Von unterschiedlichen Brotbelagen – Marco Tschirpkes neuester Wurf
Marco Tschirpkes „Empirisch belegte Brötchen“ enthalten viele amüsante Texte und einiges zum darüber Grübeln. Im Ganzen wirken die Semmeln aber etwas uneinheitlich, findet Kolumnist Sören Heim:
Marco Tschirpke ist einer der seltenen Lichtblicke in der deutschsprachigen Lyrik, zumindest in der humoristischen Sparte. Er beherrscht Versmaß und Reim, noch immer eine solide Basis dafür, dass ein Dichter sich formale Freiheiten nehmen kann, ohne ins Schwimmen zu geraten. Freiheiten nimmt sich Tschirpke eher im Vortrag als in der „Notation“. Der im vergangenen Herbst mit dem Deutschen Kleinkunstpreis ausgezeichnete Lyriker besitzt Bühnenpräsenz und versteht es seine Texte musikalisch zu gestalten. Dieser durchaus relevanter Aspekt fehlt natürlich in Empirisch belegte Brötchen: Gedichte und Geschichten (in überwiegend komischer Manier).
Humorist unter Humoristen?
Tschirpkes Lyrik und Sinnsprüche sind formal recht traditionell gearbeitet. Klassisch gereimt, oft mit Pointe, manchmal ohne. „Klassisch“ durchaus auch im literaturgeschichtlichen Sinne verstanden, die Verbundenheit zu Goethe oder Hacks (besonders zweiterem) verschweigt der Autor nicht. Entsprechend wollen auch die Beläge der Brötchen durchaus mal belehren – zum Glück aber selten penetrant. Unsicher, ob es Tschirpke andererseits gefallen würde, in die Tradition großer deutschsprachiger Humoristen wie Heinz Erhardt oder Robert Gernhardt gestellt zu werden (wahrscheinlich nicht – wie Tschirpke dem Deutschlandfunk verriet wäre er lieber einfach als Lyriker, denn als Humorist, bekannt). Doch vergleicht man, um Unterschiede herauszuarbeiten.
Nun gut: im Gegensatz zu Er- & Gern- gehört Tschirpke offenkundig nicht zu den Hardten. Jedoch kommen seine Pointen meist härter als die Erhardts, so in „Park im Frühling“:
(…) Die eine liest Nabokov,
Die andre Christoph Hein,
Die dritte Grass-Gedichte.
Ach, guck ma, jetzt erbricht se
Sich in das Buch hinein.
Das Schelmische, das anbiedernd wirken kann hat, hat bei Tschirpke keinen Platz. Dafür finden sich auch in Empirisch belegte Brötchen kaum Texte, die heftig zum Lachen reizen.
Auch gegenüber Gernhardt zeichnet sich Tschirpke durch die größere Härte aus. In diesem Fall formal. Gernhardt ist, wenn er einen Witz gefunden hat, auf dem Weg dahin nachlässig. Tschirpke würde man dagegen manchmal ein wenig mehr Mut zur Verspieltheit wünschen. Besonders stark ist der Autor, wo er nicht einmal versucht zwingend Pointen zu setzen, geschweige denn lehrreiche. Etwa wenn im Gedicht „Familienfest“ die beiden Sträuße auf den Tisch plötzlich lebendig werden und alles kurz und klein hacken, ehe das lyrische Ich aus dem Tagtraum aufwacht.
Überzeugend mit Hintersinn. Didaktisch mit dem Holzhammer
Will Tschirpke dagegen belehren, noch dazu im Sinne seiner hacksaffinen politischen Linie, wirkt es schnell gezwungen und die Auftaktverse klingen recht willkürlich der Lehre vorgeschaltet:
Unterm Rasen hinterm Haus
Hat ein Maulwurf über Nacht
Oder in den Morgenstunden
Seine Aufgabe gefunden.Haufenweise stellt er klar,
Was zuvor vergraben war:
Maximal ein schlechter Witz
Ist privater Grundbesitz
Viel besser sind solche Texte, bei denen die tiefere Einsicht sich anschleicht. Sei sie politischer Natur, vordergründig privater, etwa im Bild sich liebender – oder voreinander kapitulierender – Falter, oder menschlich-allgemeiner wie in den bereits häufig zitierten Zeilen von „Verwechslung“:
Ich bin nicht Prometheus,
Versetzte ich heuer,
Als einer mich fragte:
Ey, haste mal Feuer.
Das Formgefängnis
Insgesamt macht Empirisch belegte Brötchen so einen etwas uneinheitlichen Eindruck. Kleinode finden sich, viel Ordentliches, aber auch Texte zum darüber mit den Schultern zucken. Eine amüsante Lektüre ist das allemal. Ist es aber Tschirpke ernst damit, nicht in die humoristische Sparte eingeordnet zu werden, wird er wohl nicht darum herum kommen, sich noch einmal ohne plakative Abwehrhaltung mit Sprache und formaler Komplexität der Moderne einzulassen. Tschirpke verwirft die moderne Lyrik als „Prosa mit dem Hang zum Zeilenumbruch“. Das ist mehr als nur Polemik, das ist offenkundig falsch. Trifft es auch auf eine große Masse zeitgenössischer Werke zweifellos zu, verfehlt es den Begriff des modernen Gedichtes doch gänzlich. Der Reim, von Tschirpke als Bollwerk gegen die Formlosigkeit hochgehalten, ist letztlich nur eines, und oft ein relativ nachlässiges und inkonsequentes Mittel, ein Werk formal zu gestalten – den meisten Gedichten ist der Reim Konvention, Akzidenz. Sich vornehmlich auf ihn zu verlassen ist von ähnlicher Willkür wie die Gegenbewegung, den Reim aus Prinzip zu verbannen. Manches ungereimte Bachmann-Gedicht zeichnet sich durch größeren formalen Zusammenhalt aus als einige der oben zitierten Tschirpkes, auf die das Verdikt von der Prosa mit Zeilenumbruch sich ebenso anwenden ließe. Wer sagt, dass Prosa sich nicht reimen darf?
Strenge Form wird, so nicht stets aufs neue am Material errungen, Gefängnis. Davon könnte, wer die Auseinandersetzung mit den großen Modernen scheut (Eliot allen voran, im Deutschen Bachmann, auch der als Lyriker schmählich übergangene Bernhardt, einige wenige Gedichte von Arno Schmidt), selbst bei Hacks noch etwas lernen. Zum Beispiel in dessen genialer Demonstration, wie ein Gedicht von Sarah Kirsch herzustellen sei.
Der Band enthält neben Gedichten auch noch einige literarische Prosastücke und Essays. Da eine adequate Auseinandersetzung mit diesen mindestens eine eigene Kolumne fordern würde, seien sie hier nur erwähnt.
_______________________________________________________
Marco Tschirpke. Empirisch belegte Brötchen: Gedichte und Geschichten (in überwiegend komischer Manier). Ullstein 2018.
Schreibe einen Kommentar