Der Krieg, das Recht und die Verwirrung des Kolumnisten
Können Sie noch ruhig schlafen? Ich habe da im Moment so meine Probleme. Die Samstagskolumne von Heinrich Schmitz
Foto: KELLEPICS (in: Pixabay)
Seit Putin mit dem Einsatz von Atomwaffen gedroht hat, ist mein Seelenfrieden erheblich irritiert. Ich habe mein Leben lang gut geschlafen. Da konnte kommen was wollte, ich habe mich ins Bett gelegt und gepennt.Egal ob das Corona war, egal, ob die Flutkatastrophe meine Heimatstadt schwer getroffen und meine Schwiegermutter obdachlos gemacht hat. Ich konnte immer ruhig schlafen. Und das ist jetzt vorbei. Komisch.
Im kalten Krieg war die atomare Bedrohung allgegenwärtig, aber das hat mich nie wahnsinnig belastet, obwohl es damals deutlich mehr Atomwaffen waren, als heute. Aber ich war stets der felsenfesten Überzeugung, dass niemand die Absicht hat, diese Waffen tatsächlich einzusetzen. Jedenfalls kein vernünftiger Mensch. Erste Zweifel an dieser inneren Gewissheit kamen bei mir auf, als Donald Trump amerikanischer Präsident wurde. Aber da hatte ich noch das Gefühl, dass jemand diesen unterhaltsamen, großmäuligen Tünnes notfalls schon stoppen würde. Das System aus Checks and Balances, also das System zur Herstellung und Aufrechterhaltung staatlicher Gewaltenteilung, habe ich in den USA trotz aller Zweifel für ein sehr stabiles gehalten.
Aus mit der Ruhe
Nun also Putin. Und da ist es bei mir aus mit der Seelenruhe. Der Kerl macht mich kirre, Dass ein irrer Alleinherrscher im Besitz der Befehlsgewalt über Atomwaffen ist und auch noch damit droht, die tatsächlich einzusetzen, kenne ich sonst nur aus Hollywoodfilmen. Die haben allerdings den Vorteil, erstens fiktiv zu sein und zweitens meistens gut zu enden, indem irgendein Held am Ende den Schurken ausschaltet und außer ein bisschen dekorativem Feuerwerk nicht viel passiert. Ich weiß nicht, ob Putin im klinischen Sinne geisteskrank ist, aber mit Sicherheit ist er völlig unberechenbar, was sein völkerrechtswidriger Angriff auf das zweitgrößte Land Europas beweist. Und nun die Drohung mit der atomaren Apokalypse.
Schlaflos
Nun werde ich nachts nach ein paar traumlosen Stunden wach und denke darüber nach, in welcher Welt meine Kinder, Schwiegersöhne und vor allem natürlich die Enkel bald leben werden. Bekommt die Welt diesen mörderischen Wahnsinn in den Griff? Oder sucht ein subjektiv in die Enge getriebener Diktator nur einen Vorwand, um die Welt in Brand zu setzen?
Kann ich etwas tun? Nein, kann ich nicht. Es hilft wenig, wenn ich Geld für die Ukraine spende, was ich trotzdem mache. Es hilft nichts, wenn 150 Radiosender „Give peace a chance“ spielen. Es hilft auch nichts, wenn wir uns in Kostümen mit 250.000 Menschen in Köln versammeln, um für den Frieden zu demonstrieren. Dadurch lässt sich ein zu allem entschlossener Tyrann nicht beeindrucken. Das ist dem scheissegal. Und wenn er merken sollte, dass seine Eroberungspläne sich nicht so einfach verwirklichen lassen, wie er sich das vorgestellt hat, dann kann es gut sein, dass er dann wenigstens als derjenige in die Geschichte eingehen will, der den Westen zerstört hat. Dass dabei sein Volk ebenfalls draufgeht, ist dem egal, wie jedem Selbstmordattentäter.
Funktionieren
Solange ich in meiner Kanzlei arbeite, funktioniere ich. Auch das war schon immer so; ganz gleich ob jemand aus der Familie im Krankenhaus lag oder gar gestorben war. Rein ins Büro, klick, funktionieren. Rein ins Gericht, klick funktionieren. Wieso das klappt, weiß ich nicht. Das läuft irgendwie automatisch. Da sind Ängste und Sorgen auf Standby geschaltet. Vielleicht bin ich zwei Prsonen, der coole Rechtsanwalt Schmitz und der besorgte Opa Heinrich. Keine Ahnung. Aber wozu mache ich das überhaupt noch, wenn in ein paar Tagen oder Wochen die Welt, meine Welt brennt? Ich weiß es nicht, aber noch mache ich es.
Deserteur
Das Telefon klingelt. Ein junger Mann ruft an und sagt in gebrochenem Deutsch, er sei 19 Jahre alt, sei Russe und zur Zeit bei seiner Oma in Deutschland zu Besuch. Sein Bruder habe ihn angerufen und mitgeteilt, er solle zur Armee. Er wolle aber nicht sterben und auch niemanden töten. Ob er hier Asyl bekäme? Ja, ich habe ihm geraten, einfach mal hier zu bleiben, alles andere werde sich finden. Es sind halt nicht „die Russen“ die in den Krieg ziehen wollen. Ein Hoffnungsschimmer.
Als junger Mensch war ich davon überzeugt, dass Frieden und Recht zusammengehören. Dass Recht Frieden schafft. Im Kleinen funktioniert das auch ganz leidlich, nämlich überall da, wo eine unabhängige Justiz Recht spricht und das dann auch durchgesetzt werden kann.
Im Völkerrecht ist das aber leider völlig anders. Da gibt es zwar auch einen ganzen Korb voller Konventionen, internationalen Verträgen und Chartas, aber woran es mangelt, ist eine schlagkräftige Exekutive, die Entscheidungen der internationalen Gerichte auch tatsächlich vollstrecken könnte. Der Internationale Gerichtshof hat eben keinen Gerichtsvollzieher, der einen tollwütigen Despoten zur Ordnung rufen könnte. Die UN kann ganz tolle Resolutionen beschließen, aber es gibt halt niemanden, der die durchsetzen könnte. Der Sicherheitsrat kann durch ein Veto der Vetomächte stets blockiert werden. Ein Putin, ein Kim oder andere Machthaber scheissen auf das, was in diesen von ihnen verachteten Quasselbuden beschlossen wird. Da lachen die drüber. Das wäre vielleicht anders, wenn die UNO mit einer eigenen internationalen Militärmacht ausgestattet würde, aber das wird nicht passieren. Völkerrecht beindruckt einen Krieger ungefähr soviel wie Völkerball.
Nun gibt es bereits erste Stimmen, die trotz anderer Verlautbarungen der Natostaaten darüber nachdenken, der Ukraine doch mit der Nato zur Hilfe zu eilen. Ja, dann wäre wohl die nächste Eskalationsstufe erreicht. Nato klingt ja irgendwie nach Nahtod. Aber mal ganz ehrlich, glaubt jemand ernsthaft, dass es reicht, die Ukraine mit schimmeligen Raketen aus NVA-Beständen zu unterstützen, bei denen das Risiko besteht, dass die losgehen, bevor sie überhaupt abgeschossen werden? Klar, wäre lustig, wenn das russische Militär mit seinen eigenen alten Waffen gestoppt werden könnte, aber besonders wahrscheinlich scheint mir das nicht. Und dann wird Putin die Ukraine irgendwann einnehmen, nachdem vorher tausende und abertausende Menschen gestorben sind. Ja, aber dann wird er zufrieden sein und wir können weiter leben, wie bisher, höre ich von manchen Menschen. Ganz ehrlich? Das glaube ich nicht. Wenn der mit diesem völkerrechtswidrigen Krieg letztlich Erfolg hat, wird er weitermachen, schon alleine, weil „der Westen“ ihm mal wieder bewiesen hat, dass er im Zweifelsfall den schlappen Schwanz einzieht. Schon die Annexion der Krim hat seinem Affen Futter gegeben, weil sie ohne große Konsequenzen blieb.
Wohin das alles führt? Ich weiß es nicht. Vielleicht will ich es auch gar nicht wissen. Ich würde aber sehr bedauern, wenn wir fatalistisch mit der Schulter zucken und uns dem Unrecht und der Gewalt unterwerfen. Was wäre das denn für ein Frieden?
Falls wir diese Situation ohne totalen Krieg überleben sollten, muss die Welt sich neu organisieren. Nationale Kompetenzen müssen auf internationale demokratische Institutionen übertragen werden. Und die müssen mit Mitteln ausgestattet werden, die künftig mit robusten Aktionen umgehend gegen kriegerische Ambitionen vorgehen können. Es ist im Großen wie im Kleinen dasselbe: Regeln deren Missachtung nicht effektiv bestraft werden kann, sind das Papier nicht wert, auf dem sie stehen.
So, nun hab ich trotz allem und gegen meine eigene Erwartung eine Kolumne schreiben können und zumindest für diese 45 Minuten mal wieder funktioniert. Vielleicht schlafe ich heute Nacht mal wieder durch. Ich hoffe, wir sehen uns nächste Woche wieder.