Luthers Thesen: Die formale Buße

Das ganze Leben soll von Buße bestimmt sein, sagt Luther in seiner ersten These. Aber was ist Buße. Eins steht fest: Mit einer formalen Entschuldigung ist es nicht getan.


In der ersten These hatte Luther an die Notwendigkeit „Buße zu tun“ angeknüpft, die sich daraus ergibt, dass „das Himmelreich nahe“ ist. In meiner Reflexion über diese These hatte ich mich darauf konzentriert, was die Rede vom Himmelreich für jemanden, der nicht an ein Jenseits glaubt, bedeuten könnte. Was das Wort Buße genau bedeuten kann, wird sich im Verlauf der Diskussion der folgenden These zeigen. Denn genau darum geht es Luther in den Thesen 2 bis 4.

Die zweite These lautet (in der EKD-Übersetzung)

Dieses Wort darf nicht auf die sakramentale Buße gedeutet werden, das heißt, auf jene Buße mit Beichte und Genugtuung, die unter Amt und Dienst der Priester vollzogen wird.

Die Notwendigkeit zur Buße war schon in meinen Überlegungen zur ersten These klar geworden: Der Mensch lebt in den Erinnerungen der Anderen weiter, und wie dieses Weiterleben aussieht, ist davon abhängig, ob er die offenen Fragen, die Zwistigkeiten, die Verletzungen und das Leid, das er anderen zugefügt hat, geklärt und ausgeräumt hat. Seinen Frieden findet man nur, wenn das gelingt – und das soll durch Buße geschehen.

Noch einmal das Himmelreich

In der Diskussion zu meinem ersten Beitrag hat jemand darauf hingewiesen, dass der Begriff des Himmelreichs für Christen nicht unbedingt ein Jenseits bedeutet, in das die unsterbliche Seele nach dem Tode des Menschen eintritt. Das Himmelreich sei vielmehr ein möglicher Ort im Diesseits. Wir können diese Vorstellung hier aufgreifen und den Ort des Himmelreichs auch mit einem Zustand der Seele identifizieren, der sozusagen einen inneren Frieden, eine Zufriedenheit mit sich selbst, bedeutet. Auch dann ist das Erreichen des Himmelreichs davon abhängig, ob es gelingt, die Konflikte, die man mit den Anderen heraufbeschworen hat, aufzulösen. Davon, dass man die Schuld, die man Anderen gegenüber empfindet, abträgt.

Formale Buße

Man weiß, dass die Kirche zu diesem Zweck die Einrichtung der Beichte kennt. Man wendet sich an den Priester als Vertreter der Kirche, berichtet über die Vergehen und die Schuld, woraufhin der Priester eine Strafe verhängt, die ich zu ertragen habe, woraufhin mir meine Schuld erlassen ist.

Mit der zweiten These lehnt Luther diese Form des Abtragens von Schuld ab. Die Buße, die nach der ersten These das ganze Leben des Glaubenden bestimmen soll, ist nicht mit der Beichte und Genugtuung zu identifizieren. Beichte vor und Strafe durch den Priester ist gar keine Buße.

Soweit, so gut. Die Beichte ist heute, so meinen wir, weitgehend in Vergessenheit geraten, und wo es sie noch gibt, wird sie nicht wirklich ernst genommen. Die Priester, vor denen die Beichte abzulegen ist, haben hierzulande heutzutage gar nicht die Autorität, als dass sie irgendeine echte Schuld als vergeben erlassen könnten.

Wieder könnten wir also sagen, dass Luther uns eigentlich nichts zu sagen hat. Und wieder ist es nicht so einfach. Beichte und Vergebung sind uns heute nicht fremd geworden. Meist beichten wir, wenn wir denn beichten, direkt dem, dem wir mit unserem Handeln Unrecht getan haben, den wir verletzt haben. Und wir erhoffen dann, dass er uns vergibt. Man könnte sagen, dass dieses Verfahren von Beichte oder Geständnis und damit verbundener (und erwarteter) Verzeihung die heutige Weise der formalisierten Entschuldigung ist, so wie es die Beichte vor dem Priester zu Luthers Zeiten war.

„Ich entschuldige mich“

Auch von dieser Entschuldigung würde Luther wahrscheinlich sagen, dass sie nicht ausreicht. Sie ist eben nur formal. Der defizitäre Charakter dieser Buße kommt schon in der merkwürdigen Formulierung „Ich entschuldige mich“ zum Ausdruck. Also ob man die eigene Schuld selbst von sich werfen, ablegen könnte. Als ob man sie von sich selbst abwaschen könnte, indem man einem Ritual folgt.

Dass diese formale Reue als Buße nicht ausreicht, um wirklich zum inneren Frieden und zum Frieden mit dem Anderen zu kommen, liegt ja eigentlich auch auf der Hand. Denn zweierlei kann man damit nicht ohne weiteres sicherstellen: Einerseits ist nicht sicher, ob man zu einer eigenen Reflexion kommt über die Schuld, die man da auf sich geladen hat, mit dem Ziel, in Zukunft vielleicht in ähnlicher Situation nicht erneut schuldig zu werden. Andererseits weiß man nicht, ob für den anderen, dem gegenüber man schuldig geworden ist, tatsächlich wieder „alles gut“ ist.

Wahre Buße muss also anders aussehen. Was Luther dazu vorschlägt, wird in der nächsten Kolumne, am Sonntag, diskutiert.

Hier geht es zur ersten These.

Jörg Phil Friedrich

Der Philosoph und IT-Unternehmer Jörg Phil Friedrich schreibt und spricht über die Möglichkeiten und Grenzen des digitalen Denkens. Friedrich ist Diplom-Meteorologe und Master of Arts in Philosophie.

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