Instrumentalisierung der Opfer

Nach dem rechtsradikalen Anschlag von Hanau polarisiert sich die gesellschaftliche Mitte, die Opfer werden instrumentalisiert, schreibt unser Gastautor Adam Ufer.


Mit Überraschung musste man in jüngster Zeit erleben, wie nach einer Welle des IS-Terrors mit hunderten Toten und Verletzten in Westeuropa, nun der rechtsextreme Terrorismus immer mehr in den Fokus rückt. Strukturelle Ähnlichkeiten sind vorhanden: Hass auf andere Menschengruppen, Verachtung von Vielfalt und Meinungsverschiedenheiten, Ablehnung der Demokratie, eine Form von Identitätspolitik und hierarchisierendes Stammesdenken. Die Gewaltfraktion der Rechtsextremen und religiösen Extremisten versuchen ihre ideologischen Ziele auch durch Morde zu erreichen. Die Legalisten unter ihnen wollen lieber das politische System unterwandert und diskursbestimmend werden. Die Muslimbruderschaft und ihr Netzwerk agiert zwar beobachtet aber juristisch unbeanstandet in Europa, genau wie am Rande der Legalität operierende Rechtsradikale und Rechtsextreme. Das Problem dabei ist, dass sie alle polarisieren und eben ähnliche bis gleiche Feindbilder und Lösungsansätze propagieren.

Nach dem rechtsextremistisch und rassistisch motivierten Anschlag in Hanau kam es zu eben jenen polarisierenden Reaktionen von Akteuren der gesellschaftlichen Mitte, von Influencern, Vereinsfunktionären und Verbandsvertretern. Innerhalb der muslimischen Community wurden kritische Äußerungen laut, die eine Vereinnahmung des Anschlags ablehnten, während die von diesen Kritisierten versuchten, das Geschehene als einen rein antimuslimisch motivierten Anschlag zu deuten.

Auf diesen Zug sprang beispielsweise die der Hizb-ut-Tahrir nahestehende Vereinigung Realität Islam auf und der Aktivist Marcel Krass von der Föderalen Islamischen Union fordert in einer Kampagne einen „Bundesbeauftragten zum Schutz der Muslime und des islamischen Lebens“. Krass wird von den Behörden kritisch gesehen, 2019 kam es bei ihm sogar zu einer Hausdurchsuchung. Die Idee zu einem Bundesbeauftragten scheint er von Aiman Mazyek, dem Vorsitzenden des Zentralrats der Muslime in Deutschland übernommen zu haben. Realität Islam und Krass sind aber, das muss betont werden, keine besonnenen Vertreter der sogenannten „muslimischen Mitte“.

Polarisierende muslimische Mitte?

Negativ überraschend waren auch polarisierende Reaktionen aus dem politisch rechten Lager zum Anschlag in Hanau. Von dieser Seite wurden im Internet Verschwörungstheorien verbreiteten, der Anschlag wäre eine „False Flag“ Operation gewesen, war mehrfach zu lesen.[i]

Aber auch emotionale Reaktionen von Experten aus dem Bereich der Extremismusprävention waren zum Teil verstörend. Patrick M., Mitarbeiter von Violence Prevention Network in Deutschland (VPN), postete in einem privaten Statement sehr emotional:

#Hanau – Deutschland, Ich klage dich an!! (..) 

Ihr habt uns als Kanacken bezeichnet, (..) Ihr habt uns in Ghettos verfrachtet, wo wir unter uns blieben, später habt ihr uns vorgeworfen uns nicht zu integrieren, wo ihr unsere Integration doch nicht wolltet, wir sollten ja zurückgehen. Ihr habt die Voraussetzungen für die Fälle gescheiterter Integration geschaffen. Dann wolltet ihr nicht unsere Integration, sondern unsere Assimilation. „Komm Türke, trink deutsches Bier, dann bist du auch willkommen hier, mit Prost wird Allah abserviert und du ein Stückchen integriert. Ihr stinkt nach Knoblauch, lasst den weg, esst Sauerkraut mit Schweinespeck, und wer statt Kindern Dackel dressiert, der ist fast schon integriert.

In diesem vorwurfsvollen Ton geht es weiter. Es wird verallgemeinert, das Trennende hervorgehoben, Deutschland quasi angeklagt. Damit werden ungewollt Feindbilder beschworen. Verstärkt werden diese Emotionen im nachfolgenden Kommentar durch Mariam A., Projektmanagerin der Boschstiftung und nach eigener Angabe Sozialbetreuerin/Integrationsmanagerin für Flüchtlinge bei Malteser[ii], die meint, „Wir und Ihr“ sei „gelebte Realität“, wohl von „vielen aber nicht allen“.

Wenn zwei engagierte deutsche Muslime, die im Bereich Extremismusprävention und Integration arbeiten, die Gesellschaft so wahrnehmen und darstellen, polarisieren sie selber. Sie vergessen, dass sie eine wichtige Vorbildfunktion haben und tragen tragischerweise die Botschaft von „Ihr Deutschen“ und „Wir Anderen, wir Muslime“ weiter. Das ist im Umkehrschluss für die ebenfalls verallgemeinernde Gegenseite eine Bestätigung ihrer Wahrnehmung „Die Muslime, viele aber nicht alle…“ lehnen Deutschland eigentlich ab.

Ganz anders Menschen wie Ismail Y., der in seinem Statement hervorhebt, dass man von einer Instrumentalisierung der Opfer absehen soll und betont, der Attentäter habe aus rassistischen Motiven gehandelt und nicht nur aus Hass gegen die muslimische Gemeinschaft. Und er kritisiert auch die Abwesenheit von Verbandsvertretern, wenn Opfer betrauert werden, die nicht aus einer muslimischen Familie stammen.

Demgegenüber ist es tragisch, wenn aufrichtige Beileidsbekundungen der deutschen Politiker als Heuchelei abgetan werden. Solche Vorwürfe kennt man ebenfalls in umgekehrter Form als Vorwurf gegenüber muslimischen Vertretern nach verheerenden Terroranschlägen.

Wenn es nicht gelingt, den Extremisten, Legalisten und Terroristen jeglicher Couleur die diskursiv Macht zu entziehen und stattdessen deren polarisierende Botschaften von einzelnen Vertretern und Vertreterinnen der gesellschaftlichen Mitte wiederholt werden, dann haben die Extremisten schon einen Etappensieg erzielt.

[i] https://netzpolitik.org/2020/der-perfekte-verschwoerungstheoretiker-hanau-whatsapp-sprachnachrichten/ und: https://gloria.tv/post/huqPHH6m3UgM1RPhQNvAL6e7

[ii] https://www.bosch-stiftung.de/de/projekt/yallah-junge-muslime-engagieren-sich und: https://m.facebook.com/mariam0285

 

Adam Ufer

Adam Ufer ist 39 Jahre alt, beschäftigt sich mit den Themen Sicherheit und Außenpolitik und schreibt hier unter Pseudonym.

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