Bewährung – Freiheit für Straftäter?
Kaum ein Mittel des Strafrechts findet in breiten Teilen der Bevölkerung so wenig Verständnis wie die Aussetzung einer Freiheitsstrafe zur Bewährung. Dabei ist das eine gute Sache. Für den Verurteilten und für die Gesellschaft.
Rund 70% der in Deutschland von den Strafgerichten verhängten Freiheitsstrafen werden zur Bewährung ausgesetzt Die müssen also zunächst einmal nicht verbüßt werden. Dafür haben viele Menschen recht wenig Verständnis. Sie meinen, damit würden die verurteilten Straftäter zu gut wegkommen. Es sei besser, wenn die tatsächlich in die Justizvollzugsanstalt einrücken und dort ihr Strafe verbüßen müssten.No Mercy, keine Gnade mit Straftätern. Dabei hat sich die Strafaussetzung zur Bewährung grundsätzlich bewährt und hat mit Gnade überhaupt nichts zu tun.
Die Strafaussetzung ist im deutschen Strafrecht relativ jung. Nach zaghaften Anfängen im Jugendstrafrecht ab 1953 obligatorisch und im Erwachsenenstrafrecht als Möglichkeit, kam die Bewährungsstrafe langsam auf Touren. Die Gründe dafür lagen zum einen in der ganz praktischen Erwägung, für eine Entlastung der überfüllten Knäste zu sorgen, zum anderen aber auch in einem veränderten Verständnis von Strafe.
Ziel Resozialisierung
Die Idee der Resozialisierung von Straftätern, von ihrer Wiedereingliederung in die Gesellschaft, die gleichzeitig aber auch als Spezialprävention dafür sorgen sollte, dass der einzelne Verurteilte nicht wieder straffällig würde, folgte dem Einfluss der modernen Strafrechtslehre Franz von Liszts und anglo-amerikanischen Vorbildern. Das war dem deutschen Strafverständnis bis dahin reichlich fremd. Unter Spezialprävention versteht man die Vorbeugung gegen die künftige Kriminalität eines bestimmten Menschen, des Angeklagten. Das ist neben der Generalprävention – also der Abschreckungswirkung der Strafe auf andere Menschen – und der reinen Sicherungsfunktion, heute ein beherrschender und kaum noch umstrittener Strafzweck.
Durch die Strafaussetzung zur Bewährung unterstützt man diese Spezialprävention in zweifacher Weise. Dem Verurteilten bleiben zunächst die negativen Folgen eines Haftaufenthaltes erspart. Wer „gesessen“ hat, wird leicht ausgegrenzt. Bleibt ertrotz der Strafe in Freiheit, behält er sein soziales Umfeld und seinen Arbeitsplatz. Gleichzeitig entfällt die Gefahr einer weiteren kriminellen „Ansteckung“ durch Schwerkriminelle und Bandenstrukturen in der JVA.
Wegweiser
Zudem wird dem Verurteilten mit Hilfe eines Bewährungshelfers und flankierenden Auflagen und Weisungen ein Weg gezeigt, wie er die bisher bestehenden Ursachen seiner Tat beseitigen und auf einen guten Weg kommen kann. Viele Gefangene bekämen ohne einen Bewährungshelfer ihr Leben nicht mehr geregelt.
Ich höre schon die Hardliner wieder von Sozialromantik und fehlender Härte rufen. Das kann ich sogar in gewisser Weise verstehen, wenn diese Hardliner sich noch nie richtig mit der Materie beschäftigt haben. So gibt es Menschen, die meinen, dass auch Schwerkriminelle in Deutschland viel zu weich besraft werden und sogar Bewährungsstrafen erhalten. Das ist so nicht richtig. Man muss dabei verschiedene Formen der Strafaussetzung unterscheiden.
Die Regeln
Bei der Verurteilung selbst kann die verhängte Strafe nur unter bestimmten Bedingungen ausgesetzt werden. Das regelt § 56 StGB:
§ 56 Strafaussetzung
(1) Bei der Verurteilung zu Freiheitsstrafe von nicht mehr als einem Jahr setzt das Gericht die Vollstreckung der Strafe zur Bewährung aus, wenn zu erwarten ist, daß der Verurteilte sich schon die Verurteilung zur Warnung dienen lassen und künftig auch ohne die Einwirkung des Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen wird. Dabei sind namentlich die Persönlichkeit des Verurteilten, sein Vorleben, die Umstände seiner Tat, sein Verhalten nach der Tat, seine Lebensverhältnisse und die Wirkungen zu berücksichtigen, die von der Aussetzung für ihn zu erwarten sind.
(2) Das Gericht kann unter den Voraussetzungen des Absatzes 1 auch die Vollstreckung einer höheren Freiheitsstrafe, die zwei Jahre nicht übersteigt, zur Bewährung aussetzen, wenn nach der Gesamtwürdigung von Tat und Persönlichkeit des Verurteilten besondere Umstände vorliegen. Bei der Entscheidung ist namentlich auch das Bemühen des Verurteilten, den durch die Tat verursachten Schaden wiedergutzumachen, zu berücksichtigen.
(3) Bei der Verurteilung zu Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten wird die Vollstreckung nicht ausgesetzt, wenn die Verteidigung der Rechtsordnung sie gebietet.
(4) Die Strafaussetzung kann nicht auf einen Teil der Strafe beschränkt werden. Sie wird durch eine Anrechnung von Untersuchungshaft oder einer anderen Freiheitsentziehung nicht ausgeschlossen.
Über 2 Jahre geht gar nichts
Absatz 1 betrifft also nur Strafen bis zu einem Jahr. Das sind schon vom Strafmaß her nicht besonders bedeutsame Straftaten. Bei denen wird die Strafe immer dann ausgesetzt, wenn zu erwarten ist, dass der Verurteilte sich schon die Verurteilung zur Warnung dienen lassen und künftig auch ohne die Einwirkung des Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen wird. Bei Ersttätern ist das fast schon die Regel. Das Gericht muss sich einen persönlichen Eindruck von dem Angeklagten machen. Dabei hat es die Persönlichkeit, das Vorleben, die Umstände der Tat, das Verhalten nach der Tat, die Lebensverhältnisse und die Wirkungen zu berücksichtigen, die von der Aussetzung für ihn zu erwarten sind. Nur dann, wenn aufgrund dieser Gesamtschau nicht mit weiteren Taten zu rechnen ist, bekommt der Verurteilte die Chance der Bewährung. Er wird zwar verurteilt, darf sich aber in Freiheit bewähren. Dabei hilft in aller Regel schon das Damoklesschwert des Widerrufs der Bewährung, der bei einer neuen Straftat droht.
Bei Strafen zwischen einem und zwei Jahren ist es schon deutlich schwieriger eine Bewährungschance zu erhalten. Da waren die Taten ja auch schon gewichtiger. Neben den Kriterien, die schon für die Strafen bis zu einem Jahr vorliegen müssen, müssen auch noch besondere Umstände dazu kommen.
Damit der Verurteilte nicht dem Irrtum unterliegt, er wäre so was wie freigesprochen worden, bekommt er bestimmte Bewährungsauflagen und Weisungen. Er muss jeden Wohnsitzwechsel dem Gericht anzeigen, bestimmte Geldleistungen erbringen, eine bereits begonnene Therapie nicht ohne Zustimmung des Gerichts abbrechen, bestimmte Orte meiden und sich natürlich innerhalb der Bewährungszeit straffrei führen. Tut er das nicht, droht der Widerrruf. Die Bewährungszeit beträgt zwischen zwei und fünf Jahren. Schafft der Verurteilte es, in dieser Zeit straffrei zu bleiben und nicht gegen die Auflagen zu verstoßen, wird die Strafe erlassen.
Natürlich kann ein Gericht sich bei seiner Legalprognose irren und natürlich birgt jede Bewährungsstrafe ein gewisses Risiko des Versagens. Die Rückfallquote bei ausgesetzten Strafen ist aber deutlich niedriger als nach Verbüßung einer Haft. Um es mit einem alten Jugendrichter zu sagen, der aus Erfahrung sprach:
Haft ist Scheiße.
Mit einer Strafverbüßung fängt für viele Verurteilte die richtige Verbrecherlaufbahn erst an. Gerade junge Gefangene gerate auch häufig in die Hände von Banden oder extremistischen Gruppierungen. Nirgendwo dürfte es leichter sein, künftige Gotteskrieger oder Mafiosi zu rekrutieren, als unter den Extrembedingungen einer Haftanstalt.
Bei Strafen über zwei Jahren gibt es überhaupt keine Möglichkeit der Bewährung. Da rückt man ohne wenn und aber ein. Mörder, Totschläger, Vergewaltiger und ähnliche Kapitalverbrecher haben also keine Chance auf Bewährungsstrafen – jedenfalls bei der Verurteilung.
Halb- und Zweidrittelstrafe
Erst wenn diese Täter eine bestimmte Zeit ihrer zeitigen Strafe abgesessen haben – und zwar mindestens die Hälfte, die meisten aber nach zwei Dritteln – kann bei ihnen die Reststrafe zur Bewährung ausgesetzt werden. Aber auch hier gibt es keine Automatik, sondern eine gründliche Prüfung durch die Strafvollstreckungskammer nach § 57 StGB:
§ 57 Aussetzung des Strafrestes bei zeitiger Freiheitsstrafe
(1) Das Gericht setzt die Vollstreckung des Restes einer zeitigen Freiheitsstrafe zur Bewährung aus, wenn
1. zwei Drittel der verhängten Strafe, mindestens jedoch zwei Monate, verbüßt sind, 2. dies unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit verantwortet werden kann, und 3. die verurteilte Person einwilligt. Bei der Entscheidung sind insbesondere die Persönlichkeit der verurteilten Person, ihr Vorleben, die Umstände ihrer Tat, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts, das Verhalten der verurteilten Person im Vollzug, ihre Lebensverhältnisse und die Wirkungen zu berücksichtigen, die von der Aussetzung für sie zu erwarten sind.
(2) Schon nach Verbüßung der Hälfte einer zeitigen Freiheitsstrafe, mindestens jedoch von sechs Monaten, kann das Gericht die Vollstreckung des Restes zur Bewährung aussetzen, wenn
1. die verurteilte Person erstmals eine Freiheitsstrafe verbüßt und diese zwei Jahre nicht übersteigt oder 2. die Gesamtwürdigung von Tat, Persönlichkeit der verurteilten Person und ihrer Entwicklung während des Strafvollzugs ergibt, daß besondere Umstände vorliegen, und die übrigen Voraussetzungen des Absatzes 1 erfüllt sind.
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Hier hat das Gericht zu prüfen, ob die Freilassung des Gefangenen unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit verantwortet werden kann. Wer von der JVA als weiterhin gefährlich angesehen wird, hat auch da schlechte Karten.
Bei Gefangenen, die zu lebenslanger Strafe verurteilt wurden, wird nach § 57a StGB frühestens nach 15 Jahren geprüft, ob eine Aussetzung der weiteren Strafe verantwortet werden kann. Bei besonderer Schwere der Schuld, die bereits das ursprüngliche Gericht feststellt, dauert es noch länger, meistens so um die 25 Jahre. Manche verlassen die JVA auch erst im Sarg. Kommt halt drauf an, ob man es riskieren kann, sie raus zu lassen.
Das Ganze ist äußerst sinnvoll. Ließe man die Gefangenen immer bis zur Endstrafe im Gefängnis, dann bestünde keine Möglichkeit, sie wieder an ein Leben in Freiheit zu gewöhnen. Durch die Bewährung kann man die Wiedereingliederung in die Gesellschaft mit Bewährungshilfe begleiten. Man kann dem Gefangenen z.B. Hilfestellung bei der Wohnungssuche geben. Man kann unterstützend auf die Bemühungen um einen Arbeitsplatz einwirken. Der Gefangene, der ja vorher bereits durch stufenweise Lockerungen an ein Leben außerhalb des Knasts gewöhnt werden soll, bekommt so eine wichtige Unterstützung, die ihn davor bewahren soll, wieder auf die schiefe Bahn zu geraten- natürlich nur wenn das Gericht das für erforderlich hält. Täter die ansonsten vollständig in die Gesellschaft integriert sind, wie z.B. der Vorsitzende des FC Bayern, benötigen eine solche Hilfe in der Regel nicht. Die meisten anderen aber schon. Außerdem hat man die so im Auge und kann gefährliche Entwicklungen frühzeitig erkennen und gegensteuern. Ein guter Bewährungshelfer ist manchmal besser als ein guter Freund.
Wenn das nicht klappt, gibt es eben einen Widerruf der Bewährung und der Gefangene geht zurück ins Kittchen. Diese zusätzliche Motivation sich rechtstreu zu verhalten entfällt, wenn man Endstrafe macht und nach der Entlassung nichts mehr „offen“ hat..
Wer grundsätzlich gegen die Möglichkeit der Bewährung ist, sollte vielleich einfach noch einmal nachdenken. Natürlich wird die gefühlte Strafe für den Verurteilten durch die Bewährung milder, was manchem nicht schmeckt. Aber das Risiko für die Gesellschaft, dass der Täter erneut eine Straftat begeht, sinkt infolge der besseren Wiedereingliederung. Und das ist doch letztlich das, was mit der Bestrafung bezweckt wird.
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