Gewaltenteilung in Deutschland? Es ist kompliziert.

Wie steht es in Deutschland um die Gewaltenteilung? Wer ist der Gesetzgeber und wer führt die Gesetze aus? Eine Analyse zeigt, schon das Grundgesetz hat Schwachstellen, die die derzeitige unbefriedigende politische Praxis verursachen.

Bundestag Gewaltenteilung

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Die Gewaltenteilung ist ein wichtiger Bestandteil der Verfassung einer jeden parlamentarischen Republik. Das hat wohl fast jeder irgendwann in der Schule gelernt. Gewaltenteilung besagt, dass die politische Macht nicht bei einer einzigen Institution oder gar Person liegt, sondern geteilt wird, sodass autoritäre oder gar diktatorische Herrschaft unmöglich wird. Die klassische Gewaltenteilung ist die zwischen Legislative, Exekutive und Judikative: Die Legislative erarbeitet und beschließt allgemeine Gesetze, die die Exekutive dann auf die konkrete politische Situation anwendet und in deren Rahmen sie ihre politischen Pläne umsetzt. Die Judikative kontrolliert, ob sie das richtig macht und ab die Legislative mit den Gesetzen auch im Rahmen der Verfassung handelt.

Wie steht es nun um die Gewaltenteilung in Deutschland? Es ist kompliziert. So kommt das Wort Gewaltenteilung im ganzen Grundgesetz nicht vor und auch kein anderes Wort, das zum Ausdruck bringen würde, dass die Entscheidungskompetenzen in der Bundesrepublik so unter verschiedenen Gremien aufgeteilt werden würden, dass diese sich gegenseitig in der Macht begrenzen und kontrollieren würden.

Der richtige Platz für diese Bestimmung wäre der Artikel 20, in dem im Absatz 2 immerhin die drei Gewalten der Republik genannt werden, wenn auch etwas verschämt.

Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

Artikel 20 Absatz 2 GG

Da ist von der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung die Rede. Eine „Gewalt“ ist also nur eine der Drei, das heißt, nur eine hat Macht.

Wer gibt die Gesetze?

Wer aber ist die „Gesetzgebung“, wer gibt in Deutschland die Gesetze? Die Frage klingt trivial, denn wir haben in der Schule gelernt: die Legislative, das ist in Deutschland der Bundestag. Man möchte also geradewegs antworten: Der Bundestag, und in den Bundesländern eben die Landesparlamente, auch wenn das mit den täglichen Beobachtungen nicht so recht übereinstimmen mag, berichten doch die Medien fast täglich und ohne Bedenken, dass „das Kabinett“ also die Regierung, mithin die „vollziehende Gewalt“ ein Gesetz „auf den Weg gebracht“ oder gar „beschlossen“ oder „verabschiedet“ habe, hin und wieder mit der Fußnote versehen, dass der Bundestag noch zustimmen müsse.

Diese Praxis, die man vielleicht für eine kritikwürdige Routine des politischen Betriebs halten möchte, ist tatsächlich im Grundgesetz schon angelegt. Denn wenn man darin nach der Antwort auf die Frage sucht, wer denn dieser Gesetzgeber sei, wo der Ort der Gesetzgebung zu finden wäre, muss man lange suchen und ist am Ende einigermaßen verwirrt.

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Schon in dem etwas kleinteiligen und langen Artikel 23, der 1992 neu geschrieben wurde und die Integration der Bundesrepublik in Europa beschreibt, wird man stutzig: da kommt nämlich plötzlich ein Akteur ins Spiel, der sich keiner der drei Gewalten zuordnen lässt: „der Bund“. Der kann z.B. „Hoheitsrechte übertragen“ wenn auch „mit Zustimmung des Bundesrates“ – nicht etwa des Bundestages. Auch die weiteren Formulierungen dieses Artikels, der wie gesagt, erst spät ins Grundgesetz eingefügt wurde und somit auch schon die politische Praxis reflektiert, verwirren den, der meint, das Parlament müsse in Gesetzgebungsfragen doch entscheidend sein. Der Bundestag könne Klage erheben, wenn gegen das Subsidiaritätsprinzip verstoßen würde, der Bundestag würde bei Angelegenheiten der Europäischen Union „mitwirken“, die Regierung habe ihn zu „unterrichten“, sie gibt dem Bundestag „Gelegenheit zur Stellungnahme“. Geradezu verräterisch ist dann der folgende Satz

„soweit im übrigen der Bund das Recht zur Gesetzgebung hat, berücksichtigt die Bundesregierung die Stellungnahme des Bundesrates“.

Artikel 23 Absatz 5 GG

Hier taucht dieser mysteriöse Akteur „Bund“ als Gesetzgeber auf, und er scheint eher mit der Bundesregierung als mit dem Bundestag identisch zu sein, denn letzterer taucht in dem Satz nicht auf, wohl aber die Bundesregierung, die immerhin anhört, was der Bundesrat (als Vertreter nicht etwa der Landesparlamente, sondern „der Länder“, die ebenso mysteriöse Akteure sind wie „der Bund“) beizusteuern hat.

Wer ist „der Bund“?

Wer aber ist nun „der Bund“? Er taucht im Grundgesetz immer wieder auf, wenn von der Gesetzgebung, vom Autor der Gesetze die Rede ist, aber nirgends wird er definiert, ganz im Gegensatz zu denen, von denen man eigentlich meint, dass sie sich die Macht zu teilen haben.

Denn tatsächlich wird zunächst über viele Seiten über den Bundestag gesprochen. Man erfährt, dass er gewählt wird, für wie lange, wann er zusammentritt. Man erfährt, dass er einen Präsidenten, Stellvertreter und Schriftführer wählt und sich eine Geschäftsordnung gibt, dass er öffentlich verhandelt und dass es Berichte gibt. Die erste Aufgabe, die genannt wird, ist die Wahlprüfung. Der Bundestag kann die Anwesenheit von Regierungsmitgliedern „verlangen“, hingegen hat die Regierung das Recht, an seinen Sitzungen teilzunehmen.

Es folgt eine Aufzählung von verschiedensten Ausschüssen, die der Bundestag bildet, außerdem hat er einen Wehrbeauftragten. Schließlich erfährt man auch noch, dass Menschen, die sich um einen Sitz im Bundestag bewerben, Anrecht auf Urlaub haben.

Was man in dem ganzen Abschnitt des Grundgesetzes über den Bundestag nicht findet, ist die Aussage, dass er der Gesetzgeber sei.

Nach den 21 Artikeln zum Bundestag folgen zwei Abschnitte mit insgesamt 12 Artikeln zu Bundesrat und Bundespräsident, bis es um die Bundesregierung geht, die aus dem Bundeskanzler und den Bundesministern besteht. Hier steht im Artikel 65 der vielzitierte und zugleich nebulöse Satz, dass der Bundeskanzler die „Richtlinien der Politik“ bestimmt. Nebulös ist der Satz, weil unklar ist, was „die Politik“ ist. Gehört die Gesetzgebung zur Politik? Wenn ja, dann wäre der Bundeskanzler innerhalb der Gesetzgebung die maßgebliche Instanz. Nach allgemeinem Verständnis dessen, was Gewaltenteilung bedeutet, müsste die Bundesregierung aber nicht so sehr Gesetzgeber sein als vielmehr sozusagen der Kopf der vollziehenden Gewalt. Das ist sie, wie man später erfährt, auch, aber sie ist noch weit mehr als das.

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Ist der Bundeskanzler der Gesetzgeber?

Es scheint so, als ob das Grundgesetz bereits festlegt, dass nicht etwa das von allen gewählte Parlament der Gesetzgeber ist, sondern der vom Parlament gewählte Bundeskanzler, unterstützt von den von ihm bestimmten Bundesministern. Bedenkt man, dass der Bundeskanzler gerade nicht in einer allgemeinen und unmittelbaren Wahl vom Volk gewählt ist, hat man hier ein Problem der demokratischen Legitimation. Dieses wird verstärkt dadurch, dass bei der Bundestagswahl durch das Spitzenkandidatenprinzip zwar den Wählern bereits bekannt ist, wer von den Parteien zum potentiellen Kandidaten bestimmt ist, dass der Demos aber auf die Auswahl dieser Leute keinen direkten Einfluss nehmen kann.

Immerhin, der Bundestag wählt den Kanzler, ohne Aussprache, und er kann ihm das Misstrauen aussprechen, indem er einen neuen Kanzler wählt.

Aber vielleicht reicht die Macht des Kanzlers gar nicht so weit? Immerhin gibt es ja dann noch einen ganzen Abschnitt zur „Gesetzgebung des Bundes“. Wer hofft, hier nun doch noch eine klare Gewaltenteilung zu finden, wird allerdings enttäuscht. Nachdem dort zunächst ausführlich unterschieden wird, für welche Themen „der Bund“ die Gesetzgebungskompetenz hat und für welche „die Länder“ zuständig sind, hofft man weiter umsonst, zu erfahren, wer denn dieser „Bund“ nun ist. Das bleibt weiter nebulös, offenbar ist es irgendwie ein Konglomerat aus Regierung, Bundestag und Bundesrat. Alle drei haben das Recht, Gesetzesvorlagen einzubringen, wobei schon erstaunlich ist, dass es eine umfassende Vorschrift gibt, wie mit den Vorlagen der Regierung verfahren werden soll, eine weitere für die Vorlagen des Bundesrates (der ja „die Länder“, genauer, deren Regierungen, vertritt) – aber keine Beschreibung des Vorgehens bei Vorlagen, die tatsächlich „aus der Mitte des Bundestages“ kommen. Das entspricht natürlich ganz der gewohnten Praxis, dass die Gesetze meist von der Regierung kommen. Was dem Bundestag bleibt, ist, die Gesetze zu beschließen. Bekanntlich heißt das zumeist, dass die „Regierungskoalition“ (auch so ein Wort, das klar macht, dass es praktisch keine Gewaltenteilung gibt) nach Lesungen dem im Wesentlichen zustimmt, was sich die Regierung ausgedacht hat. Die Debatte besteht darin, dass Abgeordnete der Regierungsparteien den Entwurf verteidigen, während Abgeordnete der Opposition, ohne Wirkung, den Entwurf kritisieren. Eine Gestaltung der Gesetzesvorlagen, womöglich eine grundsätzliche und vor allem ergebnisoffene Diskussion über die Regierungsideen findet nur selten statt. Die entscheidende Instanz der Gesetzgebung ist die Regierung, und die ist gerade nicht der frei gewählte Repräsentant des Demos – wenn überhaupt, wäre das das Parlament.

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Hat doch immer funktioniert…

Man könnte nun sagen: Na und, das hat doch immer gut funktioniert. Warum sollte uns interessieren, was sich Staatstheoretiker und politische Philosophen vor langer Zeit mal als Prinzipien einer Republik, die der Demokratie verpflichtet ist, ausgedacht haben? Tatsächlich hat man ja den Eindruck, dass sich die meisten Menschen und die Öffentlichkeit einen starken Kanzler wünschen, der die Gesetzgebung genauso im Griff hat wie die alltägliche Durchsetzung seiner politischen Ziele.

Andererseits aber wächst die Unzufriedenheit mit der Politik überhaupt, und kaum jemand fühlt sich von denen, die er gewählt hat, gut vertreten. Wie die vorstehenden Überlegungen gezeigt haben, liegt das an Konstruktionsfehlern zur Gewaltenteilung, die in der Urschrift des Grundgesetzes angelegt waren. Diese führen dazu, dass Gesetze nicht von Volksvertretern ausgehandelt werden, sondern als Regierungsvorlagen ins Parlament eingebracht und dort entsprechend der Mehrheitsverhältnisse verabschiedet werden.

Das Gezerre um das neue Wehrdienstgesetz war ein gutes Beispiel dafür. Statt die strittigen Punkte offen im Parlament zu debattieren, wurde so lange in Hinterzimmern herumgekungelt, bis man meinte, das Gesetz durchbringen zu können, weil Regierung und Fraktionsspitzen sich einig waren und die Fraktionsführungen ihre Mannschaften auf Kurs hatten. So gewinnt man in der Öffentlichkeit und am Stammtisch nicht das Gefühl, dass hier ein guter Kompromiss oder gar ein tragfähiger Konsens gefunden wurde, der an die Stimmung in der Gesellschaft anschließt.

Was wir heute brauchen, ist deshalb der Mut zu einer gesellschaftlichen Debatte zu einer Verfassungsreform. Das Parlament muss als Gesetzgeber gestärkt werden und mit ihm die Freiheit der Abgeordneten. Der Bundestag wäre dann der Ort, nicht ritualisiert debattiert und dann beschlossen wird, was die Regierung schon beschlossen hatte, sondern wo gesetzliche Regelungen wirklich gestaltet und wo um die Regeln der Gesellschaft gerungen wird. Darin würden sich die Bürger wiederfinden, da würden sie sich vertreten fühlen. Das wäre die Chance, die Kluft zwischen Demos und politischer Klasse wieder zu schließen.

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