Gerechtigkeit, keine deutsche Tugend

Deutsche Behörden unterstützen bis heute Daimler bei der Verschleierung der Menschenrechtsverletzungen während der argentinischen Militärdiktatur. Anlässlich des 40. Jahrestages des Putsches Jorge Videlas.


Am 24. März 1976 wurde das Kabinett von Isabel Perón, dritte Ehefrau des bereits verstorbenen Juan Perón, durch bewaffnete Männer unter Arrest gestellt. Zuvor hatte sich in einigen Regionen des Landes eine bürgerkriegsähnliche Situation entwickelt: Um die starke Arbeiterbewegung zu unterstützen, die gegen die Oligarchie-ähnlichen Zustände in der argentinischen Wirtschaft kämpfte, griffen mehrere linke Gruppen zu den Waffen. So wurde etwa 1975 im Zuge eines großen Streiks bei Mercedes Benz Argentina der deutsche Konzernmanager Heinrich Franz Metz entführt, um so auf die Entlassung von 117 Streikenden zu reagieren.

Am Ende wurden die Entlassenen wieder eingestellt, eine 40% Lohnerhöhung beschlossen und eine unabhängige Vertretung im Betrieb zugelassen – im Austausch für das Leben des Managers. Die Streikenden hatten mit Hilfe der Guerilla gewonnen, so schien es. Doch der Konzern sann auf Rache.

Schon vor dem Putsch wurden die gesellschaftlichen Konflikte nicht nur zwischen Staat und Wirtschaft auf der einen und linken Gruppen auf der anderen Seite mit Gewalt ausgetragen. Rechtsradikale Paramilitärs suchten den Kampf mit ihren linken Gegnern; zudem jagten, prügelten und töteten sie auch Jüdinnen und Juden, Schwarze und Indigene. In den letzten drei Jahren vor dem Putsch ermordeten sie mehr als 1.000 Menschen. Hier ging eine Saat auf, die auch Mercedes Benz mit gesät hatte. Argentinien war nach 1945 eines der Hauptfluchtländer für die schlimmsten NS-Verbrecher und Ideologen, von Josef Mengele bis Adolf Eichmann.

Sie gründeten Verlage, gaben Zeitungen heraus, gründeten Clubs, machten Radio, entwickelten Einfluss auf Staatsanwälte, Richter, Polizisten, Politiker. Wie viele andere Nazis war auch Eichmann unter falschem Namen bei Mercedes Benz Argentina angestellt. Natürlich konnte man bei Daimler auch in Deutschland mit blutiger SS Vergangenheit gut Karriere machen, wie Hans-Martin-Schleyer bewies. Aber aktive Hilfe für per internationalem Strafbefehl gesuchte zentrale Figuren der Planung und Durchführung der Shoa? Die Unterstützung des Konzerns für geflüchtete NS Größen über die Involvierung einzelner Mitarbeiter in der Stuttgarter Zentrale hinaus hat Daimler bis heute erfolgreich vernebeln können; auch hierbei waren die deutschen Behörden durch betontes Desinteresse äußerst hilfreich. Doch das ist eine andere Geschichte.

Wunderlicher wirtschaftlicher Erfolg schon vor dem Wirtschaftswunder

Bereits 1951 wurde vor den Toren Buenos Aires ein großes Mercedes Benz Werk errichtet, hauptsächlich für die Produktion von Lastwägen. Der Konzern hatte im Krieg zwar wichtige Produktionsstätten verloren, doch das auch durch Zwangsarbeit im 2. Weltkrieg erwirtschaftete enorme Kapital machte Daimler wie viele andere deutsche Konzerne auch zu klaren Gewinnern des Krieges. Sie investierten nach 1945 in ihre globale Expansion, Daimler konnte den Verlust der zwischen 1941 und 1942 in den besetzten sowjetischen Gebieten errichteten Werke sowie der Hallen im ehemaligen Ostpreußen schnell wieder wett machen.

Die Attraktivität des argentinischen Standorts bestand von Anfang an in den guten Beziehungen zum argentinischen Staat, zunächst während der „heimlichen Diktatur“ Juan Domingo Peróns. Kaum Gewerbesteuer und vor allem die autoritäre Zentralisierung der Tarife durch den Staat schufen ein sicheres Klima für die Investitionen aus Deutschland. Hinzu kam die wichtige Rolle des Militärs im argentinischen Staat – zunächst nur als Abnehmer der hier produzierten Militärfahrzeuge. Doch spätestens 1976 kamen beide Vorzüge des Mercedes Benz Standorts in Argentinien in einem zusammen.

Nach dem Sturz Peróns 1955 war es mit der Ruhe vor lästigen Gewerkschaften für Mercedes Benz Argentina vorbei. Die Werksleitung schuf sich also einfach eine eigene: Die von korrupten und rechten Funktionären geleitete SMATA. Gegen ihre Hegemonie bei der angeblichen Vertretung der Interessen der Arbeiterinnen und Arbeiter organisierte sich in den frühen 70er Jahren enormer Widerstand bei der Belegschaft von Mercedes Benz Argentina. In diesem Kontext stand auch die Entführung Metz 1975 – erst hierdurch ließ sich die Werksleitung bewegen, eine unabhängige Vertretung zu zulassen. Diese konnte kein ganzes Jahr bestehen. Die Mitglieder des unabhängigen Betriebsrates gehörten zu den ersten, die nach dem Putsch des Militärs 1976 verschleppt wurden.

Gemeinsamer Sprachgebrauch – gemeinsame Taten?

Hans-Martin Schleyer war 1976 neben seiner Tätigkeit als Arbeitgeberpräsident hauptberuflich Vorstandsmitglied des Daimler-Konzerns, in seiner Funktion nominell zuständig für Personalangelegenheiten in allen Daimler-Niederlassungen weltweit. Zudem war er auch stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender bei Mercedes Benz Argentina.

In einem für alle mit der Thematik Vertrauten mittlerweile berüchtigten Brief an die IG Metall beschreibt Schleyer das Verhältnis zur im Zuge des Streiks und der Managerentführung von 1975 ausgebooteten Gewerkschaft SMATA. Sie sei dabei behilflich, so Schleyer, „Störfaktoren“ ausfindig zu machen und zu beseitigen. Zudem wolle die Betriebsleitung das Arbeitsministerium – das sich seit wenigen Wochen in den Händen der Putschisten befand – sowie SMATA dabei unterstützen, „subversive Elemente aus den Fabriken auszuschalten“. Danach geschah genau das, was die Wortwahl Schleyers hier nahelegt.

Dokumente, in denen sich die Daimler-Zentrale in Stuttgart oder Mercedes-Benz Argentina derart unverblümt äußerten, sind naturgemäß rar. Vor dem zeitlichen Hintergrund lassen sich aber auch verklausuliertere Formulierungen ohne Mühe richtig verstehen. Mercedes-Benz Argentina und SMATA schlossen nach dem Putsch einen neuen Tarifvertrag, bei dem festgehalten wurde, dass beide Seiten daran arbeiten wollten, „negative Faktoren, die die Produktion beeinträchtigen könnten, auszuschalten“.

Hält man dem die Regierungserklärung Videlas nach dem Putsch zur Wirtschaftspolitik der Militärjunta als Folie entgegen, wird klar, worum es geht: „In Bezug auf die Subversion im Industriebereich (…) haben Regierung und Streitkräfte alle Verfügbaren Mittel aufgeboten (…) um die Vernichtung des Feindes in vollem Umfang zu gewährleisten.“ Dass sowohl Schleyer als auch Videla den Terminus „Subversion“ benutzen erklärt sich leicht aus dem weltweiten Sprachgebrauch der postfaschistischen Rechten seiner Zeit.

Im Falle Argentiniens kommt die Wirkmächtigkeit Schleyers ehemaliger NSDAP-Parteigenossen verstärkend hinzu. 1976 konnte in Argentinien der Zusatz „post“ vor faschistisch getrost gestrichen werden. General Menéndez verkündete kurz nach dem Putsch: „Wir werden 50.000 Menschen töten müssen. 25.000 Subversive, 20.000 Sympathisanten und wir werden 5.000 Fehler machen.“

Vier Wochen nach dem Putsch wurde der Vertrauensmann der Mercedes-Benz Argentina Belegschaft an seinem Arbeitsplatz verschleppt. In einem Polizeirevier wird er gefoltert, von niemand geringerem als Ruben Lavallén, der heute in Argentinien als „Kinderräuber“ bekannt ist. Über den psychopathischen Folterknecht der Militärjunta existieren viele Bücher, sogar ein Horrorfilm wurde über ihn gedreht. Zwei Jahre lang legte Lavallén selbst Hand an bei den Folterungen. 1978 wechselte er in die Wirtschaft: Er wurde Sicherheitschef bei Mercedes-Benz Argentina. Zwischen Konzern und Folterknecht bestand Einigkeit darin, was unter Sicherheit zu verstehen sei.

Dutzende Arbeiterinnen und Arbeiter bei Mercedes-Benz Argentina wurden in die Folterzentren jener Zeit verschleppt, sie alle waren vorher gewerkschaftlich aktiv oder für den unabhängigen Betriebsrat tätig gewesen. Von 14 von ihnen fehlt bis heute jede Spur. Sie gehören zu den tausenden Verschwundenen aus der Zeit der Militärdiktatur; die Militärs entledigten sich ihrer Feinde, indem sie sie einfach über dem Regenwald oder dem Meer aus dem Flugzeug warfen. Bis heute kämpfen viele Menschen in Argentinien dafür, dass das Schicksal ihrer Angehörigen aufgeklärt wird.

Die VerSchleyerung

Gekämpft wird auch immer noch darum, dass Mercedes-Benz Argentina und der Daimler-Konzern ihre Verantwortung eingestehen und Entschädigung leisten. Zeugen, wie der seit seiner Inhaftierung in einem Folterzentrum gesundheitlich angeschlagene Hector Ratto, haben eindeutig ausgesagt, dass sie vom damaligen Werksleiter bei Mercedes-Benz Argentina, Tasselkraut, denunziert wurden. Aus mehreren Unterlagen geht hervor, dass die argentinische Mercedes-Benz Leitung Insiderwissen über das Schicksal ihrer verschwundenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hatte.

Dennoch plädiert Daimler bis heute auf nicht schuldig der Verwicklung in die Menschenrechtsverletzungen während der Militärdiktatur Vidals – mit Erfolg. Von mehreren Menschenrechtsorganisationen und einer Journalistin unter Druck gesetzt, ermittelte in den 90er Jahren die Staatsanwaltschaft Nürnberg gegen den ehemaligen Werksleiter Tasselkraut. Das Verfahren wurde eingestellt. Die Begründungen sind haarsträubend: Zum einen könnte nicht wegen Mordes ermittelt werden, weil es keine Leichen gäbe. Die Mordstrategie des Verschwindenlassens der Militärjunta geht also für Tasselkraut voll auf. Zum anderen sei der bis heute körperlich und seelisch unter den Folgen der Folter leidende Ratto nicht vollständig glaubhaft.

Doch der Druck auf Daimler ließ nicht nach. Die Vereinigung „Kritische Aktionäre bei Daimler“ beauftragte den renommierten Menschenrechtsanwalt Wolfang Kaleck – deutscher Vertreter unter anderem von Edward Snowden – einen Prozess gegen Daimler zu erwirken. Daimler reagierte, noch bevor es in Deutschland wieder zum Prozess kommen konnte. Der Konzern beauftragte Christian Tomuschat, den ehemaligen Leiter der UN-Wahrheitskommission in Guatemala, ein Gutachten zu erstellen.

Wenig erstaunlich kam Tomuschat zu dem Schluss, für eine Verwicklung in die Verbrechen der argentinischen Militärjunta seitens Daimler gäbe es „keine Belege“. Dokumente wie etwa das Schreiben Schleyers an die IG Metall, in dem quasi mit den Worten Videlas vom „Ausschalten“ der „subversiven Elemente“ die Rede ist, wurden in dem Bericht allerdings nicht einmal berücksichtigt. Das Lavallén nach seiner Foltertätigkeit ausgerechnet bei Mercedes-Benz Argentina angestellt wurde – für Tomuschat nur ein unglücklicher Zufall.

Das die Militärjunta die Konflikte im Mercedes Werk im Sinne der Werksleitung löste – Politik, die nichts mit den Entscheidungen des Konzerns zu tun hat. Auch die ARD bezweifelt in ihrer Dokumentation „Mercedes-Benz Argentina – ein Konzern und seine Verantwortung“ die Validität des Tomuschat-Gutachtens. Doch in Deutschland galt das vom Verdächtigen selbst bezahlte Dokument von nun an als inoffizieller Freispruch.

Einen offiziellen Freispruch gibt es juristisch gesehen für Daimler nicht – weder in Deutschland noch in den USA. Aber es wird in beiden Ländern eben kein Prozess eröffnet. In den USA wird dies offen ausgesprochen durch wirtschaftliche und politische Vorbehalte begründet. Elf Jahre lang ging es hin und her: Das eine Gericht wollte die Klage der Verbliebenen gegen Daimler zulassen, das andere nicht.

Schließlich lag der Fall vor dem Supreme Court, der grundsätzlich entscheiden musste, ob es zum Prozess kommen würde. Bei solchen Prozessen gibt es in den USA die Möglichkeit, sich mit einem „Amicus-Brief“ direkt an die entscheidende Instanz zu wenden. Diese Möglichkeit nutzten mehrere US-Wirtschaftsunternehmen und auch das Justizministerium. Sie warnten vor handelsdiplomatischen Problemen sowie vor Gefährdung ausländischer Investitionen in den USA. Und tatsächlich: 2014 wies der Supreme Court die Klage ab. In der deutschen Botschaft in Washington wie auch der Daimler Zentrale in Stuttgart wird man sehr zufrieden gewesen sein.

Nun bleibt nur noch die argentinische Justiz. Diese hat die Verantwortung Mercedes-Benz Argentina schon 1986, nach dem Sturz Videlas, festgestellt. Doch die Verurteilung eines ausländischen Konzerns ist ein Mammutakt für den juristischen Apparat Argentinien – verstärkt durch die verweigerte Unterstützung seitens der deutschen Kollegen.

Marcus Munzlinger

1983 geboren in Berlin, aufgewachsen in Schleswig-Holstein und Hamburg. Studium der Romanischen Philologie mit Schwerpunkt Spanische Literaturwissenschaften im Hauptfach Magister an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel mit den Nebenfächer Soziologie und Pädagogik. Vorstandsarbeit bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung Schleswig-Holstein und Ausschussarbeit in der Jugendbildung der Rosa-Luxemburg-Bundesstiftung in Berlin. Redaktionsarbeit bei der Gewerkschaftszeitung Direkte Aktion in den Ressorts Kultur & Globales. Seit 2014 Mitarbeiter im Programmteam des Kulturzentrums Pavillon in Hannover im Bereich Gesellschaft & Politik. Daneben freie journalistische Arbeit mit Veröffentlichungen in der Jungle World, ak – analyse & kritik und Straßen aus Zucker.

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