100 Prozent Erneuerbare. Widerspruch verboten.

Erneuerbare Energien-Forscher verklagt wissenschaftliche Kritiker auf 10 Millionen Dollar Schadensersatz. Aber Einschüchterung ist nicht der Weg zur Wahrheit.


Ein Klima des Konformismus ist kaum irgendwo so vorherrschend wie in der Klimadebatte. Wer den viel beschworenen Konsens infrage stellt, muss mit persönlichen Angriffen rechnen und darf sich wenig Hoffnungen auf eine Karriere im Wissenschaftsbetrieb, den Medien oder der Politik machen.

Erster Schritt der Tabuisierung der Kritik war die Erfindung der sogenannten „Klimaleugner“, gemeint waren ursprünglich Menschen, die Zweifel an der These vom menschengemachten Klimawandel äußerten, die also entweder die Auffassung vertraten, es gäbe keine Klimaerwärmung, oder das Klima werde zwar wärmer, die Ursachen hierfür seien jedoch nicht in erster Linie menschliche Aktivitäten, sondern natürliche Prozesse. Diese sehr seltenen Exemplare von Zweiflern werden nicht selten als unredlich und korrupt diffamiert. Ein Wissenschaftler, der zu Forschungsergebnissen kommt, die in diese Richtung weisen, muss sich daher sehr gut überlegen, ob und wie er seine Erkenntnisse präsentiert.

Zweiter Schritt war die Ausdehnung des Vorwurfs der Leugnung auf alle, die zwar die These vom anthropogenen Klimawandel unterstützen, aber Kritik an einzelnen Aspekten von Voraussagemodellen, an Aussagen des IPCC oder von Politikern oder NGOs äußern und dabei nahelegen, der Wandel könnte u.U. langsamer verlaufen, die Worst Case-Annahmen seien weniger wahrscheinlich als die Best Case-Annahmen oder irgendetwas, das man als Verharmlosung der Bedrohung interpretieren kann.

Der dritte Schritt besteht darin, Kritiker der Klima- bzw. Energiepolitik, etwa der deutschen Energiewende, anzugreifen und mitunter auch diese ins Lager der Leugner zu stellen, was dann besonders absurd ist, wenn die Kritik darauf zielt, dass die Klimaschutzmaßnahmen in Hinblick auf die Erreichung der Klimaschutzziele nicht effektiv genug sind.

Verbot wissenschaftlicher Kritik?

Einen weiteren Schritt im Kampf gegen Abweichler ist nun Mark Jacobson, Professor für Bau- und Umwelt-Ingenieurwesen an der Stanford University sowie Direktor des Atmosphere and Energy Program der Universität, gegangen. Er hat die National Academy of Sciences der USA verklagt, weil sie in ihrer Zeitschrift PNAS eine Replik auf eine von ihm verfasste wissenschaftliche Arbeit veröffentlichte. Jacobson vertritt seit Jahren die These, dass es möglich ist, bis 2050 (oder gar 2030) den gesamten Energieverbrauch der USA durch Wind, Solar (zusammen über 95%) und etwas Wasserkraft darzustellen, dabei die Zuverlässigkeit der Stromversorgung aufrecht zu erhalten und gleichzeitig auch noch Kosten zu sparen und Arbeitsplätze zu schaffen. Er erfreut sich damit großer Beliebtheit bei Hollywood-Stars, Vertretern der Erneuerbaren-Energie-Branche und NGOs.

Die Modellrechnungen von Jacobson erschienen zuerst 2009 in einer Titelgeschichte von Scientific American

Jacobson hat mit seinen Modellrechnungen für viel Diskussion gesorgt. Und so soll es ja auch sein in der Wissenschaft, die nichts anderes ist als ein nie endendes Ringen um Wahrheit. Im Juni dieses Jahres hat jedoch eine Gruppe von 21 Wissenschaftlern in den Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS) eine ausführliche Kritik an Jacobsons Energie-Roadmap und speziell seinen Ausführungen zur Versorgungssicherheit, Kosten und Netzstabilität veröffentlicht, und die wollte Jacobson nicht hören bzw. lesen. Die Autoren fassen ihre Kritik so zusammen:

Frühere Analysen haben ergeben, dass der beste Weg in eine kohlenstoffarme Energiezukunft derjenige ist, der auf ein vielfältiges Portfolio an Technologien setzt. Im Gegensatz dazu diskutieren Jacobson et al. (2015), ob die zukünftigen Primärenergiequellen für die Vereinigten Staaten auf fast ausschließlich Wind-, Solar- und Wasserkraft beschränkt werden könnten, und legen nahe, dass dies bei „niedrigen Kosten“ in einer Art und Weise geschehen kann, die den gesamten Strom mit einer Wahrscheinlichkeit von Lastverlusten liefert, „die die Standards der Elektrizitätsversorgungsindustrie für Zuverlässigkeit übertrifft“. Wir stellen fest, dass ihre Analyse Fehler, unangemessene Methoden und unplausible Annahmen beinhaltet. Ihre Studie liefert keinen glaubwürdigen Beweis für die Ablehnung der Schlussfolgerungen früherer Analysen, die auf den Nutzen eines breiten Portfolios von Energiesystemoptionen hindeuten. Eine Politikempfehlung, die zu große Versprechen hinsichtlich der Vorteile eines engeren Portfolios macht, könnte kontraproduktiv sein und den Übergang zu einem kosteneffektiv dekarbonisierten Energiesystem ernsthaft behindern. (Übersetzung T. Spahl)

Zu den Autoren zählen einige der prominentesten Klimawandel- und Energieexperten wie Ken Caldeira, Daniel Kammen und Varun Sivaram. Hauptautor ist Christopher Clack, gegen den sich Jacobsons Klage auch persönlich richtet. Die Autoren bemängeln u.a., dass Jacobson von einer vollkommen unrealistischen Verzehnfachung der Kapazitäten bei der Wasserkraft in den USA ausgeht, dass seine Annahmen zu zukünftigen Stromspeichern spekulativ seien und dass er die Herausforderungen an den stabilen Betriebs des Stromnetzes nicht adäquat abbildet.

Es geht hier nicht um Leugnung des Klimawandels und der Rolle des Menschen. Es geht nicht darum, ob ein Umbau des Energiesystems geboten ist, oder nicht. Es geht ausschließlich darum, was der beste Weg in der Klima- und Energiepolitik ist: allein auf Wind, Sonne und Wasser zu setzen oder auch andere Technologien miteinzubeziehen, wofür die Kritiker plädieren, die glauben, so bessere Chancen zu haben, das (nicht infrage gestellte) Ziel einer klimaneutralen Energieversorgung zu erreichen.

Natürlich sollten wir von Jacobson erwarten, dass er seine Arbeit verteidigt und versucht, die Kritikpunkte seiner Kollegen konkret zu widerlegen. Das hat er offenbar auch getan und hätte es dabei bewenden lassen sollen. Denn so schreitet Wissenschaft voran: durch Argument und Gegenargument, Behaupten und Hinterfragen, Berechnung und Neuberechnung mit modifizierten Annahmen.

Der Wissenschaftler entschied sich jedoch, vor Gericht zu ziehen und behauptet in der Anklage, die NAS habe „wissentlich und absichtlich falsche Tatsachenbehauptungen“ veröffentlicht.

Christopher Clack antwortete darauf:

Unsere Arbeit wurde einem sehr strengen Peer Review und zwei weiteren außergewöhnlichen redaktionelle Prüfungen der angesehensten Fachzeitschrift des Landes unterzogen, die Dr. Jacobsons Kritiken berücksichtigte und für unbegründet befand. Es ist bedauerlich, dass Dr. Jacobson sich nun dafür entschieden hat, seine Punkte vor Gericht zu wiederholen, anstatt in der akademischen Literatur, wo sie hingehören.

Politisierung der Wissenschaft

Warum klagt Jacobson? Es mag persönliche Gründe geben – er ist sauer wegen der scharfen Kritik. Es mag ihm auch um die Sache gehen; vielleicht ist er der Auffassung, Kritik an seinem ambitionierten und optimistischen Plan könnten dazu führen, dass die Politik zögert, ihn umzusetzen, und so die Klimaerwärmung nicht schnell genug gebremst werden kann. Er fühlt sich also nicht als Wissenschaftler herausgefordert, sondern als Aktivist behindert. (Dabei sollte er allerdings bedenken, dass die Gegenseite mit nicht minder großer Sorge um die Zukunft des Klimas der Auffassung sein mag, dass fehlende Kritik an den Plänen dazu führen könnte, dass die Herausforderungen unterschätzt und wichtige technologischen Optionen ignoriert werden und so die Klimaerwärmung nicht schnell genug gebremst werden kann.)

Offiziell begründet wird der Anspruch auf einen Schadensersatz von 10 Millionen Dollar damit, die Behauptung, Jacobsons Arbeit enthalte „Modellierungsfehler“, sei „dem Ruf Dr. Jacobsons besonders abträglich und schadend, da seine primäre Expertise bei Computermodellen liegt“, so die Anklage laut Washington Post. Doch warum begnügt er sich dann nicht damit, die aus seiner Sicht unberechtigte Kritik sachlich zu widerlegen? Innerhalb des Wissenschaftsbetriebs würde dieses saubere und übliche Vorgehen geschätzt und er bräuchte sich keine Sorgen um seinen Ruf zu machen. Hier kommt der Verdacht auf, dass es ihm mehr um seinen Ruf außerhalb des Wissenschaftsbetriebs geht, wo andere Regeln gelten. Aber ich will hier nicht weiter spekulieren, denn die persönlichen Motive sind letztlich egal. Entscheidend ist, dass solche Klagen ein Angriff auf die Freiheit und Unabhängigkeit der Wissenschaft sind. Wenn Wissenschaftler von Gerichten entscheiden lassen wollen, ob sachliche Kritik berechtigt ist oder nicht, dann ist das ein Armutszeugnis. Wenn sie sich durch Klageandrohung vor Kritik schützen wollen, erst recht.

Es ist wohl kein Zufall, dass dieser Schritt in dem politisch umkämpften Feld der Energieforschung und im Kontext der Klimadebatte gegangen wurde. Es zeigt, wohin Politisierung der Wissenschaft führt, und sollte als Warnung gesehen werden. Es geht hier aber nicht nur um Status und Einfluss in der Klimaschutzarena. Es geht generell um die Freiheit der Wissenschaft, die von Rede und Gegenrede lebt und von jeder Einschränkung der offenen Auseinandersetzung im Innersten getroffen würde. (Auch wenn ein Mediävist einen anderen verklagte, weil dieser die rufschädigende Auffassung vertrete, des Kollegen Interpretation eines Gedichts von Walther von der Vogelweide bringe dessen Unkenntnis der bisherigen Rezeptionsgeschichte zum Ausdruck, wäre dies natürlich genauso daneben wie Jacobsons Klage.)

Neben der bedauernswerten Politisierung der Energieforschung, dürfte noch eine zweite Entwicklung zu dem fatalen Fehltritt Jacobsons geführt haben: die aktuelle Hysterie rund um Fake News. Im Zuge des Kampfes gegen „alternative Fakten“ scheint immer mehr Leuten jedes Mittel recht zu sein. Da wundert es nicht, dass sogar Wissenschaftler sich zum Versuch berechtigt fühlen, unliebsame Meinungen, Einschätzungen oder Interpretationen per Gericht unterbinden zu lassen.

Es ist Aufgabe der Politik, zu entscheiden, in welche Bahnen der Umbau des Energiesystems gelenkt werden soll. Wissenschaftler müssen sich darauf beschränken, Hypothesen, Messergebnisse, technologische Ansätze, Modelle, statistische Auswertungen usw. zu präsentieren und zu diskutieren, Kritik aufzunehmen und inhaltlich darauf zu antworten.  Und Gerichte haben in diesem Prozess rein gar nichts zu suchen.

Thilo Spahl

Thilo Spahl ist Diplom-Psychologe und lebt in Berlin. Er ist freier Wissenschaftsautor, Mitgründer des Freiblickinstituts und Redakteur bei der Zeitschrift NovoArgumente.

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