Tragödie und Farce: Katalanischer Herbst im deutschen Blätterwald

Teil 1: Wie deutsche Zustände anhand des katalanischen Konflikts zu Tage treten.


Wenn sich Geschichte wiederholt, dann nur in anderer Gestalt. Europa wird nicht von den alten Dämonen heimgesucht. Die materiellen und politischen Bedingungen für den grassierenden Rechtspopulismus sind nicht jene, die die Faschisten in Italien, Deutschland und Spanien in den 20er und 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts vorfanden. Der Konflikt zwischen der NATO und Russland ist von einem ganz anderen ideologischen Charakter als es der Kalte Krieg war. Und Erdoğan wird genauso wenig die gesellschaftliche Ordnung des osmanischen Reiches wieder herstellen können wie der IS das frühe Mittelalter. Und doch liegt es auf der Hand, dass keiner dieser Aspekte ohne die dahinter stehenden historischen Verhältnisse verstanden werden kann.

Gegenüber den katalanischen Unabhängigkeitsbewegungen – Plural, denn es sind tatsächlich sehr unterschiedliche Strömungen, was sich auch in der bemerkenswerten Zusammensetzung der abgesetzten katalanischen Regierung unter Carles Puigdemont wieder spiegelt, die von konservativ und liberal bis linksradikal reicht – werden vielfach die Kontexte willkürlich verkürzt, um sie dann collagenhaft wieder zusammen zu setzen. „Unter Franco“ – um die gängige Chiffrierung für knapp 40 Jahre institutionellen Faschismus zu verwenden – war die katalanische Sprache verboten, deshalb seien sie in Katalonien nun umso stolzer auf ihren Nationalklimbim und außerdem hätten sie als „reiche Region“ keine Lust, Abgaben an Madrid zu zahlen. Punkt, Ende der Geschichte, zumindest in ihrer deutschen Übersetzung.

Warum Hannover nie Barcelona sein wird

König Georg war der letzte König von Hannover. Er, der Absolutist, schlug sich 1866 auf die Seite Österreichs im Krieg gegen Preußen, was das Aus für das Jahrhunderte alte Königreich bedeutete. Bis zu seinem Tod 1878 betrieb Georg von seinem Wiener Exil aus Vorbereitungen für einen Aufstand, zunächst gegen Preußen, dann gegen das Deutsche Reich. Die „Hannoveraner Partei“, die bis in die 1950er Jahre bestand, machte für die Wiederherstellung eines unabhängigen Hannovers Politik. Dass Bismarck die Hannoveraner Kassen plündern ließ, um das durch König Ludwig bankrottierte Bayern zu sanieren, war Grundlage für die Agitation der „Hannoveraner Partei“. Allein, sie verfing kaum: Das von Kolonien, Weltmacht und überlegenem deutschen Blut träumende Reich entfaltete größere Anziehungskraft als die Erinnerungen an das wirtschaftlich rückständige alte Königreich.

Der kleinstaatliche Nationalismus konnte in Deutschland so reibungslos überwunden werden, weil von Bayern über Sachsen bis Preußen überall ohnehin der anti-moderne, autoritäre Geist vorherrschte, der sich im und durch das Reich nur zu Höherem berufen sah. Die wenigen Ausnahmen wie etwa in Baden wurden von der konformistischen Rebellion, die Wilhelm II und später die Nationalsozialisten losbrachen, zum Verschwinden gebracht.

Was dieser langatmige Exkurs in die deutsche Geschichte im Kontext Katalonien bezweckt? Zu verdeutlichen, dass sich Deutsche immer zuerst als solche und nicht als Pfälzer, Thüringer oder Franken sehen, weil im 19. Jahrhundert eine nationalistische, autoritäre und hochgradig antisemitische Revolution die deutschen Kleinstaaten zerschlug und unter preußischer Führung auf kriegerische Weise das Deutsche Reich gründete. Den Nährboden für diese autoritäre, nationalistische Revolution legten die von ihr beseitigten Staaten selbst – mit einer reaktionär-konservativen Restauration der von Napoleon modernisierten Staatsstrukturen.

Der Weg zur Deutschen Einheit

In zwei Weltkriegen opferten sich Millionen Deutsche nur zu freiwillig für nationale deutsche Mythen, für Weltmachtsträume, deutsche Tugenden und die deutsche Rasse. Sie verübten Völkermorde und Holocaust für deutschen Lebensraum und reines deutsches Blut. Für eine Nation, die 1914 gerade mal 43, 1939 gerade mal 68 Jahre existierte. Der Kitt, der das Projekt Deutschland bis 1945 zusammenhielt, war die Verachtung von Moderne und Kosmopolitismus; nach 1945 waren es Schuldverdrängung und Schuldabwehr, Antikommunismus und Wohlstandschauvinismus, zunächst im Westen, dann in dem, was da laut herrschender Ideologie „wieder“ vereint wurde (denn da das Gebiet der DDR niemals zur Bundesrepublik gehörte, ist dieses „Wieder“ in der Vereinigung nichts weniger als eine ideologische Reminiszenz an die deutschnationale Bewegung des 19. Jahrhunderts). Und ja, endlich auch das Gefallen an Grundrechten und Freiheit, zumindest solange alle davon nur in Maßen Gebrauch machen.

Separatismus ist den Deutschen fremd, nicht weil sie derart aufgeklärt sind, sondern im Gegenteil. Die Existenzberechtigung eines Deutschlands, das Krieg, Tod und Diktatur über die Welt brachte, wurde seit der Gründung der deutschen Nation 1871 kaum mehr ernsthaft in Frage gestellt. Dabei hätte die Verhinderung des Gründungsaktes Deutschlands – etwa durch den Dolchstoß der Hannoveraner im Krieg mit Frankreich – effektiv enorm viel Leid verhindert (liebe Grüße an alle rechten Kommentatoren, der war für Euch!). Vor einer Auseinandersetzung mit dem, was gerade in Spanien passiert, wäre die Frage, warum es dergleichen nicht in Deutschland gibt, mehr als angebracht. Selbstredend wird sie aber nicht gestellt: An der Einheit der deutschen Nation wird nicht gerüttelt. Im Gegensatz zu Spanien muss dies nicht als Verfassungstext nieder geschrieben werden, es reicht eine „National-Hymne“, in der die Einheit ursprünglich in Bezug auf zwei weitere Strophen besungen wurde, von der Maas bis an die Memel und vom Po bis an den Belt, über alles, über alles in der Welt.

Soviel zur Einführung. Was aber ist denn nun mit Katalonien, was ist mit Spanien? Dazu mehr im 2. Teil. Denn lange Texte liest ja niemand mehr.

Marcus Munzlinger

1983 geboren in Berlin, aufgewachsen in Schleswig-Holstein und Hamburg. Studium der Romanischen Philologie mit Schwerpunkt Spanische Literaturwissenschaften im Hauptfach Magister an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel mit den Nebenfächer Soziologie und Pädagogik. Vorstandsarbeit bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung Schleswig-Holstein und Ausschussarbeit in der Jugendbildung der Rosa-Luxemburg-Bundesstiftung in Berlin. Redaktionsarbeit bei der Gewerkschaftszeitung Direkte Aktion in den Ressorts Kultur & Globales. Seit 2014 Mitarbeiter im Programmteam des Kulturzentrums Pavillon in Hannover im Bereich Gesellschaft & Politik. Daneben freie journalistische Arbeit mit Veröffentlichungen in der Jungle World, ak – analyse & kritik und Straßen aus Zucker.

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