Grace To The Rhythm – Eine Festschrift zu Grace Jones‘ 70. Geburtstag

Zum 70. Geburtstag von Grace Jones gratuliert Ulf Kubanke in seiner Hörmal-Kolumne


„Grace is perfect!“
(Andy Warhol)

Kann man in Talkshows handgreiflich werden und dennoch eine eigentlich sanfte Seele von Mensch sein? Weltweit in Disneyworld Hausverbot haben und gleichwohl ein Vorbild der Jugend sein? Als fromme Pfarrerstochter das eigene Filmeam mit umgeschnalltem Gummipenis schocken? Grace Jones kann das alles. Die schillernde Allroundküntlerin feiert nun ihren 70. Geburtstag. Her kommt der verdient rote Teppich.

Es heißt, sie sei eine Diva, eine Amazone. Der Ruf kommt nicht von ungefähr, greift indes viel zu kurz. Sicher, Jones ist eine Meisterin perfekter Selbstinszenierung. Mit tonnenweise Cleverness und diebischer Freude atomisiert sie in den 70ern/80ern rassistische Vorurteile und das Heimchen-am-Herd-Frauenbild gleichermaßen. Burschikoses Auftreten, toughe Fotos für nahezu alle wichtigen Magazine, Filmrollen als Killerin, archaische Kriegerin sowie der Ruf eines unersättlichen Vamps tun ihr übriges. Jede einzelne Facette hat unbeugsamen Stahl im Rücken.

Das knallharte Auftreten half zweifellos, „rassistische und sexistische Idioten“ in die Schranken zu weisen. Ihr Signal an Afroamerikaner, sämtliche Frauen und alle Menschen: Du kannst sein, was du möchtest. Erfinde dich; aber mach es so gut, dass es funktioniert. Ihr Credo: „Es ist dumm, Menschen zu kategorisieren.“ In diesem Licht wirken etliche Skandale heute nicht länger divaesk, sondern wie Akte purer Befreiung.

„Oh Gott, das Mannweib hat einen Moderator geschlagen!“ hieß es. Ach was! Den eher niedlichen, pfötchenhaften Knuff verdiente Russel Harty sich in seiner Talkshow 1980. Eigenmächtig änderte er das vereinbarte Konzept live, um die Jamaikanerin herablassend zu behandeln, sie als Laune der Natur zu stilisieren und zollte lediglich den männlichen Gäste Respekt. Grace Jones unübersehbar formvollendete Weiblichkeit und schlagfertige Intelligenz ignorierte er. So riss ihr Geduldsfaden im Verlauf der Sendung, unterstützt von einer Angriffslust, die das„schlechte Kokain die Nacht zuvor“ sicher nicht gerade minderte.

In Disneyworld entblößte sie eine einzelne Brust, da ein Körper nichts sei, wofür man sich schämen müsse. Und die Gummipenis-Story stammt vom Set zum 1985er James Bond-Film; ein Scherz gegenüber Roger Moore und jener Schablone, die Frauen als willenlose Bond-Gespielinnen zeigt. Die gemeinsame Bettszene schien ihr ideal für diesen Gag. Ohnehin gilt amazing Grace privat als humorvoll und warmherzig. Mit gutem Grund prägte Kumpel Andy Warhol den Satz „Grace is perfect“.

Genau dieses Zitat findet Eingang in ihr Video „I’m Not Perfect“ und leitet über zur herausragenden Musikerin. Was sie anpackte, prägte sie. Auf frühen Platten spielte Jones in den 70ern eine zentrale Rolle als Discoqueen. Kurz darauf als schwarzlichterne, schroffe Königin des neonkalten New Wave. Doch impfte sie diesem mit ihren Landsleuten Sly & Robbie einen warmen Hauch Reggae plus Dub ein. Spätestens durch „Slave To The Rhythm“ inkarnierte sie als Aushängeschild gehobenen 80er Pops.

▶ 6:50

Ein Phänomen ist das gleichberechtigte Auftreten von Coversongs und eigenen Liedern. Die Bandbreite ist erstaunlich. Sie schnappt sich u.A. Glamrock (Roxy Musics „Love Is The Drug“), Chanson (Edit Piafs „La Vie En Rose“), Goth/Postpunk (Joy Divisions „She’s Lost Cvontrol“), Tango (Piazzollas „Libertango“ arrangiert sie komplett um und schreibt einen eigenen Text dazu), New Wave (ihre Variante von Daniel Millers „Warm Leatherette“ gilt als ultimative Version) oder Iggy Pops/David Bowies Berlin-Hymne „Nightclubbing“. Die Interpretationen gelingen ausnhahmslos individuell. Ein Talent und Charisma, das nur die ganz Großen wie Sinatra und Co innehaben.

Die eigenen Lieder stehen dem in nichts nach. Neben „Slave To The Rhythm“ empfehle ich besonders das frech-frivole „Pull Up To The Bumper“. Auch ihr 1986er Album „Inside Story“ lohnt sich sehr. Damals mit überschaubarem Erfolg gesegnet, gilt es heute als eine Perle seiner Zeit. Dennoch lief selbige ab den 90ern für sie ab. Man nahm sie als Relikt wahr. Schließlich zog Jones sich für knapp 20 Jahre zurück. Es heißt nicht umsonst: „They never come back.“. Doch weit gefehlt!

2008 kehrt sie furios mit „Hurricane“ zurück. Das grandiose Spätwerk erscheint als normale Edition sowie im Dub-Gewand. Weder sieht noch hört man ihr die damals 60 Lenze an. Kraftvoll, charimatisch und erfrischend modern bieten Nummern wie „This Is“ oder „Williams‘ Blood“ große Unterhaltung, die weder der Vergangenheit nachhängt, noch dem Zeitgeist übertrieben huldigt. Einmal mehr verwandelt sich jede Note zu Grace Jones. „This is my voice, my weapon of choice.“

Ulf Kubanke

Ehemaliger Anwalt; nun Publizist, Gesprächspartner und Biograph; u.a. für Deutschlands größtes Online-Musikmagazin laut.de.

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