Die Geographie des Illiberalismus
Fatalistische Bemerkungen zur politischen Kluft unserer Zeit von Kolumnist Sören Heim.
Nein, ich glaube nicht daran, dass ist möglich sein wird, den politischen Bruch, der sich in den meisten westlichen Gesellschaften abzeichnet, noch einmal einzufangen. Denn es handelt sich mittlerweile in erster Linie um einen geographischen Bruch, in zweiter Linie um einen der Mobilität (geographisch und auch sozial).
Die Bruchlinie ist real und selbstverstärkend
Es ist wahr, die Wähler der Rechtspopulisten erkennt man nicht unbedingt an ihrem Einkommen. Aber man erkennt sie (neben der in westlichen Staaten meist weißen Hautfarbe) recht gut daran, wo sie wohnen und auch relativ gut daran, welche geographischen und sozialen Bewegungen sie noch von ihrem Leben erwarten (können). Und das lässt sich dann auch schwerer über rein politische Programme kitten als ökonomische „Abgehängtheit.“
Vereinfacht am Beispiel des deutschen Ostens: Man muss sich gar nicht festlegen, wie viele der dortigen Rechtswähler so richtige Nazi A********** sein mögen , aber ich denke wir können uns sicher sein: längst nicht alle. Nun mögen die meisten dennoch nicht mehr für Argumente zugänglich sein, von denen wir uns angewöhnt haben, sie für die Währung der aufgeklärten Gesellschaft zu halten; was natürlich Bullshit ist. Die meisten von uns sind regelmäßig immer nur für Argumente zugänglich, die schon vorher in den Bereich dessen fallen, was man bereit ist sich einleuchten zu lassen. Aber wer wie ich öfter mal berufsbedingt gezwungen ist, Leuten zuzuhören, die sich von der Welt verarscht und beschissen fühlen (das müssen nicht sein und sind in der Regel nicht einmal rechtsoffene Menschen), ist oft überrascht wie der Hass verfliegt und der Dankbarkeit Platz macht, wenn tatsächlich mal jemand zuhört. Natürlich ist das nur eine Momentaufnahme; viel wichtiger als einzelne Momente sind Echokammern, und längst nicht nur virtuelle.
Der Osten hat seit der Wende gut ein Viertel seiner Bevölkerung verloren: Das gut gebildete und tendenziell das weibliche Viertel. In jedem Fall dazu auch noch das jüngere Viertel. Ohne diese Abwanderung wäre in den meisten Ost-Bundesländern die Zahl der Rechtswähler eigentlich gar nicht so viel höher ist als im Westen. Man nehme mal ein Viertel der Links, Grün, FDP oder CDU wählenden Hessen weg, und dann ist man von Ost-Verhältnissen gar nicht mehr so weit entfernt. Und der Effekt läuft ja noch weiter und verstärkt sich. Zurückgebliebene vereinsamen, Enttäuschung und Wut machen sich breit, und wer mitbekommt, wie tief gerade im Alter die Einsamkeit in das Denken und Fühlen einschneiden kann, mag sich vielleicht vorstellen, wie auch bei Menschen, die man dafür vorher nicht für empfänglich gehalten hätte, Radikalisierungsprozesse anlaufen. Und dann sind es am Ende die eigenen Enkel, die sich einmal im Jahr blicken lassen und einem sagen, wie rückständig man eigentlich sei. Oder die nach Leipzig oder Berlin zugezogenen Freunde. Das ist kaum zu vermeiden, denn die Jugend wird immer wieder gegen das Alte Aufbegehren, und ich habe mich mit meiner Großmutter über deutlich kleinere Unterschiede der Weltanschauung, als die, die sich zwischen Auswanderern und Gebliebenen ergeben, früher auch in die Haare gekriegt.
Es gibt keine „Lösung“ dieses Problems
Die Gebliebenen vergraben sich immer mehr in ihrer Welt, und so wiederum bleibt für Jüngere und Gebildetere, die irgendwie noch so etwas wie ein gutes Leben suchen, nur die Abwanderung. Und das ist die Krux, die ebenso für die amerikanischen „Flyover states“ und für die alten Industrie- und Bergbauzentren Englands gilt: Ein kurz- bis mittelfristiges Programm, um die frustrierten entvölkerten Regionen wieder einzufangen, bestünde sicherlich auch teilweise in einem sozialen Wirtschaftssystem, wenn überhaupt vor allem aber wohl in großen Rückumsiedlungsprogrammen aus den urbanen Zentren in die ländlichen Gegenden, wo vielerorts der rechte Hangover dann praktisch von selbst verschwinden würde. Und längerfristig in einem Versuch, die psychosozialen Wunden zu heilen.
Und beides ist natürlich einfach absolut nicht denkbar. Denn a) sind die Menschen, die weggezogen sind, selbstbestimmte Individuen und das Spektrum der Bevölkerung, das man mittlerweile im amerikanischen Sinne als liberal bezeichnet, agiert nicht als strategisch denkender Block. b) Gibt es simple ökonomische Gründe, weshalb die Menschen in die Städte ziehen. Und ebensolche, die Stadt nicht einfach zur neuen Norm zu erklären. Noch immer nährt das Land die Städte. Und c) wollte man natürlich selbst, gäbe es eine große Organisation der vereinten Liberalen, Linken und christlich Konservativen, eine solche Rückkehr niemandem zumuten. So viele etwa haben aus gutem Grund den deutschen Osten geflohen, weil sie dort ihrer körperlichen Gesundheit nicht mehr sicher waren. Andere folgten, weil es in einer solchen Lage auch schwer ist, die geistige Gesundheit zu erhalten.
Und dann repariert man gesellschaftliche Verwerfungen leider auch nicht per kurzfristigem Masterplan. Selbst, wenn es bei einem Teil der heute Radikalisierten geholfen hätte, vor dreißig, zwanzig, vielleicht auch vor zehn Jahren, zuzuhören, und wenn auch nicht die ökonomischen Perspektiven, dann die sozialen zu verbessern, so das heißt nicht, dass es heute noch hilft. Selbst der beste Plan verlangte heute wahrscheinlich eine Zeitmaschine. Das hier ist also auch kein Aufruf, „mit Rechten zu reden“, wie er alle paar Monate einmal wieder kursiert. Sondern allein, einmal diese Seite dessen zu reflektieren, was schief gelaufen ist. Ich sage nicht: Habt Verständnis. Ich sage: versteht. Es gibt Situationen, aus denen gibt es keinen Ausweg und/oder alle denkbaren Auswege lagen in der Vergangenheit. Im Moment lässt sich eigentlich nur abwarten und hoffen, dass die sogenannten demokratisch gesinnten Kräfte stark genug sind, um das illiberale bis rechtsradikale Gären in ihrer Mitte und dem Umland auszuhalten, während man gleichzeitig hofft und Mittel erprobt, eine oder mehrere verlorene Generationen in der jetzt heranwachsenden Jugend zu verhindern. Die wählt zwar, wie die Umfragen zeigen, teilweise nicht weniger rechts als ihre Eltern und Großeltern, teils sogar mehr, aber sie ist eben definitionsgemäß jung und noch nicht so in ihrem Gleisen eingefahren.
Man kann zwar all die anderen Parolen brüllen von wegen „Wehret den Anfängen“ und „Kein Fußbreit“ und so weiter und so fort, aber das ändert wahrscheinlich ziemlich wenig an der kaputten Situation, in der frustrierte und sich radikalisierende Menschen in immer homogeneren Milieus leben, die dann auch immer schwerer aufzubrechen sein werden. Und die dazu noch im mächtigsten Staat der Welt weit überproportional politische Macht ausüben können und am Ende sogar dann noch den Präsidenten wählen könnten, wenn noch mal die Hälfte der Bevölkerung abwandert.
Zum Hoffen und Mittel-erproben gehört allerdings auch, weiter für eine Welt zu streiten, in der es sich auch in fünfzig Jahren noch zu leben lohnt, und das auch, wenn das scheinbar den „Großen Graben“ weiter vertieft. Denn mit der Apokalypse am Horizont braucht es keinen schalen Ausgleich.
Und ein letzter Aufruf, die Sache nicht zu leicht zu nehmen: Donald Trumps Gewinne bei Minderheiten zeigen, dass es hier am Ende womöglich nicht nur um identitätspolitische Fragen gehen wird. In vielen Fällen teilen unterschiedliche ethnische Gruppen noch immer ähnliche Klassenprobleme, und ein noch etwas geschickterer Populismus könnte hier signifikante Stimmenanteile für illiberale Gesellschaftsmodelle abspalten. Das klingt nach einer unmöglichen Balance zwischen Rassismus und ökonomischem Populismus, aber zumindest bei den US-Wahlen scheint es Trumps weiße Anhängerschaft erstmal nicht verprellt zu haben, dass der zuletzt öffentlichkeitswirksam um Stimmen von Minderheiten warb.
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