Der Aalshüter des Rock – Eine Kolumne für die großartigen Eels
In seiner Hörmal-Kolumne spricht Ulf Kubanke über das neue Album der Eels und rollt deren Mastermind Mark Oliver Everett einen verdient roten Teppich aus. Nebenher präsentiert er einen der besten Songs des laufenden Jahres.
Sie, liebe Leser, wollen den Soundtrack zum keimenden Frühling? Einen „Shalala“-Song, der noch die letzten Fetzen des Winters aus den erwachenden Knochen fegt? Einladend dynamisch, aber bitte auch entspannend und ohne Hektik? Poppige Melodie, aber bitte total sinnlich? Zeitlos arrangiert und eine Zierde jede coole Playlist? Gern etwas oldschool, aber bitte nicht altbacken? Die verdammte Quadratur des Musikkreises? Kein Problem! Hier kommt „Bone Dry“, ein taufrischer Track aus dem ebenso brandneuen Album „The Deconstruktion“ von The Eels.
The Eels sind die Band von und um Vordenker Mark Oliver Everett alias „E“. In einer perfekten Welt würde jegliche Musik dieses Ausnahmesongwriters die Spitze aller Charts krönen, würde jeder ihrer Gigs stadienweise Fans anlocken. Auf unserem nicht ganz so gerechten Planeten reicht es immerhin zum Kultstar. Everett ist der Aalshüter aller Beladenen. Seine Stücke stehen stellvertretend für viele, denen das Leben nicht nur gut mitspielt. Für alle, die dennoch nicht aufstecken, für alle, die sich nicht der Verzweiflung hingeben.
Seit einem Vierteljahrhundert zählt Everett zu den herausragenden Songwritern unserer Zeit. Seine Lieder kennen überbordend tanzbaren Frohsinn gleichermaßen wie tiefe, durchdringende Melancholie. Derbes Abrocken steht ihm ebenso gut zu Gesicht wie intime, ruhige Augenblicke. Unglaublich aber wahr: Unter dem guten Dutzend bisher erschienener Eels-Alben findet sich keine einzige schlechte Platte; nicht einmal eine mittelmäßige. Ausnahmslos handelt es sich um Juwelen, die jede Plünderung des Kontos rechtfertigen. Denn sie bleiben ein Leben lang als wirklich gute Freunde. Ihr Platz im Regal ist dort, wo man verschrobene Superhelden Marke Tom Waits oder Nick Cave aufbewahrt.
Eine angemessene Würdigung des Gesamtwerks würde den Rahmen dieses Artikels sprengen. Sie benötigt mindestens den Umfang einer kompletten Zeitungsausgabe. Mithin beschränke ich mich bzgl. des Backkatalogs auf einen Verweis gen „Souljacker“ aus dem Jahr 2001, so man das Feld von hinten aufrollen mag. Wer die Kunst Everetts jedoch vollends begreifen möchte, benötigt ein paar biografische Hinweise, welche die unfassbare Intensität seiner Lieder erklären.
Die Musik nämlich hat dem Mann aus Virginia buchstäblich das Leben gerettet. Seine Liste erlittener Schicksalsschläge ist alles andere als Firlefanz und reicht im Grunde für drei Leben. Ein paar davon seien genannt: Als Jugendlicher traf ihn ein Laserstrahl auf einem The Who-Konzert in die Augen und zerstörte Teile der Netzhaut. Seitdem muss er eine Spezialbrille tragen. Sein Vater, der namhafte Physiker auf dem Feld der Quantenmechanik, Hugh Everett III, verstarb als „E“ 19 Jahre alt war. Everetts Schwester war intelligent und begabt, litt jedoch zeitlebens unter sich verschlimmernden psychischen Störungen, die 1996 in ihrem Suizid mündeten. Cousine Jennifer Lewis war Passagier jenes am 11. September 2001 entführten Flugzeuges, das von Islamisten ins Pentagon gestürzt wurde. Zwischendurch verstarb seine Mutter an Lungenkrebs. Everett selbst kämpft zeitlebens gegen depressive Schübe, die es ihm nahezu unmöglich machen, lang anhaltende Liebesbeziehungen zu seinen Partnerinnen einzugehen.
All dies und noch einiges mehr verarbeitet er in etlichen Songs. Darüber hinaus schrieb er einen autobiografischen Roman namens „Glückstage In Der Hölle – Wie Die Musik Mein Leben Rettete“. Die hohe Kunst im Wirken der Eels besteht darin, die Lieder gleichwohl nicht zur Trauerveranstaltung zu degradieren. Skuriler Humor, Sarkasmus, Ironie, Warmherzigkeit, Romantik und ein gutes Händchen für Storytelling und Pointen machen jede Note, jede Zeile zum Erlebnis.
Genau diese Besonderheit beschert ihm zahlreiche auch prominente Bewunderer. Mit Edelfans wie Peter Buck (R.E.M.) oder Tom Waits kollaborierten die Eels etwa auf dem 2005 erschienenen „Blinking Lights And Other Revelations“. Für einen gegen die US-Waffenlobby N.R.A. gerichtetet Sketch mit Jim Carrey („Cold Dead Hands“) schrieb er anno 2013 einen herrlich ätzenden Country-Track.
Zumindest indirekt nehmen die Eels mit der neuen Platte den politischen Faden erstmals so richtig auf. Das mag vor allem damit zusammenhängen, dass Everett zwar kürzlich eine erneute Scheidung durchstehen musste, von seiner Exfrau jedoch einen Sohn, sein erstes Kind, geschenkt bekam. Den Blick dermaßen in die Zukunft gerichtet, verstehen die Eels „The Deconstruktion“ als deutliches Statement gegen das Denken der Alt-Right im Allgemeinen und gegen Trump im Besonderen.
Selbstverständlich mutiert Mr. E textlich nicht etwa zum sloganhaft plumpen Agitator. Im Gegenteil: Mit einer gehörigen Portion Galgenhumor, doppelbödigen Metaphern und tonnenweise Empathie nimmt das Quartett Fahrt auf. Es ist ein deutlicher Kurs gegen den nicht nur dort wachsenden Gletscher aus Kaltherzigkeit, selbstmitleidiger Opferrolle und rassistischer Ellbogenmentalität.
Noch beeindruckender als die sprachliche Ebene ist hier indes ihre musikalische Atmosphäre. So wartet das Titelstück mit tollen Motown/Stax-Streichern auf, ohne dass deren Lieblichkeit den knochigen Grundton verwässert. „Premonition“ hingegen bewirbt sich gekonnt um den Titel der ultimativen Lagerfeuer/Liebeskummer-Ballade der Saison.
Und wer nach dem Glanzstück „Bone Dry“ noch Nachschub für sonnige Stunden braucht, halte sich getrost an das lebensfrohe „Today Is The Day“ und den sexy Tanzflächenstampfer „You Are The Shining Light“. Letzteres ist mein persönlicher Favorit. Allein schon für die ungemein effektive Edwyn Collins-“A Girl Like You“-Gedächtnis-Gitarre verliebt man sich augenblicklich in das schöne Lied. Schon nach dem ersten Durchlauf hängt man somit einmal mehr an Everetts Plattennadel. Zahllose weitere werden folgen.
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