Mario – Gut, weil er nicht „woke“ ist?

Der neue Mario-Film ist schrecklich überhyped und gerade so noch unterhaltsam, findet Kolumnist Sören Heim.


Okay, tun wir also jetzt wirklich kollektiv so, als sei dieser im besten Fall leidlich witzige Mario-Film ein Meisterwerk, nur weil er nicht „woke“ ist?

Ich kann ja verstehen, dass das mittlerweile als Marketing-Gag halbwegs funktioniert. Wenn es Usus geworden ist, dass beliebtes Quellenmaterial radikal gegen den Strich gebürstet wird, oft ohne dass das tatsächlich aus erzählerisch durchdachten Gründen geschieht, wenn Figuren regelmäßig weniger miteinander als mit dem Publikum zu sprechen scheinen, ist es verständlich, dass Fans sich freuen: Mario ist einfach nur Mario. Immerhin sind sie Fans von Mario und nicht von „Mario, aber als XY“. Klar, man kann Werke auch künstlerisch gelungen neu adaptieren, als Beispiel nenne ich gerne zwei herausragende „Heart of Darkness“-Adaptionen: „Apocalypse Now“ und Gurnahs Roman „Paradise“, von dem viele nicht einmal merken, dass es eine solche Um-Adaption ist. Allerdings kann man auch kaum leugnen, dass die meisten dieser Neuverfilmungen wenig inspiriert sind.

Vielleicht ein netter Kinderfilm

Gut, Mario ist also der klassische Mario, aber das macht aus dem Mario-Film genauso wenig einen guten Film wie eine radikale Transformation daraus zwangsläufig einen schlechten Film machen würde. Und Mario ist im besten Fall ein ganz netter Kinderfilm, dem im Gegensatz zu besseren Kinderfilmen die zweite Ebene fehlt, die für Kinder nur durchscheint und große Kinderfilme auch für Erwachsene interessant macht. Mario ist eher auf dem Niveau von „Minions“ als auf dem Niveau von „Toy Story“ – oder, um eine neuere Produktion einzubeziehen,, z.B. „Encanto“:  sicher nicht ohne Schwächen, aber doch Meilen über dem Mario-Gehüpfe. Es ist also durchaus verräterisch, dass gerade Erwachsene auf diesen Film so abfahren.

Dem Film kann man übrigens auch fast alle Fehler vorwerfen, die sonst sogenannten „woken“ Filmen vorgeworfen werden: Die Story ist wirklich hanebüchen. Und damit meine ich nicht, dass sie im guten Sinne verrückt ist oder nicht besonders logisch – beides nicht unbedingt Dinge, die man von einem Film nach einem Renn- und Hüpfspielchen verlangen sollte. Sie ist vor allem auch nicht besonders gut ausgeführt. Es beginnt mit den langen Eröffnungsszenen, in denen die Brüder bei einem Klempnerauftrag von einem Hund in einem reichen Haushalt geärgert werden. Man sollte meinen, diese Exposition habe später noch irgendeine weitreichende Bedeutung, aber alles, was danach geschieht, geschieht aufgrund eines ganz anderen Vorfalls. Und warum durch die Verwüstung des Bades auch Rohre tief in der Wand platzen, muss man mir wirklich noch einmal erklären. Eigentlich sollte doch gerade dadurch der Druck vom Rohr sein, dass das Wasser bereits ins Bad eingelaufen ist. Das sind Kleinigkeiten, die man auch in einem crazy Fantasy-Film richtig machen kann.

Nachdem Mario und Luigi dann in die Videospielwelt gestolpert sind, wird Luigi als Figur kaltgestellt. Mario spielt letztendlich in platter Folge ein paar Spiele, zuerst „Super Mario“, dann „Donkey Kong“, dann „Mario Kart“, und schon steht der große Showdown bevor. Die Übergänge und Dialoge sind dabei teils übelst cringe. Unglaublich schlechte, schon 100-mal gemachte Wortspiele:
„Destiny is calling.“ – „Destiny del Vecchio from high school?“
Müde Appelle nach dem Motto: „Wir brauchen eure Armee.“ – „Die kriegt ihr nicht.“ – „Wir brauchen sie aber dringend.“ – „Gut, dann kämpft darum.“
Und ganz viel Exposition, die einfach hingeworfen wird nach dem Motto: „Ich bin aber nicht stark.“ – „Ach, kein Problem, dafür gibt es Power-Ups.“ Wo kommen die her? Welche Bedeutung haben die in der Welt? Nichts gegen crazy Worldbuilding, aber dieses Worldbuilding ist übelst lazy. Selbst in einem Kinderfilm könnte man ein paar mehr Gedanken in die Frage stecken, warum die Welt eigentlich so ist, wie sie ist. Also: Stationen abhaken, Kämpfe kämpfen, Film vorüber.

Figuren ohne jedes Profil

Und dann: Die Figuren. Luigi und Mario haben praktisch gar kein Profil. Princess Peach hat irgendeine geheimnisvolle Vergangenheit, aber ein tieferes Interesse daran entwickelt der Film nicht. Hingeworfen, vergessen. Mit ein bisschen Training auf einem Jump-and-Run-Kurs wird Mario nicht nur zu einem guten Springer und Renner, er zeigt sich wenig später schon als unglaublicher Kämpfer, der den stärksten Kämpfer der „guten“ Welt bezwingt (Donkey Kong). Und obwohl wir ihn vorher nicht ein Mal Auto fahren sehen, ist er auch überraschend talentiert in Mario-Kart. Sorry Leute, da wurde Rey in „Star Wars“ deutlich plausibler entwickelt. Die spannendste Figur ist eigentlich Bowser, der nicht nur böse ist, sondern anscheinend auch Musiker und ernsthaft in Princess Peach verliebt. Das ist kein fieser Plan eines Bösewichts, sondern seine „bösen“ Verhaltensweisen entstehen anscheinend aus dieser Liebe. Damit ist Bowser die einzige Figur mit etwas Tiefe. Leider erkennt der Film das nicht und nutzt das nur für ein paar Gags.

Zuletzt verkackt Mario auch noch vollkommen das Ende, den eigentlich idealen Schluss einer Heldenreise: Die Rückkehr in die eigene Welt, wo man zuvor nicht ernstgenommen wurde, und wo man jetzt mit den neu erworbenen Fähigkeiten glänzt. Ja, es gibt einen Endkampf in New York, aber statt dass die beiden dort nun mit neuem Selbstbewusstsein als Klempner durchstarten, sieht man zuletzt Mario und Luigi fröhlich in der Videospielwelt, wo es ihnen anscheinend besser gefallen hat, und wohin sie übergesiedelt sind. Lehre dieser Heldenreise: Wenn du es zu Hause nicht schaffst, versuche es halt woanders. An sich auch nicht unbedingt eine dumme Lehre, macht die eh unnötig lange Exposition in New York aber noch überflüssiger, als sie es bis hierhin schon war. Man hätte es dann auch bei dem Fehlschlag mit dem Werbespot belassen können.

Sorry, Leute, das ist kein guter Film. Man kommt gerade so durch die 90 Minuten, wenn man das Gehirn wirklich mit aller Anstrengung ausschaltet und ausgeschaltet lässt. Dann, und auch nur dann, kann man sagen, das war ganz unterhaltsam. Die erzählerischen Schwächen sind eklatant. Das CGI nett, aber auch nichts Besonderes mehr. Das Worldbuilding ist schlimmer als nicht vorhanden, und die Figuren mit Ausnahme von Bowser ohne jegliche Tiefe. Man könnte sagen, das sei ja auch nur ein Kinderfilm. Aber erstens haben Disney, Pixar und Co. in ihren besten Zeiten jährlich mehrere Kinderfilme ausgespuckt, die das Niveau von Mario bei weitem übertreffen (und übertreffen es, trotz mancher Schwäche, auch heute noch öfter – siehe „Encanto“), und zweitens sind es eben Erwachsene, die jetzt auf diesen Film so abgehen. Und bei einem 98%-Rotten-Tomatoes-Score ist das definitiv nicht nur der lunatic fringe der Rechten. Ein Film ist in erster Linie nicht deshalb gut, weil er diese oder jene politische Message verbreitet, sondern weil er handwerklich gut gemacht ist und darüber hinaus vielleicht noch ein paar geniale künstlerische Impulse setzt (die dann sogar handwerkliche Schwächen kompensieren können). Nichts davon gilt für Mario. Dieser Film wird letztlich rein dafür gehyped, dass die Hauptfiguren aussehen, wie sie in den Spielen aussehen. Das ist arm.

Sören Heim

Sören Heim ist Journalist, Übersetzer und Schriftsteller. Er ist Träger des kosovarischen Preises für moderne Dichtung „Pena e Anton Pashkut“ (Stift des Anton Pashku) und des Sonderpreises „Favorit von Daniel Glattauer“ der art.experience 2014. In HeimSpiel schreibt Sören Heim mit Heimvorteil zu den Schnittpunkten von Kunst, Kultur und Gesellschaftspolitik. Er beleuchtet die unerwartete Bedeutung ästhetischer Fragestellungen für zeitgenössische Debatten, die mit Kunst auf den ersten Blick kaum Berührungspunkte haben. Und wo immer, sei es in der Politik, sei es in der Ökonomie, sei es gar im Sport, er auf geballten Unsinn und Unverstand trifft, wagt der Kolumnist auch das ein oder andere Auswärtsspiel. Bisher erschien die Kolumne HeimSpiel im Online-Debattenmagazin The European. Daneben veröffentlicht Heim in mehreren Literaturzeitschriften vornehmlich Lyrik und dichte Kurzprosa, und bloggt auf der eigenen Homepage aus seinem Zettelkasten. Monographien: Kleinstadtminiaturen: Ein Roman in 24 Bildern. Girgis Verlag: 2016 – ISBN: 978-3939154181.Cover nur Front Gewogene Worte: Nachdichtungen aus dem Chinesischen. edition maya: 2016 – ISBN: 978-3930758463.cover kathaStrophen. Experimente in Rhythmus und Melodie. Chiliverlag: 2017 -ISBN: 978-3943292541.FrontCover 2_bleu Algenhumor: Gedichte für das dritte Jahrtausend. Girgis Verlag: 2016 – ISBN: 978-3939154228.algen Audio-Exklusiv: La vie! La jeunesse! – Hörmordkartell 2017

More Posts - Website

Follow Me:
TwitterFacebook

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert