Der Verdacht

Kaum waren die Bomben detoniert, explodierten auch die sozialen Netzwerke. Der IS war es, die Antifa war es, ein Erpresser war es. Es wurde verdächtigt, was das Zeug hält. Auch die Strafprozessordnung kennt den Tatverdacht. Was ist das eigentlich?


Der Anschlag galt der Mannschaft von Borussia Dortmund. Wenn die Presse von einem Anschlag auf den Bus des BVB spricht, ist das verharmlosend. Die Bomben waren offenbar professioneller Art und hatten eine immense Sprengkraft. Dass es lediglich zwei eher leicht Verletzte gab, war ein glücklicher Zufall.

Nun ermittelt der Generalbundesanwalt, was angemessen ist. Ob hier tatsächlich ein Terroranschlag im klassischen Sinne vorlag, wird man noch sehen. Aber es ist gut, dass sich die großen Mädels und Jungs diesem Thema widmen.

Im Zusammenhang mit den Ermittlungen wurde schnell ein Iraker in Haft genommen, aber eben nur im Zusammenhang mit den Ermittlungen und nicht im Zusammenhang mit der Tat. Damit hat der nichts zu tun. Ebensowenig wie ein weiterer Verdächtiger. Nach dem IS und der Antifa, wird nun auch in Richtung Leipzig, also gegen gewaltbereite, womöglich rechtsextremistische Anhänger des RB Leipzig ermittelt.

Die Bandbreite der Ermittlungen zeigt, dass die Ermittlungsbehörden noch ziemlich im Trüben fischen, sie zeigt aber auch, dass sie nicht mehr den Fehler machen, einen rechtsextremen Hintergrund vorschnell auszuschließen. Auch hier ist es gut, dass die Bundesanwaltschaft das Verfahren führt.

Es wäre schön, wenn die Bürger mit einer ähnlichen Einstellung an eine solche Tat herangehen könnten. Das wird ihnen zwar durch die Medien nicht leicht gemacht, die ebenfalls von akuten Spekulationsanfällen getrieben werden, aber es müsste doch möglich sein, sein Mitteilungsbedürfnis einmal ein paar Tage und Stunden zurückzustellen.

Warum teilt jemand z.B. ein „Bekennerschreiben“ der „Antifa“ noch zu einem Zeitpunkt, als längst klar ist, dass das nicht authentisch ist? Weil es gar nicht darum geht, die wahren Täter zu finden und dann meinetwegen zu beschimpfen, sondern darum, seine eigenen politischen Vorurteile zu füttern und eine solche Tat propagandistisch auszuschlachten. Ob Fakt oder Fake spielt da keine Rolle. Auch „Danke Merkel“ konnte man sehr schnell wieder lesen, weil ja klar ist, dass wirklich jede Straftat erst 2015 erfunden wurde und mit den Flüchtlingen nach Deutschland gekommen ist. Die Empörungswichserei vieler Zeitgenossen kennt keinerlei Schamgefühl mehr.

Derweil machen die viel gescholtenen Ermittlungsbehörden ihre Arbeit und gehen jederm Verdacht und jeder Spur nach.

Ein Tatverdacht bezeichnet den Umstand, dass die Ermittlungsbehörden aufgrund von Tatsachen oder Indizien schließen, dass eine Straftat begangen wurde. Ein solcher Verdacht führt zur Einleitung eines Ermittlungsverfahrens. Hat man einen konkreten Verdächtigen, dann wird das Verfahren gegen diesen geführt, hat man das nicht, dann wird zunächst gegen Unbekannt ermittelt. Liegt also jemand mit einem Messer im Rücken auf der Straße, darf man aus dieser Tatsache schließen, es liege eine Straftat vor und ab geht die Post.

Die Strafprozessordnung kennt unterschiedliche Grade des Tatverdachts. Den Anfangsverdacht, den hinreichenden Tatverdacht und den dringenden Tatverdacht.

Anfangsverdacht

Der auf „zureichenden tatsächlichen Anhaltspunkten“ beruhende Anfangsverdacht ist gem. § 152 Abs. 2 StPO die Voraussetzung dafür, dass überhaupt ermittelt wird.

§ 152 Anklagebehörde; Legalitätsgrundsatz

(1) Zur Erhebung der öffentlichen Klage ist die Staatsanwaltschaft berufen.

(2) Sie ist, soweit nicht gesetzlich ein anderes bestimmt ist, verpflichtet, wegen aller verfolgbaren Straftaten einzuschreiten, sofern zureichende tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen.

Dafür genügt die bloße Möglichkeit, dass nach kriminalistischer Erfahrung eine verfolgbare Straftat gegeben ist. Dieser Verdacht ist lediglich auf eine Tat, nicht unmittelbar auf einen Täter bezogen. Bei den Anhaltspunkten muss es sich um bestimmte im Hinblick auf eine Tat handeln. Es reicht also nicht aus, dass es z.B. statistische Erkenntnisse darüber gibt, dass an einem Ort häufiger Straftaten geschehen, als an einem anderen. Das spielt nur im Rahmen der Gefahrenabwehr eine Rolle, aber nicht im Rahmen der Einleitung von Ermittlungen. Die müssen sich auf konkrete Anhaltspunkte beziehen.

Wenn drei Bomben gezündet werden, braucht man über den Anfangsverdacht und die Pflicht zu Ermittlungen nicht zu diskutieren. Und da es sich weder um einen Selbstmordattentäer noch um jemanden, der freundlicherweise seine Papiere vor Ort gelassen hat, handelt, wird gegen Unbekannt ermittelt.

Dringender Tatverdacht

Glauben die Ermittlungsbehörden, dass sie den Täter ermittelt haben und wollen diesen in Untersuchungshaft nehmen, dann bedarf es dazu eines Haftbefehls. Für den ist – neben diversen Haftgründen, wie Flucht-, Verdunklungs- und in bestimmten Fällen Wiederholungsgefahr – ein dringender Tatverdacht erforderlich. Unter einem dringenden Tatverdacht versteht man, dass nach dem derzeitigen Ermittlungsstand eine hohe Wahrscheinlichkeit besteht, dass der Beschuldigte Täter einer Straftat ist. Das bedeutet keineswegs, dass er tatsächlich der Täter ist, was in der Berichterstattung leider allzu häufig vergessen wird. Für den dringenden Tatverdacht reicht die Möglichkeit einer Verurteilung, eine Wahrscheinlichkeit ist nicht erforderlich.

Hinreichender Tatverdacht

Liegt die Wahrscheinlichkeit einer Verurteilung vor, geht die Staatsanwaltschaft also davon aus, dass sie nicht nur den richtigen Täter ermittelt hat, sondern mit den vorhandenen Beweisen auch dessen Verurteilung erreichen wird, dann spricht man von einem hinreichenden Tatverdacht. Dieser ist Voraussetzung für die Erhebung einer Anklage. Auch hier ist zu beachten, dass das weder eine Verurteilung noch eine Vorverurteilung bedeutet. Diese Erwartung der Staatsanwaltschaft erweist sich im Nachhinein gar nicht so selten als Irrtum. Dann wird der Angeklagte freigesprochen. Das liegt auch daran, dass es eine genaue Definition der Erwartung der Staatsanwaltschaft gar nicht gibt und deren Verurteilungserwartung nicht selten eher dem eigenen Wunschdenken als der Realität entspricht. Manchmal hat man das Gefühl, es wird einfach einmal angeklagt, um die Akte vom Tisch zu bekommen. Die Staatsanwaltschaft nutzt den ihr zustehenden Beurteilungsspielraum recht weit und leider werden viele Anklagen vom Gericht zugelassen, obwohl eine Verurteilung alles andere als wahrscheinlich ist. Ich hatte bisher erst einen einzigen Fall, in dem eine mehr als wackelige Mordanklage von der Strafkammer nicht zugelassen wurde und dies von der Rechtsmittelinstanz bestätigt wurde.

Alles fließt

Ganz wichtig ist es, sich immer bewusst zu machen, dass der jeweilige Verdacht immer nur den aktuellen Stand der Ermittlungen widerspiegelt. Zeigt sich z.B. durch eine rechtsmedizinische Untersuchung , dass die DNA eines Tatverdächtigen, der in unmittelbarer Tatortnähe festgenommen wurde, nicht zu der des Täters passt, dann ist der bereits erlassene Haftbefehl umgehend wieder aufzuheben. Der Verdachtsgrad kann sich im Laufe des Verfahrens mehrfach ändern.

Für die meisten Ermittlungsmaßnahmen – bis auf den Haftbefehl, der ja auch weniger eine Ermittlungsmaßnahme als eine Sicherungsmaßnahme darstellt – reicht der Anfangsverdacht. Für die Durchsuchung einer Wohnung, die Entnahme einer Blutprobe, die Beschlagnahme von Gegenständen oder die Telekommunikationsüberwachung langt der schon.

Jemanden zu verdächtigen, der überhaupt nichts gemacht hat, ist für diesen eine enorme Belastung. Zwar behauptet die Staatsanwaltschaft seit dem Anfang ihrer Existenz, sie sei die objektivste Behörde der Welt, aber darauf sollten Sie sich nicht blind verlassen. Besonders, wenn der Druck der Öffentlichkeit groß wird, besteht die Gefahr, dass man dieser möglichst flink ein Ergebnis präsentieren will. Gerät dann ein Verdächtiger ins Blickfeld der Ermittlungen, dann werden andere Spuren allzu oft vorschnell als nicht ergiebig verworfen und es werden nur noch die „Beweise“ gesehen, die den Tatverdacht zu bestätigen scheinen. Ein guter Grund für jeden Verdächtigen, sich schon im Ermittlungsverfahren eines Verteidigers zu bedienen. Im Ermittlungsverfahren lassen sich, notfalls halt in der Hauptverhandlung, Verdachtsmomente ausräumen.

FB-Verdacht

In den sozialen Netzwerken ist das wesentlich schwieriger. Hinz und Kunz sind ja nicht an die Regeln der Strafprozessordnung gebunden und dürfen ihre eigenen Erkenntnisse schon Sekunden nach einer Tat mit Schmackes durch die Welt tröten. Wenn Sie dabei einen Unschuldigen fälschlicherweise beschuldigen, kann der sich zwar auch dagegen wehren. Das ändert aber nichts daran, dass der FB-Verdacht u.U. bereits die Runde gemacht hat. Das Spekulieren über mögliche Täter scheint einen Heidenspaß zu machen und das Hetzen über das jeweilige Lager in dem man den Täter verortet offenbar noch mehr. Mensch Leute, auch wenn das im Fernsehen kommt, das ist kein Tatort. Das ist die grausame Realität.

Kein Tippspiel

Dabei ist ein Bombenanschlag sowenig ein Spaß wie eine Vergewaltigung. Es ist auch kein Tippspiel, bei dem es etwas zu gewinnen gäbe. Mag sein, dass man in England darauf wetten kann, dass die Täter eines Terroranschlages aus einer bestimmten politischen Ecke kommen oder ein Vergewaltiger einer bestimmten Religion angehört. Wenn das so wäre, wäre es zum Kotzen.

Ich wünsche mir von Herzen, dass die oder der Bombenleger von Dortmund geschnappt wird bzw. werden. Ich wünsche mir, dass die Tat angeklagt wird und es zu einer Verurteilung kommt. Und ich wünsche mir, dass diejenigen die sich im Vorfeld bereits einen Täter ausgeguckt haben und über dessen politische oder religiöse Ausrichtung abgehetzt haben, irgendwann einmal verstehen werden, dass jedes einzelne Verbrechen eines gründlichen und vorurteilsfreien Ermittlungsverfahrens bedarf, um den Schuldigen zu finden. Alles vorschnelle Verdächtigen und Verurteilen bringt da gar nichts. Es schadet nur dem Zusammenleben.

Heinrich Schmitz

Heinrich Schmitz ist Rechtsanwalt, Strafverteidiger und Blogger. In seiner Kolumne "Recht klar" erklärt er rechtlich interessante Sachverhalte allgemeinverständlich und unterhaltsam. Außerdem kommentiert er Bücher, TV-Sendungen und alles was ihn interessiert- und das ist so einiges. Nach einer mit seinen Freital/Heidenau-Kolumnen zusammenhängenden Swatting-Attacke gegen ihn und seine Familie hat er im August 2015 eine Kapitulationserklärung abgegeben, die auf bundesweites Medienecho stieß. Seit dem schreibt er keine explizit politische Kolumnen gegen Rechtsextreme mehr. Sein Hauptthema ist das Grundgesetz, die Menschenrechte und deren Gefährdung aus verschiedenen Richtungen.

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