Reg mich nicht auf – Krimi

„Das ist so nicht haltbar.“ – Ein Strafverteidiger schaut Krimis und regt sich auf. Eine Kolumne von Heinrich Schmitz.

Krimi Kommissar

Ich bin Strafverteidiger. Ich sehe beruflich Dinge, die andere Menschen nur im Fernsehen sehen. Und vielleicht erklärt das, warum ich Krimis häufig nur mit erhöhtem Blutdruck ertrage – und mit dem ständigen Impuls, in den Bildschirm zu rufen: Nein. Einfach nein.

Werden die Drehbuchautoren denn da nicht juristich abgesichert? Vermutlich würde ein Student schon reichen. Übrigens. Ich habe einigen durchaus erfolgreichen AutorInnen schon mit Rechtstipps geholfen.Die wollten es korrekt und haben es korrekt bekommen.  An denen scheint es daher weniger zu liegen als an der Produktion.

Ist doch nur Film

Meine Frau erinnert mich dann stets daran, dass das doch nur ein Film ist. Trotzdem, warum soll denn in einem Film ohne große Not juristiche Falschbildung verbreitet werden? Oft genug habe ich erlebt, dass Mandanten den ganze Unfug glauben.

Kaum beginnt die erste Szene, sagt ein Polizist diesen Satz:

„Halten Sie sich zu unserer Verfügung.“

Und da weiß ich: Jetzt wird es unerquicklich. „Zur Verfügung“ steht im Rechtsstaat niemand. Menschen sind keine Aktenordner. Entweder jemand ist frei – oder er ist festgenommen. Alles andere  ist Krimilyrik mit einem starken Hang zur Freiheitsberaubung.

Es folgt meist ein gewichtiges:

„Sie bleiben jetzt hier.“

Gesagt in diesem Tonfall, der suggeriert, man täte dem Betroffenen gerade einen Gefallen. Tatsächlich sagt der Beamte: Ich entziehe Ihnen gerade ohne erkennbare Rechtsgrundlage die Freiheit, nicht weil ich das darf, sondern weil ich das halt einfach mal so mache. Aber das klingt halt nicht so schön.

Mein persönlicher Favorit:

„Wir nehmen Sie jetzt mal mit auf die Wache. Nur ein paar Fragen.“

„Mitnehmen“ ist kein Rechtsinstitut. Es ist bestenfalls eine Kaffeefahrt mit Handschellen. Fragen kann man auch stellen, ohne Menschen einzusammeln wie Pfandflaschen. Niemand darf sie für ein paar Fragen mitnehmen. Wenn es keinen Grund für eine Festnahme gibt, dann gibt es eben keinen.

Gründe für ein Mitnehmen (Festnahme/Gewahrsam) können sein:

Strafverfolgung (vorläufige Festnahme nach § 127 StPO):

Frisch nach einer Tat: Wenn die Person auf frischer Tat ertappt wird und die Identität unklar ist oder Fluchtverdacht besteht.

Dringender Tatverdacht: Wenn eine Straftat (Verbrechen oder Vergehen) begangen wurde und Fluchtgefahr, Wiederholungsgefahr oder Verdunkelungsgefahr bestehen (z.B. Spuren beseitigen).

Zur Gefahrenabwehr:
Schutzgewahrsam (z.B. § 39 BPolG): Wenn eine Person sich in hilfloser Lage befindet oder eine Gefahr für Leib und Leben besteht, um sie vor sich selbst oder anderen zu schützen.
Präventiv: Bei Demonstrationen oder an bekannten Kriminalitätsschwerpunkten, um Straftaten zu verhindern (Personenkontrollen zur Gefahrenabwehr).

Verkehrsdelikte:
Alkoholdelikte: Wenn ein Alkohol- oder Drogentest verweigert wird, aber der Verdacht besteht, dass eine Fahrt unter Einfluss von Substanzen stattfand, kann eine Blutentnahme angeordnet und die Person dafür mitgenommen werden.

Ansonsten ist ein „Mitnehmen“ nicht drin. Schon gar nicht bei Zeugen.

Kurz darauf wird dann im Krimi moralisch Druck aufgebaut:

„Wenn Sie nichts zu verbergen haben…“

An dieser Stelle greife ich im echten Leben zum Stift und notiere mir innerlich: Aussage unter Druck – danke für die Vorlage. Wer seine Rechte wahrnimmt, muss nichts zu verbergen haben. Wer sie nicht kennt, hat bald ein Problem.

Dann der Moment, in dem mein Puls messbar steigt:

„Sie müssen uns das jetzt sagen.“

Nein. Müssen Sie nicht. Sie dürfen schweigen. Das ist kein Trotz, keine Unhöflichkeit und schon gar kein Schuldeingeständnis. Das ist ein Grundrecht. Auch wenn es im Drehbuch immer wie schlechte Kooperation aussieht. Niemand muss kooperieren, schon gar nicht ein Beschuldigter.

Ich hatte in der Realität mal den Fall, dass eine Dolmetscherin die völlig korrekte Belehrung vor eine Vernehmmung, die etwa wie folgt lautet:

„Es steht Ihnen nach dem Gesetz frei, sich zu der Beschuldigung zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen und jederzeit, auch schon vor seiner Vernehmung, einen von ihm zu wählenden Verteidiger zu befragen.“

in der Übersetzung zu

„Sie müssen hier die Wahrheit sagen“

umformulierte. Glücklicherwiese gab sie das in der Hauptverhandlung zu und damit war die Aussage unbrauchbar.

Unverzichtbar ist in Krimis auch die heimliche Durchsuchung:

„Wir schauen uns hier mal kurz um.“

Natürlich. Kurz. Ohne Beschluss. Ohne Einwilligung. Aber mit bedeutungsvollem Blick in die Kamera. Juristisch ist das keine Ermittlungsmaßnahme, sondern ein Geschenk an die Verteidigung – hübsch verpackt mit Verwertungsverbot.

Besonders kreativ wird es bei der Begründung von Maßnahmen:

„Wir haben Gründe.“

Welche genau? Ach, Details. Verdacht, Anfangsverdacht, dringender Tatverdacht – alles dasselbe, oder? Hauptsache, es klingt entschlossen.

Am Ende heißt es dann:

„Er hat gestanden.“

Natürlich hat er das. Nach drei Stunden „freiwilligem Gespräch“, ohne Belehrung, ohne Verteidiger, aber mit viel suggestiver Empathie. Im Fernsehen ein Durchbruch. Im Gerichtssaal ein Glückslos für die Verteidigung.

Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich mag Krimis. Wirklich. Aber sie erzählen keine Geschichten über Strafverfolgung. Sie erzählen Märchen. Märchen, in denen Grundrechte lästig sind, Verteidiger stören und alles schneller geht, wenn man es einfach macht. Dass so etwas ankommt, sieht man auch in der Politik. Nicht die rechtlich saubere Alternative, sondern die einfache soll es sein. Kein lästiges Einhalten von Regeln, sondern einfach mal machen.

Und jedes Mal denke ich:
Zum Glück gibt es Gerichte.
Und Verteidiger.
Und Akten – sehr viele Akten.

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