Der Pfad des elektrischen Kriegers

In seiner Hörmal-Kolumne erkundet Ulf Kubanke den Pfad des elektrischen Kriegers Marc Bolan und dessen wegweisender Band T.Rex.


Well you’re dirty and sweet, clad in black, don’t look back and I love love you.
(Marc Bolan)

London, Mitte der 60er Jahre: Es ist weit nach Mitternacht. Durch die menschenleere, nur von spärlichem Laternenschein beleuchtete Carnaby Street streifen zwei sehr junge Männer. Beide Teenager lernten sich bei einem Anstreicherjob kennen und durchforsten die Mülltonnen nach etwas Brauchbarem. Doch sie sind keine Bettler. Die Straße ist das Herz der englischen Modeindustrie und beherbergt exklusive Schneidereien sowie die angesagtesten Fashion-Firmen. Diese entsorgen ihre Fehlfarben täglich. Ein gefundenes Fressen für die beiden stets abgebrannten und aus bescheidenen Verhältnissen stammenden Youngsters. Sie sind beste Freunde und teilen nicht nur ein Gespür für schicke Klamotten. Auch das musikalische Talent und den Rockstar-Traum hegen sie gemeinsam. Lang wird es nicht mehr dauern, und die Welt lernt sie als Marc Bolan und David Bowie kennen.

Beide schenken der Welt den Glam Rock – der eine als „Ziggy Stardust“, der andere mit seiner Band T. Rex. Die Freundschaft hält bis zu Bolans Tod nur zwei Wochen vor dessen 30. Geburtstag – ein Autounfall riss den Londoner aus dem Leben. Ausgerechnet er, der nie den Führerschein erwarb, weil er sich vor dem Unfalltod fürchtete, starb auf diese Weise: Bolan war Beifahrer eines Wagenes den seine Freundin, die Sängerin Gloria Jones („Tainted Love“) fuhr und dabei den Unfall verursachte. Sein musikalisches Vermächtnis jedoch hinterlässt eine quicklebendige Schatztruhe bunter Rocksongs, von denen sich etliche zu Evergreens entwickelten. So kennt nahezu jeder zwischen 8 und 80 seinen Welthit „Get It On“ aus dem Jahr 1971. Fast überall auf dem Planeten chartet die Nummer als Top-Ten-Erfolg. Gleichzeitig ist sie Blaupause des Glam Rock und ein unzerstörbarer Partykracher, der bis heute in etlichen Spielfilmen Verwendung findet. Ein historisches Detail: Rick Wakeman, seines Zeichens Tastenmann bei den Artrockern Yes, spielt hier das elektrische Piano und die Hammondorgel.

Doch Bolans Truppe ist weit mehr als eine reine Single-Band. Zwar gibt es so einige Hymnen, wie das kaum weniger bekannte „Children Of The Revolution“. Ein Lied, dass dem Revoluzzergedanken Kajalstrich, Nagellack und Lippenstift beschert, aber auf keiner regulären LP auftaucht. Dennoch lohnt es sich hier, jenseits von Best-Of-Zusammenstellungen die zugehörigen Langspielplatten zu hören. Bevor man loslegt, sollte man sich jedoch der Zweigeteiltheit von Bolans Truppe bewusst sein, damit es keine unerwünschten Überraschungen gibt.

Im Grunde nämlich besteht Bolans Katalog aus zwei recht unterschiedlichen Inkarnationen; einmal als Tysannosaurus Rex, danach als T. Rex. Mit ersteren veröffentlicht er zwischen 1968 und 1970 vier Scheiben, die kaum etwas mit der späteren Glam-Variante zu tun haben. Es sind versponnene, sehr hippieske Lieder zwischen Psychedelik, Folk und schrägen Einfällen. Diese Frühwerke überzeugen nicht vollends. Mancher Track klingt noch recht unausgereift. Dennoch offenbart sich hier eine Handvoll charmanter Perlen, und so begibt man sich immer wieder gern auf eine Entdeckungsreise.

Ab 1970 ändert Marc Bolan das Konzept der Band schlagartig. Knackiger Rock, clever pointierte Arrangements und sein großes Talent für eingängige Ohrwürmer bescheren den großen Erfolg und einen ewigen Platz in den Geschichtsbüchern der Rockhistorie. Sein Einfluss reicht weit in die Zukunft. Den Status eines Wegbereiters von Punk über Post-Punk bis hin zu Britpop kann ihm keiner je nehmen. Kultbands wie Siouxsie And The Banshees oder The Smiths berufen sich auf ihn. Es gibt etliche Songs, die von Bolan handeln. So erweist ihm Bowies „All The Young Dudes“ ebenso die Ehre, wie etwa auch R.E.M. („The Wake Up Bomb“). Sogar das Rock-Urgestein The Who revanchiert sich mit „You Better You Bet“ dafür, dass Bolan sie stets als Haupteinfluss anführte.

Wer das Charisma Bolans und seiner Musik nachempfinden möchte, halte sich getrost an seine beiden Meilenstein-LPs „Electric Warrior“ (1971) und „The Slider“. Hier erhält man die Essenz der insgesamt neun T.-Rex-Alben. Beide sind Bibeln und Urknall des Glam. Eines der Geheihmnisse von Bolans Anziehungskraft beruht auf dem Kontrast zwischen seiner verzerrten, zackig angeschlagenen Gitarre und der weichen Gesangsstimme.

Besonders gut hört man dies auf „Mambo Sun“, dem Eröffnungsstück des „Electric Warrior“. Von „The Slider“ empfehle ich den „Metal Guru“. In seiner Heimat war es nicht gerade T. Rexs“ größter Erfolg – in Deutschland stürmte das Stück allerdings an die Spitze der Hitlisten. Mittlerweile gilt die Nummer generell als eines seiner wichtigen Kernlieder – es verkörpert Bolans spirituelles Bekenntnis. Einerseits lehnte er jede Form von Religion, besonders die christlichen Kirchen, strikt ab. Andererseits hatte er einiges übrig für die romantische Vorstellung einer übersinnlichen, allmächtigen Kraft. Dieser Widerspruch kommt im Song zum Ausdruck, indem er die Gottesfigur liebevoll ironisiert. Er zeigt Gott als erfrischend unspießige Kreatur, die viel für eine rebellisch rockende Jugend übrig hat, mit dem zweifelhaften Ergebnis der eigenen Schöpfung ansonsten gleichwohl ein wenig überfordert zu sein scheint. Und wer bei „Panic“, dem Überhit der obig genannten The Smiths, genau hinhört, stellt zudem fest, dass jener 80er Kulttrack recht deutlich auf „Metal Guru“ aufbaut: Morrissey und Marr legten ihn seinerzeit bewusst als Bolan-Hommage an.

Ulf Kubanke

Ehemaliger Anwalt; nun Publizist, Gesprächspartner und Biograph; u.a. für Deutschlands größtes Online-Musikmagazin laut.de.

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