Zwischen Staatskunst und Kabarett: Wie Deutschland seine Verfassungsrichter wählt

Bei der wilden Diskussion um die Wahl der neuen Richter am Bundesverfassungsgericht fällt eines besonders auf: nämlich grobe Unkenntnis des Verfassungsrechts. Eine Kolumne von Heinrich Schmitz.

Bundesverfassungsgericht Bundesverfassungsgericht

Wenn sich irgendwo im Dickicht des deutschen Rechtsstaats eine Bühne für die Mischung aus Staatsdrama, Juristenkomödie und verfassungspolitischem Feinschliff auftut, dann ist es das Verfahren zur Wahl der Richter am Bundesverfassungsgericht. Hier trifft das Pathos der Demokratie auf die nüchterne Bürokratie des Parlamentsbetriebs – und das Ganze war bisher überraschend gut organisiert. Die  Richterwahl kann also durchaus ihre Dramen bieten.

Zwei Senate, 16 Roben – aber wie kommen die Richter dahin?

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in Karlsruhe besteht aus zwei Senaten mit jeweils acht Richterinnen und Richtern. Diese tragen rote Roben, wirken erhaben – und sind nicht nur juristisch exzellent, sondern auch politisch hochsensibel ausgewählt. Schließlich entscheiden sie über Grundrechte, Parteiverbote und sogar das Schicksal ganzer Gesetze. Kein Wunder also, dass die Auswahl dieser Richter eher einem strategischen Schachspiel als einem bloßen Bewerbungsverfahren gleicht. Die Bundesverfassungsgericht Richterwahl erfordert daher besonderes politisches Gespür.

Die rechtliche Grundlage: Art. 93 GG und das BVerfGG

Die Wahl der Richter ist in Artikel 93 des Grundgesetzes und im Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG) geregelt. Laut Grundgesetz werden je zur Hälfte acht Richter vom Bundestag und acht vom Bundesrat gewählt. Das Bundesverfassungsgerichtsgesetz (konkret: §§ 5 ff. BVerfGG) regelt die Details – und die haben es in sich.

Das Verfahren im Bundestag: Der Wahlmännerausschuss

Die acht vom Bundestag zu wählenden Richter werden zunächst nicht vom gesamten Plenum bestimmt – das wäre ja zu einfach. Stattdessen gibt es einen zwölfköpfigen Wahlausschuss, der sich aus Abgeordneten aller Fraktionen zusammensetzt (§ 6 BVerfGG). Um gewählt zu werden, braucht ein Kandidat oder eine Kandidatin eine Zweidrittelmehrheit im Ausschuss. Das bedeutet: Ohne politische Kompromisse geht nichts. Und damit das Ganze nicht zur parteipolitischen Resterampe verkommt, ist auch eine gewisse juristische Mindestqualität gefragt – denn die Kandidaten müssen die Befähigung zum Richteramt haben (§ 3 BVerfGG) und in der Regel über einschlägige Berufserfahrung verfügen. Und wenn die Kandidaten dann diese Vorauswahl überstanden haben, wird das im Normalfall problemlos vom Plenum abgenickt. Dieses Mal eher nicht, weil die sogenannte Groko ihre Abgeordneten nicht im Griff hat und stattdessen munter Rufmord betreibt.

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Das Verfahren im Bundesrat: Föderale Diplomatie in Aktion

Auch der Bundesrat wählt acht Richter – allerdings direkt, also nicht durch einen vorgeschalteten Ausschuss. Auch hier ist eine Zweidrittelmehrheit nötig (§ 7 BVerfGG), was angesichts der politischen Vielfalt in den Ländern regelmäßig zu ausgeklügelten Verhandlungsmarathons führt. Wer meint, Föderalismus sei langweilig, hat noch nie erlebt, wie sich Bayern, Bremen und Brandenburg auf eine gemeinsame Verfassungsrichterin einigen müssen, besonders bei der komplexen Bundesverfassungsgericht Richterwahl.

Der politische Kompromiss – kein Makel, sondern System

Kritiker rümpfen gerne die Nase: Politische Parteien hätten zu viel Einfluss auf die Richterwahl. Aber genau das ist Teil des Konzepts. Das Bundesverfassungsgericht urteilt über die Politik – da ist es nur folgerichtig, dass seine Zusammensetzung ein Spiegel des politischen Pluralismus ist. Der Clou liegt in der Zweidrittelmehrheit: Keine Partei kann allein bestimmen, wer auf dem Karlsruher Richtersessel Platz nimmt. Das sorgt nicht nur für eine gewisse parteiübergreifende Balance, sondern auch für eine informelle „Pattarchitektur“ zwischen konservativen und progressiven Juristen. In Karlsruhe regiert nicht eine Mehrheit, sondern das Prinzip des Ausgleichs.

Voraussetzungen: Nicht jeder Juraprofessor darf ran

Mindestens drei der acht Richter in jedem Senat müssen aus der Richterschaft der obersten Bundesgerichte stammen. Und: Alle müssen das 40. Lebensjahr vollendet haben, dürfen nicht älter als 68 sein und müssen über „besondere juristische Qualifikation“ verfügen. Mit anderen Worten: Wer schon einmal auf Jura-YouTube mit „Staatshaftung für Anfänger“ brilliert hat, braucht nicht auf eine Berufung zu hoffen.

Ein System mit Anstand – und einer Prise Theater

Die Wahl der Richter am Bundesverfassungsgericht ist kein lupenreines Bewerbungsverfahren, sondern eine verfassungsrechtliche Operette auf höchstem Niveau. In den Hinterzimmern wird verhandelt, taktiert und gefeilscht – und am Ende stehen dennoch meist hochqualifizierte Juristinnen und Juristen mit beeindruckenden Lebensläufen auf dem roten Teppich von Karlsruhe. Das Verfahren ist politisch, ja – aber gerade darin liegt seine demokratische Legitimität. Die Bundesverfassungsgericht Richterwahl bleibt ein so faszinierendes wie wichtiges Element des deutschen Rechtsstaats.

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Denn was wäre gefährlicher: ein Verfassungsgericht ohne jede politische Einbindung? Oder eines, das sich regelmäßig aus der gemeinsamen Mitte des Staates speist?

So bleibt das Wahlsystem, bei aller Komplexität, eines der besten Belege dafür, dass der deutsche Rechtsstaat nicht nur robust, sondern auch überraschend elegant ist – mit einer gehörigen Portion politischem Feingefühl und juristischer Ernsthaftigkeit. Und ein bisschen Drama gehört dazu – schließlich geht es um nichts Geringeres als das Gewissen der Republik. Zu viel Drama bei der Bundesverfassungsgericht Richterwahl schadet jedoch.

Verantwortung

Wenn die verantwortlichen Abgeordneten das Verfahren allerdings zu parteipolitischem Spektakel benutzen und dabei mit Verleumdungen einer Kandidatin ans Werk gehen, leisten sie einen Beitrag zur sogenannten Politikverdrossenheit.

Da die meisten Bundesbürger ohnehin nicht den Hauch einer Ahnung vom Verfassungsrecht haben – und das schließt offenbar auch viele Abgeordnete ein –, wird munter drauflos gelabert, spekuliert und nebenbei eine renommierte Verfassungsrechtlerin den Dummen und Bösartigen zum Fraß vorgeworfen. Bei der Bundesverfassungsgericht Richterwahl sollten alle die Verantwortung für einen fairen Prozess übernehmen.

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