Kleine Strolche – Die CSU und die Strafmündigkeit

Die CSU beabsichtigt, die Strafmündigkeitsgrenze von 14 Jahren aufzuheben. Eine gute Idee? Die Samstagskolumne von Heinrich Schmitz


Bild von Kant Smith auf Pixabay

In der polizeilichen Kriminalstatistik von 2018 tauchen insgesamt rund 70.000 Kinder als Tatverdächtige auf. Klingt schlimm, ist es aber nicht. Denn in den meisten Fällen handelt es sich um Ladendiebstähle, die nun weniger einer ausgeprägten Habgier krimineller Klaukids entspringen als meistens einer Mutprobe. Ich gestehe, als 8-jähriger zusammen mit einem Freund aus der 2. Klasse bei Krementz einen Marsriegel geklaut zu haben. Den haben wir dann mit heißen Ohren im Keller des Freundes geteilt und hatten beide ordentlich Schiss, nicht etwa vor der Polizei, sondern vor dem kurz darauf im Kalender stehenden Nikolaus, der ja angeblich alle Missetaten in seinem goldenen Buch verzeichnet hatte. Nikolaus, der feuchte Traum von Rainer Wendt, der alles sieht und jeden kennt.

Okay, diese Taten meint die CSU wohl nicht. Aber bei schweren Gewaltverbrechen dürfe für die Bestrafung allein die Einsichtsfähigkeit des Täters und die Schwere der Tat und nicht mehr das Alter entscheidend sein, heißt es in einem Beschlusspapier der CSU-Landesgruppe.

Wir wollen schwere Straftaten altersunabhängig sanktionieren. Kinder unter 14 Jahren sind strafunmündig. Sie können daher auch für ein Verbrechen nicht bestraft werden. Das muss sich ändern. Wir müssen auch Täter unter 14 Jahren in einem besonderen Verfahren einzelfallgerecht sanktionieren können. Die Eltern beziehungsweise Erziehungsberechtigten sind bei diesen Verfahren verpflichtend miteinzubeziehen. Bei schweren Gewaltverbrechen darf für die Bestrafung allein die Einsichtsfähigkeit des Täters und die Schwere der Tat entscheidend sein – nicht eine starre Altersgrenze. Deshalb wollen wir die Aufhebung der Altersgrenze für schwere Verbrechen prüfen, um in besonders schwerwiegenden Fällen erzieherische Maßnahmen bis hin zu Konsequenzen beim Sorgerecht zu ermöglichen. Der tragische Angriff auf einen Feuerwehrmann in Augsburg zeigt außerdem die zunehmende Gewaltbereitschaft bei jungen Heranwachsenden. Wir wollen deshalb eine klarstellende Regelung, wonach auf Heranwachsende zwischen 18 und 21 Jahren regelmäßig Erwachsenenstrafrecht anzuwenden ist und nicht Jugendstrafrecht.

Eine solche Ansammlung von grobem Unfug in nur einem Absatz ist schon sehenswert. Aber der Reihe nach.

Altersgrenze

Ja, es ist richtig, dass Kinder bis zum vollendeten 14. Lebensjahr strafunmündig sind, also für eine Straftat nicht bestraft werden können. Das ist seit 1953 wieder so, nachdem die Strafmündigkeitsgrenze zwischen 1871 und 1953 mehrfach zwischen 14 und 12 Jahren wechselte und zuletzt am 6.11.1943 mal wieder auf 12 Jahre abgesenkt worden war. Grund für eine Altersgrenze bei der Strafbarkeit ist der Umstand, dass einem Menschen vom Gesetzgeber erst ab einem gewissen Alter regelmäßig zugetraut wird, die Folgen seiner Handlungen so weit zu überblicken, dass er bewusst anderen schaden kann und daher für diese Handlungen die strafrechtliche Verantwortung übernehmen muss. Das hat etwas mit dem Schuldprinzip im Rahmen des Strafrechts zu tun.

Solche Altersgrenzen gibt es überall im Recht, sei es das Wahlalter oder das Alter für den Führerschein oder das Renteneintrittsalter. Da wird auch nicht geprüft, ob nicht vielleicht der Zwölfjährige schon Autofahren kann oder der 80-jährige vielleicht noch ein paar Jahre arbeiten. Aber wer weiß, kommt vielleicht auch noch.

Nun ist diese Altersgrenze der Strafmündigkeit nicht direkt vom Grundgesetz geschützt, sodass eine Absenkung grundsätzlich tatsächlich denkbar wäre. Allerdings wäre die komplette Aufhebung dieser Altersgrenze nicht so wahnsinnig sinnvoll. Dann müsste nämlich bei jeder Tat eines Kindes zunächst ein Gutachten eingeholt werden, um seine Einsichts- und Handlungsfähigkeit zu beurteilen.

Ob diese Fähigkeiten vorliegen, muss auch jetzt bereits bei den strafmündigen Jugendlichen nach dem Jugendgerichtsgesetz geprüft werden – was leider häufig vernachlässigt wird.

Warum die CSU meint, der Umstand, dass unter 14 Jährige sich nicht strafbar machen können, weil der Gesetzgeber ihnen grundsätzlich diese Fähigkeit abspricht, , müsse sich ändern, ist nicht erkennbar.

Wir müssen auch Täter unter 14 Jahren in einem besonderen Verfahren einzelfallgerecht sanktionieren können.

Ja, aber das tun wir bereits. Sowohl die Jugendämter als auch die Familiengerichte haben eine Vielzahl von gesetzlichen Möglichkeiten, Straftaten von Kindern zu „sanktionieren“. Dabei geht es aber nicht so sehr um alttestamentarische Härte und Strafe im eigentlichen Sinn, sondern um Hilfen zur Erziehung, die auch durchaus in geschlossenen Einrichtungen stattfinden können. Wenn die CSU meint, Straftaten von Kindern blieben ungeahndet und würden allenfalls mit Fernseh- oder youporn-Verbot für eine Woche bestraft, dann irrt sie.

Allerdings fallen Straftaten von Kindern nicht vom Himmel, sondern haben immer eine Ursache. Das kann eine psychische Erkrankung sein, das kann auf Vernachlässigung im Elternhaus, auf Mobbing oder was auch immer beruhen. Wichtig ist, die Ursache zu erkennen und dem Kind zu helfen, nicht aber, es dafür auch noch zu bestrafen, dass ihm nicht die notwendige Aufmerksamkeit oder Erziehung gewährt wurden.

Um auf solche Kinder angemessen zu reagieren, gibt es das KJHG.

Die Eltern beziehungsweise Erziehungsberechtigten sind bei diesen Verfahren verpflichtend miteinzubeziehen.

Ach was. Diese Selbstverständlichkeit ergibt sich bereits aus Art. 6 GG. Was soll dieser Schmarren eigentlich?

Konsequenzen

Bei schweren Gewaltverbrechen darf für die Bestrafung allein die Einsichtsfähigkeit des Täters und die Schwere der Tat entscheidend sein – nicht eine starre Altersgrenze. Deshalb wollen wir die Aufhebung der Altersgrenze für schwere Verbrechen prüfen, um in besonders schwerwiegenden Fällen erzieherische Maßnahmen bis hin zu Konsequenzen beim Sorgerecht zu ermöglichen.

So so, die CSU meint demnach, die Aufhebung der Altersgrenze sei erforderlich, um erzieherische Maßnahmen bis zu Konsequenzen beim Sorgerecht zu ermöglichen. Das ist nun wirklich so etwas von dämlich, dass ich mich frage, welcher Komiker den Quatsch in die Beschlussvorlage reingeschrieben hat. Bei Kindeswohlgefährdung – und von einer solchen darf man getrost ausgehen, wenn ein Kind eine schwere „Straftat“ begeht – hat das Familiengericht bereits jetzt entsprechend zu reagieren.

Für die Damen und Herren von der CSU. Schauen’s mal hier rein:

§ 1666 Gerichtliche Maßnahmen bei Gefährdung des Kindeswohls

(1) Wird das körperliche, geistige oder seelische Wohl des Kindes oder sein Vermögen gefährdet und sind die Eltern nicht gewillt oder nicht in der Lage, die Gefahr abzuwenden, so hat das Familiengericht die Maßnahmen zu treffen, die zur Abwendung der Gefahr erforderlich sind.

(2) In der Regel ist anzunehmen, dass das Vermögen des Kindes gefährdet ist, wenn der Inhaber der Vermögenssorge seine Unterhaltspflicht gegenüber dem Kind oder seine mit der Vermögenssorge verbundenen Pflichten verletzt oder Anordnungen des Gerichts, die sich auf die Vermögenssorge beziehen, nicht befolgt.

(3) Zu den gerichtlichen Maßnahmen nach Absatz 1 gehören insbesondere

1.

Gebote, öffentliche Hilfen wie zum Beispiel Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe und der Gesundheitsfürsorge in Anspruch zu nehmen,

2.

Gebote, für die Einhaltung der Schulpflicht zu sorgen,

3.

Verbote, vorübergehend oder auf unbestimmte Zeit die Familienwohnung oder eine andere Wohnung zu nutzen, sich in einem bestimmten Umkreis der Wohnung aufzuhalten oder zu bestimmende andere Orte aufzusuchen, an denen sich das Kind regelmäßig aufhält,

4.

Verbote, Verbindung zum Kind aufzunehmen oder ein Zusammentreffen mit dem Kind herbeizuführen,

5.

die Ersetzung von Erklärungen des Inhabers der elterlichen Sorge,

6.

die teilweise oder vollständige Entziehung der elterlichen Sorge.

(4) In Angelegenheiten der Personensorge kann das Gericht auch Maßnahmen mit Wirkung gegen einen Dritten treffen.

Merken Sie was?

so hat das Familiengericht die Maßnahmen zu treffen, die zur Abwendung der Gefahr erforderlich sind.

Das geht u.U. wesentlich weiter, als jedes Strafgesetz es vorsieht. Das kann eine Heimunterbringung, aber auch einen vollständigen Entzug der elterlichen Sorge der leiblichen Erziehungsberechtigten bedeuten. Es kann alles das bedeuten, was erforderlich ist, um die Kindeswohlgefährdung zu beenden oder zu verhindern. Ganz ohne Strafjustiz, aber nicht minder wirksam.

Ja glauben denn diese Theoretiker von der CSU, es würde irgendeinem Kind oder gar der Gesellschaft nützen, wenn man spezielle Kinderknäste baut und Kinder inhaftiert? Eine gruselige Vorstellung.

Feuerwehrmann

Und dann kommt der Satz, der begreiflich macht, aus welchem Grund die CSU diesen Mumpitz beschlossen hat:

Der tragische Angriff auf einen Feuerwehrmann in Augsburg zeigt außerdem die zunehmende Gewaltbereitschaft bei jungen Heranwachsenden.

Feuerwehrmann heißt das Zauberwort. Dass der Mann Feuerwehrmann war, war ihm nicht anzusehen. Der hatte weder eine Uniform an, noch einen Feuerwehrhelm auf. Der war ganz privat unterwegs. Daher ist die Auseinandersetzung auch kein Angriff auf einen Feuerwehrmann gewesen, sondern eine solche, wie es sie wohl auf jedem zünftigen bayerischen Volksfest geben mag, wenn ein paar junge Männer etwas zu laut sind, und ein einzelnen Älterer sie zu Ordnung ruft. Daraus ein Symptom zunehmender Gewaltbereitschaft zu machen, ist eine recht gewagte These. Da wäre vielleicht eher der CDU-Stadtrat aus Köln geeignet, der einem 22-jährigen mal einfach eine Kugel durch die Schulter jagt. Aber egal. Schon das Wort Feuerwehrmann triggert natürlich die anzusprechenden Wähler.

Wir wollen deshalb eine klarstellende Regelung, wonach auf Heranwachsende zwischen 18 und 21 Jahren regelmäßig Erwachsenenstrafrecht anzuwenden ist und nicht Jugendstrafrecht.

Was soll denn da bitte klargestellt werden? Dass auf Heranwachsende Jugendstrafrecht angewendet wird, ist doch bereits ein gesetzlicher Ausnahmetatbestand, d.h. vom Gesetzgeber her gilt zunächst einmal Erwachsenenstrafrecht, wenn nicht die Voraussetzungen des § 105 Abs. 1 JGG vorliegen.

§ 105 Anwendung des Jugendstrafrechts auf Heranwachsende

(1) Begeht ein Heranwachsender eine Verfehlung, die nach den allgemeinen Vorschriften mit Strafe bedroht ist, so wendet der Richter die für einen Jugendlichen geltenden Vorschriften der §§ 4 bis 8, 9 Nr. 1, §§ 10, 11 und 13 bis 32 entsprechend an, wenn

1.

die Gesamtwürdigung der Persönlichkeit des Täters bei Berücksichtigung auch der Umweltbedingungen ergibt, daß er zur Zeit der Tat nach seiner sittlichen und geistigen Entwicklung noch einem Jugendlichen gleichstand, oder

2.

es sich nach der Art, den Umständen oder den Beweggründen der Tat um eine Jugendverfehlung handelt.

Unterm Strich bleibt also bei den Forderungen der CSU nur eine Mischung aus sinnlosen bzw. überflüssigen Forderungen und viel heißer Luft, so dass ich mich gefragt habe, was das überhaupt soll. Und da fiel mir ein, was AfD-Frontfrau Alice Weidel gesagt hatte:

Dieses Verbrechen ist unfassbar und zeigt, dass unser Strafrecht dringend reformiert werden muss. Wer schon als Jugendlicher Frauen vergewaltigt, bei dem ist die Sozialisierung völlig aus dem Ruder gelaufen. Entsprechend hoch ist die Gefahr. Wir von der AfD sprechen uns daher dafür aus, die Strafmündigkeit auf 12 Jahre herabzusetzen. Diese bulgarischen Jugendlichen haben in Deutschland darüber hinaus nichts verloren und sollten das Land umgehend verlassen müssen. Das ist der Rechtsstaat nicht zuletzt dem Opfer schuldig.“

Na schau an. Die AfD will mit der Altersgrenze nur auf 12 Jahre runter. Das toppen die blau-weißen Christen doch mit ihrer kompletten Aufhebung der Altersgrenze unüberholbar. Das muss der Besorgtbürger doch honorieren. Darum und nur darum geht‘s.

Heinrich Schmitz

Heinrich Schmitz ist Rechtsanwalt, Strafverteidiger und Blogger. In seiner Kolumne "Recht klar" erklärt er rechtlich interessante Sachverhalte allgemeinverständlich und unterhaltsam. Außerdem kommentiert er Bücher, TV-Sendungen und alles was ihn interessiert- und das ist so einiges. Nach einer mit seinen Freital/Heidenau-Kolumnen zusammenhängenden Swatting-Attacke gegen ihn und seine Familie hat er im August 2015 eine Kapitulationserklärung abgegeben, die auf bundesweites Medienecho stieß. Seit dem schreibt er keine explizit politische Kolumnen gegen Rechtsextreme mehr. Sein Hauptthema ist das Grundgesetz, die Menschenrechte und deren Gefährdung aus verschiedenen Richtungen.

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