My home is my castle – Miri gewinnt vor dem Bundesverfassungsgericht

Sammy Miri, mutmaßlicher Clan-Chef, ist auf der Flucht. Trotzdem gewinnt er vor dem Bundesverfassungsgericht. Kein Skandal. Eine Kolumne von Heinrich Schmitz.


Bild von Jonathan Sautter auf Pixabay

Bereits am 19.April 2023 entschied das Bundesverfassungsgericht, dass die im August 2020 in dem Anwesen von Sammy Miri in Dortmund durchgeführte Hausdurchsuchung rechtswidrig war. Nun wurden die Gründe veröffentlicht.

Der mutmaßliche Chef des „berüchtigten Miri-Clans“ ist wegen eines Haftbefehls in die Türkei geflohen. Das ist ein Grund für manche Menschen, einschließlich der BILD, sich zu wundern, dass er trotzdem vor dem Bundesverfassungsgericht siegreich war. Das ist aber weit ab von einem Skandal, sondern eher ein Zeichen dafür, dass der Rechtsstaat, wenn auch nicht immer, so aber doch in diesem Fall, funktioniert hat.

Zum Sachverhalt

Gegenstand der Verfassungsbeschwerde ist ein Ermittlungsverfahren gegen Sammy Miri wegen des Verdachts der Geldwäsche und weiterer Delikte. Dieses Ermittlungsverfahren steht im Zusammenhang mit einem weiteren Ermittlungsverfahren gegen einen Beschuldigten Namens K. wegen des Verdachts des gewerbsmäßigen Betrugs. Dieser K. soll im Rahmen seiner Tätigkeit als Pkw-Händler in zahlreichen Fällen dabei mitgewirkt haben, dass unter anderem gegenüber Versicherungen und Banken falsche Angaben für die Finanzierung hochpreisiger Fahrzeuge gemacht wurden, sodass er sich infolgedessen an den ausgezahlten Summen zu Unrecht bereichert haben soll. Aus den Ermittlungen ging hervor, dass K. und die genutzten Fahrzeuge Verbindungen ins kriminelle Milieu aufweisen, darunter auch zu Miri. Sammy Miri soll danach dem „Miri-Clan“ angehören und in zahlreiche polizeilich erfasste Vorgänge verwickelt sein, darunter in Ermittlungen wegen Verdachts des Kokainhandels, wegen Delikten aus dem Bereich der Gewaltkriminalität und wegen Verdachts des Landfriedensbruchs. Soweit es Miri angeht, betrifft die ihm angelastete Tatbeteiligung nur einen Teil der gegen K. erhobenen Vorwürfe. Diese wiederum stehen in Zusammenhang der Tätigkeit des K. als Geschäftsführer zweier Unternehmen, welche den Betrieb einer Lounge (A.UG) und eines Handels für Kraftsportartikel B.UG, zum Gegenstand hatten.

Durchsuchung

Mit Beschluss vom 6. August 2020 erließ das Amgtsgericht Hagen einen Durchsuchungsbefehl, mit dem es die Durchsuchung Miris, seiner Wohnung und der sonstigen Räume einschließlich der dazugehörigen Sachen und Behältnisse, Nebengelasse, Kraftfahrzeuge und Garagen anordnete. Die Durchsuchung sollte dem Zweck dienen, Hinweise „auf die Nutzung und Beschaffung der Aliaspersonalie N.“, auf „Aufwendungen im Zusammenhang mit der A. UG sowie der B. UG“ sowie die Herkunft dieser Mittel, auf etwaige Absprachen zwischen den Beteiligten sowie Dokumente, Mobiltelefone, Datenträger, Computer und sonstige Speichermedien aufzufinden. In Bezug auf diese Beweismittel ordnete das Gericht die Beschlagnahme an. Am 12.August 2020 rückte dann die Polizei an und stellte das Anwesen auf den Kopf.

Beschwerde

Gegen den Durchsuchungsbeschluss legte die Anwältin Miris dann am 11.9.2020 Beschwerde ein, die vom Landgericht Hagen als unbegründet verworfen wurde.

Ja und, wird sich mancher fragen. Ist doch interessant, mal beim Miri nachzusehen, ob man irgendwas findet, was man irgendwie gegen Miri verwenden kann. Schließlich hat die BILD den doch schon mehr oder weniger als Boss einer mafiösen Gruppierung verurteilt.

Nun ist es allerdings weder die Aufgabe der öffentlichen Medien öffentliche Verurteilungen zu fabrizieren, noch ist es Aufgabe der Ermittlungsbehörden, mit rechtswidrigen Maßnahmen an Beweismittel zu gelangen, die dann erst einen Anfangsverdacht begründen würden.

„My home is my castle“ oder auf Deutsch „Die Wohnung ist unverletzlich“ (Art. 13 Abs. 1 GG) ist nicht nur hohles Gewäsch, sondern ein ordentliches Grundrecht.

Und Grundrechte gelten nun mal auch für Menschen, gegen die es einen Haftbefehl gibt.

Unverletzlichkeit der Wohnung

Nun hat es mit der Unverletzlichkeit der Wohnung die Bewandnis, dass durchaus in dieses Grundrecht eingegriffen werden kann und es nicht absolut gilt. Dafür müssen aber bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein.

Dagegen, weil der ordentliche Rechtsweg erschöpft war, ließ Miri am 11. Dezember 2020 Verfassungsbeschwerde einlegen.

Der Generalbundesanwalt hielt die Verfassungsbeschwerde für unbegründet. Aber auch der kann sich täuschen.

Das Verfassungsgericht stellt in seiner Entscheidung zunächst noch einmal klar:

„1. a) Art. 13 Abs. 1 GG garantiert die Unverletzlichkeit der Wohnung. In diese grundrechtlich geschützte persönliche Lebenssphäre greift eine Durchsuchung schwerwiegend ein (vgl. BVerfGE 42, 212 <219>; 96, 27 <40>; 103, 142 <150 f.>). Notwendiger, aber auch in Anbetracht der Eingriffsintensität einer Wohnungsdurchsuchung hinreichender Anlass für eine Durchsuchung ist der Verdacht, dass eine Straftat begangen wurde. Das Gewicht des Eingriffs verlangt auf konkreten Tatsachen beruhende Verdachtsgründe, die über vage Anhaltspunkte und bloße Vermutungen hinausreichen (vgl. BVerfGE 44, 353 <371 f.>; 115, 166 <197 f.>; BVerfGK 2, 290 <295>; 5, 84 <88>). Eine Durchsuchung darf somit nicht der Ermittlung von Tatsachen dienen, die zur Begründung eines Anfangsverdachts erst erforderlich sind (vgl. BVerfGK 8, 332 <336>; 11, 88 <92>).

Und genau an diesem Anfangsverdacht fehlte es nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts bereits.

a) Soweit die Fachgerichte den Durchsuchungsbeschluss auf den Tatverdacht einer Geldwäsche gemäß § 261 Abs. 1 StGB a.F. gestützt haben, reichen die zugrundeliegenden tatsächlichen Anhaltspunkte nicht über vage Anknüpfungen und bloße Vermutungen hinaus.

aa) Der Beschluss des Amtsgerichts enthält kaum aussagekräftige Ausführungen zur Herkunft der verschleierten Vermögenswerte, was auch das Landgericht in der Beschwerdeentscheidung erkannt hat. Der Durchsuchungsbeschluss deutet lediglich an, dass der Verdacht einer Steuerhinterziehung gemäß § 370 Abs. 1 AO bestehen konnte. Nähere Anhaltspunkte zu den betroffenen Steuerarten, dem Veranlagungszeitraum und den pflichtwidrig unterlassenen oder falsch abgegebenen Steuererklärungen oder Voranmeldungen hat das Amtsgericht nicht geschildert. Die Ausführungen des Amtsgerichts waren daher für die Verdachtsannahme einer Steuerhinterziehung als Geldwäschevortat (vgl. § 261 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 Buchstabe b StGB a.F.) nicht tragfähig (vgl. BVerfGK 8, 349 <354>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 20. April 2004 – 2 BvR 2043/03, 2 BvR 2104/03 -, juris, Rn. 6; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 4. April 2017 – 2 BvR 2551/12 -, Rn. 22 ff.).

Damit hat der Amtsrichter schon mal ordentlich eins auf die Mütze bekommen. Eigentlich hätte das Landgericht das auch merken müssen. Aber so ungewöhnlich ist es nicht, dass die Beschwerdeinstanzen da nicht so genau hinschauen und die Beschwerden wegknallen. Stattdessen wurde da plötzlich auch noch etwas von Gewaltkriminalität gemutmaßt, was im ursprünglichen Beschluss gar nicht drin stand.

Das Bundesverfassungsgericht dazu:

„bb) Soweit das Landgericht zum Verdacht einer Geldwäschevortat ergänzend ausgeführt und unter anderem auf „Gewaltkriminalität“ verwiesen hat, handelt es sich dabei ebenfalls um eine nicht hinreichend konkretisierte Verdachtsannahme. Welche vom Katalog des § 261 Abs. 1 Satz 2 StGB a.F. erfassten Straftatbestände mit diesem Begriff gemeint sein sollen, bleibt völlig offen.

Okay. So was ist dann eher peinlich. Aber in diesem Stil geht es weiter:

„cc) Zureichende Anhaltspunkte für die Verdachtsannahme eines Handeltreibens mit Betäubungsmitteln als Geldwäschevortat gemäß § 261 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 StGB a.F. in Verbindung mit § 29 Abs. 1 Nr. 1 BtMG sind nicht ersichtlich. Den polizeilichen Ermittlungen zum Hintergrund des Beschwerdeführers ist lediglich zu entnehmen, dass gegen diesen zahlreiche Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln geführt wurden. Die Ermittlungsakte teilt jedoch nicht mit, welche Anhaltspunkte dafür ausschlaggebend waren, dass die Ermittlungsverfahren eingeleitet wurden. Den pauschalen Angaben kann nicht entnommen werden, ob die vermuteten Betäubungsmitteldelikte überhaupt im Zusammenhang mit den hier interessierenden, nicht nachvollziehbaren Transaktionen um die A. UG und die B. UG standen. Ob die erwähnten Ermittlungsverfahren bereits abgeschlossen oder zum maßgeblichen Zeitpunkt der Anordnung des Durchsuchungsbeschlusses noch angedauert haben, bleibt ebenfalls im Dunkeln. Die Annahme, dass der Beschwerdeführer sich an etwaigen Betäubungsmitteldelikten beteiligt und die Erlöse aus diesen Taten dem Vermögen der A. UG und der B. UG zugeführt haben soll, erschöpft sich insofern in einer nicht näher begründeten Vermutung. Ob die Fachgerichte – etwa durch entsprechende Nachfrage bei den Ermittlungsbehörden – konkretere Erkenntnisse hätten erlangen können, spielt dabei keine Rolle. Denn maßgeblich für die verfassungsgerichtliche Prüfung sind allein die objektiv dokumentierten Erkenntnisse in der Ermittlungsakte. Der Umstand, dass der Beschwerdeführer öffentlich als führendes Mitglied eines Familienclans auftritt – nicht zuletzt ersichtlich an der Nutzung eines Aliasnamens, der die Familienzugehörigkeit eindeutig klarstellen soll – und sich offenbar mit den kriminellen Tätigkeiten des Clans identifiziert, kann für sich genommen eine Verdachtsannahme nicht tragfähig begründen.

Und es gibt neben dem durchaus beliebten Herbeiphantasieren eines Anfangsverdachts durch Staatsanwaltschaft, Amts- und Lnadgericht noch einen schweren Lapsus, denn es hat die Begrenzungsfunktion des Durchsuchungsbeschlusses – ich hatte hier gerade einen schönen Vertipper mit „Durchsuchungsbeschuss“ – missachtet. Um es zu erklären. Der Durchsuchungsbeschluss ist nicht dazu gedacht, einfach mal zu gucken, ob man irgendwo irgendwas findet, weil man meint, da habe jemand Dreck am Stecken – das Verfassungsgericht nennt das „uferlose Ausforschung“, sondern muss den durchsuchenden Beamten eine klare Vorgabe machen, wonach sie denn suchen sollen. Dazu stellt das Verfassungsgericht fest:

„ Die Durchsuchungsanordnung wird auch den Anforderungen an die Begrenzungsfunktion nicht gerecht.

aa) Im Hinblick auf den Tatvorwurf der Geldwäsche beschreibt der Beschluss im Kern den Vorwurf, dass der Beschwerdeführer Vermögenswerte in die bezeichneten Unternehmen eingebracht und verschleiert haben soll, die ihrerseits aus mutmaßlich kriminellen Handlungen herrühren. Als Vortat wird lediglich eine etwaige Steuerhinterziehung angedeutet. Die vom Landgericht erwähnte „Gewaltkriminalität“ und das Handeltreiben mit Betäubungsmitteln findet in dem amtsgerichtlichen Beschluss keine Erwähnung. Für die Mess- und Kontrollierbarkeit der Vollziehung der Durchsuchung macht es dabei einen entscheidenden Unterschied, worauf sich der Verdacht des Herrührens der verschleierten Vermögenswerte konkret bezieht. Die Angabe der Geldwäschevortat wäre insofern für die mit dem Vollzug der Durchsuchungsanordnung betrauten Beamten ein wesentlicher Anhaltspunkt gewesen, nach welchen konkreten Beweismitteln zu suchen ist. Ohne eine nähere Angabe und Eingrenzung der in Betracht kommenden Geldwäschevortaten bestand die Gefahr einer uferlosen Ausforschung des Beschwerdeführers.

bb) Im Hinblick auf den Tatverdacht einer mittelbaren Falschbeurkundung und einer Urkundenfälschung hat das Amtsgericht zwar ein Verhalten erwähnt, welches die Verwirklichung der benannten Straftatbestände andeutet. Eine solch pauschale und vage Darstellung des Tatvorwurfs genügt den verfassungsrechtlich gebotenen Anforderungen an die Begrenzung einer Durchsuchungsanordnung jedoch nicht. So enthält der Beschluss keine Umschreibung wesentlicher tatbestandlicher Voraussetzungen der erwähnten Straftatbestände. In Bezug auf den Tatverdacht einer Urkundenfälschung fehlt es an einer für den Tatbestand des § 267 Abs. 1 StGB geforderten Schilderung, welches konkrete Dokument im vorliegenden Fall unecht oder verfälscht gewesen und worin die konkrete Tathandlung des Beschwerdeführers zu sehen sein soll. Der im Raum stehende Verdacht, dass falsche Ausweisdokumente verwendet worden sein sollen, findet im amtsgerichtlichen Beschluss keine Erwähnung. Was den Tatvorwurf einer mittelbaren Falschbeurkundung gemäß § 271 Abs. 1 StGB betrifft, enthält der amtsgerichtliche Beschluss keinerlei Ausführungen dazu, welche Urkunde, welches Buch oder welches Register betroffen gewesen ist und welche konkrete Tathandlung des Beschwerdeführers die falsche Beurkundung bewirkt haben soll. Die aufgeführten Mängel führen dazu, dass die Durchsuchungsanordnung insoweit nicht mehr mess- und kontrollierbar ist.

Im Klartext heißt das, Amts- und Landgericht haben rechtswidrig gehandelt. Und das dürfen die Gerichte auch dann nicht, wenn sie meinen, einem ganz schlimmen Finger auf der Spur zu sein. Oder wie es der große Rechtsphilosoph Marc Terenci anlässlich seines Aufenthalts im RTL-Dschugelcamp einmal treffend formulierte:

https://www.facebook.com/IchBinEinStar/videos/marc-terenzi-spricht-ein-machtwort/1823408001037282/?locale=de_DE

Die Entscheidung des Bundesverfassungsgericht wird zwar bei Sammy Miri die Korken knallen lassen und das mag manch einen ärgern. Mich freut es allerdings, dass das Verfassungsericht die ordentliche Gerichte wieder einmal daran erinnert, dass die Verbrecherjagd bestimmten Regeln unterliegt.

Heinrich Schmitz

Heinrich Schmitz ist Rechtsanwalt, Strafverteidiger und Blogger. In seiner Kolumne "Recht klar" erklärt er rechtlich interessante Sachverhalte allgemeinverständlich und unterhaltsam. Außerdem kommentiert er Bücher, TV-Sendungen und alles was ihn interessiert- und das ist so einiges. Nach einer mit seinen Freital/Heidenau-Kolumnen zusammenhängenden Swatting-Attacke gegen ihn und seine Familie hat er im August 2015 eine Kapitulationserklärung abgegeben, die auf bundesweites Medienecho stieß. Seit dem schreibt er keine explizit politische Kolumnen gegen Rechtsextreme mehr. Sein Hauptthema ist das Grundgesetz, die Menschenrechte und deren Gefährdung aus verschiedenen Richtungen.

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