noch manchen Klimmzug der Justiz erleben, die seltsamen Mordmerkmale, bei deren Vorliegen es ja nur die lebenslange Freiheitsstrafe und keine vernünftige Differenzierung im Sinne der individuellen Schuld gibt, so auszulegen, dass es wenigstens im Ergebnis zu gerechten Entscheidungen kommt. Möge dem nächsten Justizminister ein glücklicheres Händchen in dieser Frage beschieden sein.

Das Österreichische Strafgesetzbuch wäre ein gutes Vorbild. Dort heißt es ganz ohne schwurbelige Tatbestandsmerkmale in § 75

Wer einen anderen tötet, ist mit Freiheitsstrafe von zehn bis zu zwanzig Jahren oder mit lebenslanger Freiheitsstrafe zu bestrafen.

Da der Strafrahmen bei Mord – denn diese Tötung nennt man in Österreich Mord – dort relativ groß ist, wird dem Gericht die Möglichkeit gegeben, nach den Erfordernissen des Einzelfalles eine schuld-, tat- und täterangemessene Strafe zu verhängen, ohne dabei gezwungen zu sein, sich mit vorsintflutlichen Nazirechtsbegriffen herumschlagen zu müssen. Ob die Tat dann Mord oder Totschlag genannt wird, ist letztlich völlig egal. Entscheidend ist, für jeden Täter die richtige Strafe finden zu können. Ob der Tschetschene dann eine wesentlich andere Strafe erhalten hätte, ist schwer zu sagen. Es wäre aber wenigstens möglich gewesen, ihn zu einer lebenslangen Strafe zu verurteilen.

Dass es für eine solche Reform jemals einen Bundestagsmehrheit geben wird, wage ich angesichts der mehrfach gescheiterten Reformanläufe aber zu bezweifeln.  Schade.

 

 

 

 

 

 

 

 

Heinrich Schmitz

Heinrich Schmitz ist Rechtsanwalt, Strafverteidiger und Blogger. In seiner Kolumne "Recht klar" erklärt er rechtlich interessante Sachverhalte allgemeinverständlich und unterhaltsam. Außerdem kommentiert er Bücher, TV-Sendungen und alles was ihn interessiert- und das ist so einiges. Nach einer mit seinen Freital/Heidenau-Kolumnen zusammenhängenden Swatting-Attacke gegen ihn und seine Familie hat er im August 2015 eine Kapitulationserklärung abgegeben, die auf bundesweites Medienecho stieß. Seit dem schreibt er keine explizit politische Kolumnen gegen Rechtsextreme mehr. Sein Hauptthema ist das Grundgesetz, die Menschenrechte und deren Gefährdung aus verschiedenen Richtungen.

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