Lasst die Leute länger arbeiten!

Die Wirtschaftsministerin schlägt vor, länger zu arbeiten, um so die marode Rentenkasse zu entlasten, und erwartungsgemäß regen sich alle darüber auf. Das wiederum versteht unser Kolumnist Henning Hirsch nicht, der gerne bis zum 75-sten Lebensjahr am Schreibtisch sitzen würde unter der Voraussetzung, dass er vorher nicht zwangsverrentet wird.

Bild von bamenny auf Pixabay

Beim Thema Rente hat Wirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) sich klar positioniert: Die Deutschen müssen ihrer Meinung nach länger und mehr arbeiten. „Der demografische Wandel und die weiter steigende Lebenserwartung machen es unumgänglich: Die Lebensarbeitszeit muss steigen“, sagte die CDU-Politikerin in einem Interview mit der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. „Es kann jedenfalls auf Dauer nicht gut gehen, dass wir nur zwei Drittel unseres Erwachsenenlebens arbeiten und ein Drittel in Rente verbringen“, so Reiche.
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Scharfe Kritik an ihren Aussagen kommt nun vom CDU-Sozialflügel. CDA-Bundesvize Christian Bäumler sieht Reiche als Fremdkörper in der Bundesregierung. Ihre Forderungen hätten keine Grundlage im Koalitionsvertrag. „Wer als Wirtschaftsministerin nicht realisiert, dass Deutschland eine hohe Teilzeitquote und damit eine niedrige durchschnittliche Jahresarbeitszeit hat, ist eine Fehlbesetzung“, sagte er.
© t-online: CDU-internes Zerwürfnis. „Fehlbesetzung“ – Scharfe Kritik an Reiche

Jetzt mal ganz ehrlich – was macht der Normalo-Deutsche (m/w/d), sobald er das Rentenalter erreicht hat?

Er/sie/divers schläft die ersten 3 Monate morgens länger, räumt zu Hause endlich mal ordentlich auf, streicht die Wände neu, mäht 2x/Woche den Rasen, verabredet sich alle 14 Tage mit seinen Rentnerfreunden*innen zum Rentner-Brunch in einem Lokal, das mit Rentner-Rabatten wirbt. Manche, die was gespart haben, kaufen sich ein Wohnmobil und touren durch Europa; andere fliegen 5x/Jahr auf den Ballermann (in die Ecke, die für Senioren reserviert ist). Einige versuchen sich an ihren Memoiren, weil ihr Leben so superspannend war, dass man es unbedingt der breiten Öffentlichkeit mitteilen muss (davon kommen allerdings 95 Prozent nicht über Seite 20 hinaus; die restlichen 5 müssen im Eigenverlag veröffentlichen). Eine kleine Rentner-Avantgarde versucht sich an ausgefallenen Hobbies wie Biohacking, Geocaching, Gin Tasting, veganes Bier brauen (die beiden Letztgenannten sind auf Dauer nicht gut für die Leber) oder treten einem Paintball-Club bei. ALLE gehen recht schnell ihren Kindern auf die Nerven, weil sie die jetzt ständig anrufen, besuchen wollen und sich ungefragt in die Erziehung der Enkel einmischen.

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Zwischenfazit 1: Der Rentner nervt.

Spätestens nach 5 Jahren, sobald das eigene Haus kernsaniert, der Rasen totgemäht (oder alternativ in eine Steinwüste verwandelt), die Figur aufgrund von zu viel Rentner-Brunch aus allen Nähten platzt, die eigenen Kinder sofort auflegen, sobald der Opa anruft, und die Balearen einen Einreisestopp für deutsche Senioren beschließen, treten wir in Phase 2 des schönen Rentnerlebens ein. Diese wird fortan bestimmt durch häufige Arztbesuche: den wöchentlichen Gang zum Allgemeinmediziner, weil die Zipperlein zunehmen (der Rücken, die Knie, Kurzatmigkeit, Libido & Verdauung sind auch nicht mehr das, was sie früher mal waren, mann kann beim Pinkeln – falls Mann das noch im Stehen tut – seine Zehen nicht mehr sehen, die Hämorrhoiden jucken schlimmer als 20 Moskitobisse etc.) sowie (möglichst unentdeckt) zum Psychologen – am besten ein Fachtherapeut mit Spezialisierung auf Geriatrie –, um mit dem über so Sachen wie Altersfrust, Alterszorn, depressive Schübe, suizidale Gedanken u.ä. zu reden. Bewirkt v.a. durch 1 Auslöser = galoppierende Fadheit.

Zwischenfazit 2: Das Rentnertum verursacht Krankheiten, die der Mensch, als er noch der arbeitenden Bevölkerung angehörte, nur vom Hörensagen kannte.

Trotz des bekanntermaßen rapide einsetzenden körperlichen & geistigen Verfalls, der mit dem plötzlichen Ausscheiden aus dem Berufsleben einhergeht, beharren dennoch 99 Prozent der arbeitenden Bevölkerung störrisch darauf, pünktlich am Stichtag ihren Bürosessel zu räumen und sich die verbleibendenden Lebensjahre – die dank moderner Medizintechnik und viel Pharmazie weitere 20 bis 30 betragen können – mit gepflegter Langeweile zu vertreiben.

Zwischenfazit 3: in unseren westlichen Industrieländern wird es alsbald zugehen wie auf der Krankenstation eines Altersheims.

Vor diesem deprimierenden Hintergrund ist es schleierhaft, weshalb der naheliegende Vorschlag unserer Wirtschaftsministerin, die Lebensarbeitszeit um xy (bspw. 5) Jahre zu verlängern, auf solch großen Widerstand stößt. Zum einen entlastet das sofort die Rentenkasse, verschont des Weiteren die junge Generation davor, die Hälfte ihres Einkommens für Sozialbeiträge zu verpulvern und bewahrt zum anderen ne Menge Menschen vor den o.g. rentenbedingten Krankheiten.

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Wir sollten deshalb in einem ersten Schritt die Leute länger arbeiten lassen, die das freiwillig oder sogar gerne tun würden (ich persönlich hätte kein Problem damit, bis 75 am Schreibtisch zu sitzen). Insofern sich genügend Teilnehmer melden, um einen spürbaren Entlastungseffekt zu bewirken = fein. Falls nein, dann muss im zweiten Schritt über eine gesetzliche Regelung, das Renteneintrittsalter spürbar anzuheben, nachgedacht werden. Aber eventuell reicht Freiwilligkeit ja bereits aus. Das wäre dann für alle Betroffenen (die Gruppe, die nicht mit 65 zwangsverrentet werden möchte und diejenigen, die das letzte Viertel oder Drittel ihres Lebens lieber der Pflege ihres Vorgartens widmen wollen) die erfreulichste Lösung. Unsere Kinder & Enkel werden uns nicht nur dafür dankbar sein, wenn wir vom alten Diesel auf einen flotten Elektroroller umsteigen, um so den individuellen CO2-Fußabdruck zu optimieren, sondern sie fänden es ebenfalls super, falls wir ihnen durch unsere Bereitschaft, länger zu arbeiten, ein bankrottes Rentensystem und explodierende Sozialbeiträge ersparen.

Fazit: Wer 100 werden (und nen solide finanzierten Lebensabend verbringen) will, muss halt in der Konsequenz ein paar Jahre mehr malochen.

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