Herrmann und die Lügenpropaganda

Glaubt man dem Bayerischen Innenminister Herrmann, dann sind die 30-40000 Demonstranten gegen das neue Polizeiaufgabengesetz Opfer von Lügenpropaganda geworden. Fake News aus Bayern.


Im Bayerischen Rundfunk sagte Herrmann, er sei überrascht, dass die „zum Teil auch Lügenpropaganda der letzten Wochen“ wohl Menschen in die Irre geführt habe. Welche Lügen das nun genau gewesen sein sollen, die er da festgestellt haben will, ließ er hingegen offen. Man kennt das ja, die einen nennen es Lügenpresse; diejenigen, die sich für etwas feinere Wortkünstler halten, Lückenpresse, Donald Trump nennt es Fake News und Herrmann tauft es Lügenpropaganda.

Offenbar war man in Bayern davon überrascht, dass man das neue Polizeiaufgabengesetz (PAG) nicht mal so eben geräuschlos an den Bürgern vorbei durchsetzen kann. Der Widerstand gegen dieses Gesetz kommt nicht nur von bösen Gesellschaftern der Antifa-GmbH, sondern durchaus auch von rechtsstaatlich denkenden bürgerlichen Personen.

Was die bayerische Staatsregierung da fabriziert hat, ist nicht ohne. Eine Polizei, die mit geheimdienstlichen Mitteln künftig präventiv tätig sein dürfen soll. Da graust‘s den Fachmann und der Laie wundert sich.

Drohende Gefahr

Die Eingriffsschwelle der schönen neuen Präventivwelt – die wie aus einem Science-Fiction- Roman zu stammen scheint – wird gesenkt. Von der „konkreten“ Gefahr wird die Latte ganz tief hinunter auf eine „drohende“ Gefahr gelegt. Was das nun genau ist, weiß noch keiner so genau. Es ist sicher nicht pure Willkür, es ist aber auch weniger als eine konkrete Gefahr. Die bayerische Regierung hält das für unproblematisch, weil der Begriff der drohenden Gefahr vom Bundesverfassungsgericht selbst geschaffen wurde. Nun ja, das stimmt sogar.

Der Gesetzgeber ist von Verfassungs wegen aber nicht von vornherein für jede Art der Aufgabenwahrnehmung auf die Schaffung von Eingriffstatbeständen beschränkt, die dem tradierten sicherheitsrechtlichen Modell der Abwehr konkreter, unmittelbar bevorstehender oder gegenwärtiger Gefahren entsprechen. Vielmehr kann er die Grenzen für bestimmte Bereiche mit dem Ziel schon der Straftatenverhütung auch weiter ziehen, indem er die Anforderungen an die Vorhersehbarkeit des Kausalverlaufs reduziert. Allerdings müssen die Eingriffsgrundlagen auch dann eine hinreichend konkretisierte Gefahr in dem Sinne verlangen, dass zumindest tatsächliche Anhaltspunkte für die Entstehung einer konkreten Gefahr für die Schutzgüter bestehen. Allgemeine Erfahrungssätze reichen insoweit allein nicht aus, um den Zugriff zu rechtfertigen. Vielmehr müssen bestimmte Tatsachen festgestellt sein, die im Einzelfall die Prognose eines Geschehens, das zu einer zurechenbaren Verletzung der hier relevanten Schutzgüter führt, tragen (vgl. BVerfGE 110, 33 <56 f., 61>; 113, 348 <377 f.>). Eine hinreichend konkretisierte Gefahr in diesem Sinne kann danach schon bestehen, wenn sich der zum Schaden führende Kausalverlauf noch nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit vorhersehen lässt, sofern bereits bestimmte Tatsachen auf eine im Einzelfall drohende Gefahr für ein überragend wichtiges Rechtsgut hinweisen. Die Tatsachen müssen dafür zum einen den Schluss auf ein wenigstens seiner Art nach konkretisiertes und zeitlich absehbares Geschehen zulassen, zum anderen darauf, dass bestimmte Personen beteiligt sein werden, über deren Identität zumindest so viel bekannt ist, dass die Überwachungsmaßnahme gezielt gegen sie eingesetzt und weitgehend auf sie beschränkt werden kann (BVerfGE 120, 274 <328 f.>; 125, 260 <330 f.>).“

meinte das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung über die Verfassungswidrigkeit des BKA-Gesetzes. Was das nun genau bedeuten soll, kann ich Ihnen nicht verraten.

Irgendwelche bestimmte Tatsachen braucht‘s halt schon, aber was für Tatsachen sollen das sein? Reicht da jeder anonyme Hinweis? Oder reicht schon, wenn ein Hellseher raunt, demnächst werde in München etwas Schreckliches passieren und es habe mit Helene Fischer zu tun? Vielleicht meint er ja nur ein Konzert.

Das BVerfG hat diese Absenkung der Eingriffsschwelle auch nur für ganz bestimmte Bereiche für überhaupt denkbar gehalten:

In Bezug auf terroristische Straftaten, die oft durch lang geplante Taten von bisher nicht straffällig gewordenen Einzelnen an nicht vorhersehbaren Orten und in ganz verschiedener Weise verübt werden, können Überwachungsmaßnahmen auch dann erlaubt werden, wenn zwar noch nicht ein seiner Art nach konkretisiertes und zeitlich absehbares Geschehen erkennbar ist, jedoch das individuelle Verhalten einer Person die konkrete Wahrscheinlichkeit begründet, dass sie solche Straftaten in überschaubarer Zukunft begehen wird. Denkbar ist das etwa, wenn eine Person aus einem Ausbildungslager für Terroristen im Ausland in die Bundesrepublik Deutschland einreist.

Damit ist das Gericht aber noch nicht am Ende:

Dagegen wird dem Gewicht eines Eingriffs durch heimliche polizeirechtliche Überwachungsmaßnahmen nicht hinreichend Rechnung getragen, wenn der tatsächliche Eingriffsanlass noch weiter in das Vorfeld einer in ihren Konturen noch nicht absehbaren konkreten Gefahr für die Schutzgüter der Norm verlegt wird. Eine Anknüpfung der Einschreitschwelle an das Vorfeldstadium ist verfassungsrechtlich angesichts der Schwere des Eingriffs nicht hinnehmbar, wenn nur relativ diffuse Anhaltspunkte für mögliche Gefahren bestehen. Die Tatsachenlage ist dann häufig durch eine hohe Ambivalenz der Bedeutung einzelner Beobachtungen gekennzeichnet. Die Geschehnisse können in harmlosen Zusammenhängen verbleiben, aber auch den Beginn eines Vorgangs bilden, der in eine Gefahr mündet (vgl. BVerfGE 120, 274 <329>; vgl. auch BVerfGE 110, 33 <59>; 113, 348 <377>). Solche Offenheit genügt für die Durchführung von eingriffsintensiven heimlichen Überwachungsmaßnahmen nicht. Nicht ausreichend für solche Maßnahmen ist insoweit etwa allein die Erkenntnis, dass sich eine Person zu einem fundamentalistischen Religionsverständnis hingezogen fühlt.

Konnte man für den Bereich des Terrorismus noch irgendwie halbwegs mit dem Begriff der „drohenden Gefahr“ leben, so sprengt das PAG diesen eng gesteckten Rahmen, indem es die Eingriffsschwelle auch für andere Straftaten in gleicher Weise absenkt. Dass das Bundesverfassungsgericht das mitmachen wird, ist eher unwahrscheinlich. Da gibt es eine real drohende Gefahr, dass Herrmann das Ding um die Ohren gehauen wird.

Aber die drohende Gefahr ist ja nicht der einzige Kritikpunkt.

Guantanamo light

Bereits seit August 2017 gibt es in Bayern die sogenannte Präventivhaft. Danach können Gefährder – also Menschen, die zwar noch gar nichts Strafbares getan haben, von denen man aber vermutet, dass sie etwas Terroristisches im Schilde führen – in Haft genommen werden. Ist also keine Spezialität des neuen Gesetzentwurfes, was die Sache jedoch nicht besser macht. Vielleicht hat sich da jemand von Erdogans Justizminister Tipps geholt, wie man Menschen für längere Zeit aus dem Verkehr zieht, ohne dass man jemals eine Anklage zustandebekommt. Wie schnell wird jemand als potentieller Terrorist eingestuft. Und wie schnell kann ein Denunziant dazu beitragen. Auch die Tatsache, dass da nach drei Monaten ein Richter erneut entscheiden muss, macht die Sache nicht besser, da eine Höchstdauer für diese Maßnahme nicht vorgesehen ist. Theoretisch ist das unbegrenzt verlängerbar, wobei auch da das Verfassungsgericht mit dem GG-Hammer reinschlagen dürfte. In Anlehnung an die sogenannten Ankerzentren für Asylbewerber könnte man doch auch gleich Gefährderlager wie in Guantanamo einrichten und sie euphemistisch Sicherheitsparks nennen.

Erweiterte DNA

Gar nicht witzig und ebenfalls vermutlich nicht verfassungskonform ist die Anwendung der erweiterten DNA. Auch diese Methode, bei der neben dem Geschlecht auch persönliche Merkmale wie Augen- und Haarfarbe oder Herkunft ausgewertet werden dürfen, soll schon bei drohender Gefahr genutzt werden dürfen. Und das, obwohl diese Auswertungen keinesfalls eine 100%-ige Sicherheit leisten können. Da kann ganz schnell ein völlig Unbeteiligter ins Fahnungsnetz geraten.

Unheimlich auch die Möglichkeit, bereits bei „drohender Gefahr“ in das Post- und Telekommunikationsgeheimnis eingreifen zu dürfen. Dazu gehörten auch Zugriffe auf Computer, Smartphones und in der Cloud gespeicherte Daten. Die gewonnen Daten dürfen dann durchsucht, gespeichert, gelöscht und – und das ist richtig irre – sogar verändert werden; dazu gehören auch alle Kommunikationsdaten einer E-Mail. Das wird in späteren Strafverfahren echt spannend werden, wenn kein Mensch mehr nachvollziehen kann, ob die als Beweismittel vorgelegten Daten nicht von einem Beamten durch Veränderung passend gemacht wurden. Oder wenn Polizei und Geheimdienst sich gegenseitig bespitzeln und ihre Daten verändern. Das wird ein Spaß. Wird es nicht geben? Würde ich nicht drauf wetten. Was ist nicht schon in der Vergangenheit alles an Unterlagen verschwunden oder gelöscht worden? Was erstmal möglich gemacht wird, wird irgendwann auch gemacht.

Unzutreffend sind lediglich die Behauptungen, jeder Polizist dürfe künftig mit Handgranaten durch die Gegend laufen. Das darf er auch nach dem neuen Gesetz nicht. Und nach dem alten durften die Handgranaten als Waffen von Spezialeinheiten auch schon in bestimmten Fällen eingesetzt werden. Gefahrenabwehr mit Kriegswaffen erscheint nicht unproblematisch. Aber mei.

Unselige Traditionen

Ja, Gefahrenabwehr ist eine Aufgabe der Polizei und die Polizei muss dazu in die Lage versetzt werden, diese Aufgabe im Interesse der Bevölkerung wahrnehmen zu können. Das man sie dazu allerdings mit originär geheimdienstlichen Mitteln ausstattet, ist beängstigend. Hat man in Bayern, wo doch immer so sehr auf Tradition gesetzt wird, nichts aus den unseligen Traditionen der NS-Zeit und der DDR gelernt? Glaubt man wirklich, dass es auf Dauer der Bevölkerung gefallen und dem Rechtsstaat gut tun wird, wenn man die Grenzen zwischen Polizei und Geheimdienst verschwimmen lässt? Wer erinnert sich nicht an die Gestapo oder die Stasi? Wer sich einbildet, er müsse totale Sicherheit erzeugen, wird dazu geneigt sein, totale Überwachung zu fordern. Das scheint eine ansteckende psychische Erkrankung zu sein, die jeweils auf der Innenministerkonferenz rundum verbreitet wird. Das PAG ist ein weiterer Schritt in einen allmächtigen Polizeistaat und es ist gut, dass es noch Bayern gibt, die sich dem widersetzen.

Vollkommen absurd ist die Milchmädchenrechnung – wobei man jedem anständigen Milchmädchen Unrecht tut – des CSU-Bundestagsabgeordneten Michael Kuffer, der auf Twitter zwitscherte:

0,3% der Wahlberechtigten in Bayern demonstrieren gegen das neue Polizeiaufgabengesetz. Das ist respektabel und deren gutes Recht. Aber es zeigt auch, dass die Bayern fast vollständig geschlossen hinter unserer konsequenten Sicherheitspolitik und dem neuen PAG stehen. #nopag https://twitter.com/polizeimuenchen/status/994568212263112704 …

17:04 – 10. Mai 2018

Nein, zeigt es nicht. Von einer Gegendemonstration von Anhängern des neuen PAG ist nichts bekannt, obwohl es Menschen gibt, die dieses Gesetz ganz toll finden, weil sie denken, es richte sich ja nicht gegen die, die nichts zu verbergen haben. Da kommt dann auch niemand auf die Idee, weil niemand für das Gesetz demonstriert habe, seien 100% dagegen.

Dass durch das Gesetz der Datenschutz tatsächlich gegenüber der bisherigen Regelung verbessert wird, wie nun Innenminister Herrmann stolz verkündet, ist nicht das Verdienst der CSU oder der bayerischen Staatsregierung. Es ist schlicht und ergreifend der Tatsache geschuldet, dass Bayern eine entsprechende EU-Vorgabe bisher noch nicht umgesetzt hatte und dies nun im Rahmen des PAG tut.

Die Presse hat über das neue Gesetz umfassend und korrekt informiert. Was Herrmann mit Lügenpropaganda meint, mag er gelegentlich erklären. Vielleicht noch vor der Wahl in Bayern. Mag sein, dass er nur den Trump gemacht hat. Mag auch sein, dass da weitere Wähler der CSU die rote Karte zeigen, weil sie sich verarscht fühlen.

Dass das PAG den Landtag passieren wird, ist angesichts der Mehrheitsverhältnisse und der Nibelungentreue der CSU-Abgeordneten, gerade im Wahlkampf, so sicher wie das Amen in der Kirche. Den Verfassungscheck in Karlsruhe wird es mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht bestehen.

Heinrich Schmitz

Heinrich Schmitz ist Rechtsanwalt, Strafverteidiger und Blogger. In seiner Kolumne "Recht klar" erklärt er rechtlich interessante Sachverhalte allgemeinverständlich und unterhaltsam. Außerdem kommentiert er Bücher, TV-Sendungen und alles was ihn interessiert- und das ist so einiges. Nach einer mit seinen Freital/Heidenau-Kolumnen zusammenhängenden Swatting-Attacke gegen ihn und seine Familie hat er im August 2015 eine Kapitulationserklärung abgegeben, die auf bundesweites Medienecho stieß. Seit dem schreibt er keine explizit politische Kolumnen gegen Rechtsextreme mehr. Sein Hauptthema ist das Grundgesetz, die Menschenrechte und deren Gefährdung aus verschiedenen Richtungen.

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