„Hilfe für DEUTSCHE Obdachlose!“

Flüchtlingshelfer haben sich oft mit der Forderung herumzuschlagen, es solle doch erstmal den Deutschen geholfen werden. Besonders: den Obdachlosen. Nun denn, Forderer: Helft!


Da ist der stämmig gebaute Kerl mit Glatze und amerikanischer Armeejacke. Der gerne am Bahnhof rumhängt und manchmal durch die Fußgängerzone zieht und unvermittelt Passanten lautstark Predigten hält. Immer öfter gesellen sich Menschen zu ihm, bringen etwas zu essen oder ein Bier mit und erkundigen sich, was genau mit ihm eigentlich los sei.
Da ist die noch gar nicht mal so alte Frau mit dem faltigen, wettergegerbten Gesicht, die immer einen Kinderwagen vor sich her schiebt und von Zeit zu Zeit ganz verwundert dort rein schaut und den Kopf schüttelt. In letzter Zeit grüßt man sie freundlich, fragt nach ihrem Wohlergehen und ob man ihr vielleicht irgendwie helfen kann.
Und da ist der Alte vom Friedhof, der genau alle 2 Stunden ein Bier trinkt und still auf der Bank sitzt, und wenn er genug hat zieht er sich in eine Art kleine Kapelle zum Schlafen zurück. Der Pokémon-Go Kreis, der sich rund um seinen Lieblingsplatz gebildet hat kommt immer freundlich mit ihm ins Gespräch und hat auch dann und wann eine Zigarette übrig.

Alles großer Quatsch

Das ist natürlich alles Unsinn. Die drei obdachlosen Charaktere „gibt“ es, sozusagen, sie wurden hier mehr oder weniger stark verfremdet. Die freundlichen Passanten, Gesprächspartner, Helfer – nicht. Aber wie komme ich dazu, hier so einen Unsinn zu verbreiten?

Folgende Situation: Ein sehr aktiver Flüchtlingshelfer postet in einer halb öffentlichen Facebookgruppe einen Artikel, in dem es darum geht, für junge Flüchtlinge Wohnungen zu finden. Sofort steht ein kleines Heer Empörter Gewehr bei Fuß, das das Schicksal deutscher Obdachloser beklagt und dass denen ja niemand unter die Arme greife, und dass man doch zuerst einmal … und überhaupt.
Nun verrät schon die vielfach gebrauchte Rede vom „Volk“ in diesen Kommentaren, dass es da kaum wirklich ums Leid Obdachloser gehen dürfte. Aber nehmen wir mal an, wenigstens dem Ein oder Anderen sei das tatsächlich ein Anliegen: Dann könnte er/sie von der Flüchtlingshilfe einiges lernen. Denn unsere Volksgenossen-Helfer scheinen doch mindestens zwei zentrale Gegebenheiten zu übersehen:

Jeder kann Ehrenamt!

Erstens: Die Form von Flüchtlingshilfe, um die es hier geht und die, weil sie sich am angreifbarsten zeigt, auch am häufigsten angegriffen wird, ist privat und ehrenamtlich. Der Inbegriff des sogenannten Gutmenschentums also. Wie nie zuvor bei einem realen oder herbeifantasierten Notstand hat der Staat seine Aufgaben outgesourced, um die heilige schwarze Null nicht zu gefährden. Es ist die freie Entscheidung der Flüchtlingshelfer, sich hier einzubringen, und vielleicht ist es gerade die Entscheidung aus Freiheit zu Menschlichkeit, die Helfern Hass einbringt. Auch wenn staatlicherseits teilweise Gelder zu Gunsten von Aushilfslehreren, Dolmetschern und Sicherheitskräften umgeschichtet wurden, an Ehrenamtliche fließt da im besten Fall eine Aufwandsentschädigung.

Zweitens: Es existieren von Übernacht-Herbergen bis zu betreutem Wohnen, von Kältebussen über Sozialarbeit, die die bevorzugten Platten von Obdachlosen aufsucht, bereits jetzt zahlreiche Angebote für Obdachlose, die allerdings, seit die deutsche Rechte den Obdachlosen für sich entdeckt hat, keinen nennenswerten Anstieg an Freiwilligen verzeichnen konnten. Die mir bekannten Helfer kommen weiterhin aus dem christlich-konservativen, dem sozialdemokratischen und dem grünen Milieu und reißen sich genauso wie Flüchtlingshelfer, um eine Sprache zu verwenden die wirklich jeder versteht, Tag um Tag den Arsch auf, ohne dafür etwas anderes zu bekommen als das lohnende Gefühl etwas Gutes zu tun.

Vorsicht: Enttäuschungen

Es wäre doch wirklich so einfach: Ehe ich zum 100. Mal auf Facebook losmeckere „aber was ist mit den DEUTSCHEN Obdachlosen“, melde ich mich vielleicht einfach einmal in einer der vielen Herbergen. Oder ich schaue, was ich bei der Caritas tun kann. Oder ich gehe auf die Menschen zu, nehme sie statt als Manövriermasse im politischen Diskurs überhaupt erst einmal als Menschen wahr, verhalte mich ein wenig mehr wie die eingangs skizzierten Fantasiegestalten. Einem einsamen Menschen kann ein einfaches Gespräch unendlich viel bedeuten. Das gilt übrigens nicht nur für Obdachlose.

Aber Vorsicht: Mindestens ebenso sehr wie in der Flüchtlingshilfe und überhaupt stets in der Arbeit mir Menschen sind Enttäuschungen vorprogrammiert. Nicht jeder Mensch, den man als hilfsbedürftig gegen andere ausspielt, will sich helfen lassen, gerade die politische Forderung erstmal deutsche Obdachlose in Wohnung zu bringen, ehe man sich um Flüchtlinge kümmert, dürfte schon am verbreiteten Unwillen Nichtsesshafter zur dauerhaften Sesshaftigkeit scheitern. Sie ist also doppelt unmenschlich: Einmal darin, dass sie Menschen in bessere und schlechtere unterteilt, dann darin, dass sie die vermeintlich besseren zu einem Glück zwingen will, das für diese womöglich keines ist.

Wahrscheinlich wird dieser kleine Text niemanden überzeugen, der sich bereits zu dauerhafter Empörung entschieden hat. Doch vielleicht wird der ein oder andere Unentschlossene auf die eklatante Kluft zwischen Wort und Tat aufmerksam – und tut am Ende sogar was. Ansonsten habe ich ihn hoffentlich so kurz gehalten, dass er immer mal wieder gepostet werden kann, wenn das elende Geschrei um den deutschen Obdachlosen anhebt.

Sören Heim

Sören Heim ist Journalist, Übersetzer und Schriftsteller. Er ist Träger des kosovarischen Preises für moderne Dichtung „Pena e Anton Pashkut“ (Stift des Anton Pashku) und des Sonderpreises „Favorit von Daniel Glattauer“ der art.experience 2014. In HeimSpiel schreibt Sören Heim mit Heimvorteil zu den Schnittpunkten von Kunst, Kultur und Gesellschaftspolitik. Er beleuchtet die unerwartete Bedeutung ästhetischer Fragestellungen für zeitgenössische Debatten, die mit Kunst auf den ersten Blick kaum Berührungspunkte haben. Und wo immer, sei es in der Politik, sei es in der Ökonomie, sei es gar im Sport, er auf geballten Unsinn und Unverstand trifft, wagt der Kolumnist auch das ein oder andere Auswärtsspiel. Bisher erschien die Kolumne HeimSpiel im Online-Debattenmagazin The European. Daneben veröffentlicht Heim in mehreren Literaturzeitschriften vornehmlich Lyrik und dichte Kurzprosa, und bloggt auf der eigenen Homepage aus seinem Zettelkasten. Monographien: Kleinstadtminiaturen: Ein Roman in 24 Bildern. Girgis Verlag: 2016 – ISBN: 978-3939154181.Cover nur Front Gewogene Worte: Nachdichtungen aus dem Chinesischen. edition maya: 2016 – ISBN: 978-3930758463.cover kathaStrophen. Experimente in Rhythmus und Melodie. Chiliverlag: 2017 -ISBN: 978-3943292541.FrontCover 2_bleu Algenhumor: Gedichte für das dritte Jahrtausend. Girgis Verlag: 2016 – ISBN: 978-3939154228.algen Audio-Exklusiv: La vie! La jeunesse! – Hörmordkartell 2017

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