Wutbürger im Konzert?

In Köln wurde ein Konzert abgebrochen, weil das Publikum gestört hat. Einer hat sogar „gefälligst deutsch“ gesagt!


Ausgerechnet in Köln, musste das sein? Wenn wir jetzt „nach Köln“ sagen, dann wissen wir gar nicht mehr, ob von der Silvesternacht die Rede ist, oder von vergangenem Sonntag. Denn wie erst gestern (jawohl, erst mehr als 24 Stunden nach jenen unsäglichen Ereignissen, die uns alle noch immer umtreiben!) bekannt wurde, haben Konzertbesucher in Köln am Sonntag eine Aufführung eines Steve-Reich-Stückes so dermaßen gestört, dass die Aufführung abgebrochen werden musste!

Er hat „Deutsch“ gesagt! Und „Gefälligst“!

Doch damit nicht genug! Mindestens ein Zuschauer soll schon wenige Minuten zuvor, als der Cembalist Mahan Esfahani in englischer Sprache versuchte, dem Publikum das Musikstück zu erläutern, mit einem Zwischenruf aufgefallen sein, in dem er forderte, die Erläuterungen sollten doch „gefälligst“ auf Deutsch erfolgen!

Jawohl, auf Deutsch! Und auch noch „gefälligst“! Da ist für die empörte Öffentlichkeit natürlich klar: Da ist wieder einmal das Wut-Bürgertum auffällig geworden, wieder haben wir einen Beleg dafür, dass der dumpfe Fremdenhass nun „in der Mitte der Gesellschaft“, ja, sogar in den Konzertsälen angekommen ist.

Schauen wir uns die Sache mal der Reihe nach an. Wir haben ein Konzert, eine Konzertreihe mit einem Stammpublikum. Die Leute gehen da am Sonntag hin, um etwas Angenehmes zu erleben. Das kann man natürlich kritisch sehen, man kann fordern, dass die Zuhörer eines Konzerts mit sogenannter Ernster Musik sich nicht erfreuen, sondern sich ernsthaft beschäftigen und auseinandersetzen wollen.

Dieses Publikum hatte, neben gefälligen und gewohnten Stücken von Familie Bach, nun schon zwei Kompositionen von zeitgenössischen Komponisten angehört. Wir wissen nicht, in welcher Verfassung sich die Zuhörer danach befanden. Aber sie haben tapfer bis hierhin ausgeharrt. Es folgte die Erläuterung des Cembalisten zu der Steve-Reich-Komposition – in englischer Sprache.

Verstehen Sie Englisch?

Ich persönlich kann dem Englischen recht gut folgen, etwa den Durchsagen auf einem internationalen Flughafen, und selbst den Nachrichten von BBC. Wenn ich Erläuterungen zu einem zeitgenössischen Musikstück in englischer Sprache hören würde, kann ich mir vorstellen, dass ich die in zweifacher Hinsicht nicht verstehe: Einerseits würden mir wohl einige Vokabeln fehlen, andererseits könnte ich die feinen Zusammenhänge und Bedeutungsspielräume des gesagten im mündlichen Vortrag wohl nicht ausreichend nachvollziehen, damit der Vortrag mir beim Verstehen des Stücks helfen könnte.

Es ist schlicht eine Zumutung, einem Laien-Kunstpublikum in der eigenen Heimatstadt eine Erläuterung zu einem Kunstwerk in einer Fremdsprache anzubieten, ohne dass diese in die Muttersprache übertragen wird. Dabei ist es völlig egal, ob die Fremdsprache die Weltsprache Englisch ist und die Muttersprache das Deutsche, oder ob es zum Beispiel genau umgekehrt ist. Hier hat der Veranstalter schlicht versagt, wenn er es nicht für erforderlich hält, dem Englisch sprechenden Künstler einen Deutsch sprechenden kompetenten Übersetzer zur Seite zu stellen. Das ist eine Missachtung der Kunst ebenso wie des interessierten Publikums. Dass sich dieses darüber empört, ist gut nachvollziehbar.

Störungen sind Teil der Performance

Bleibt die Störung der Aufführung des Musikstücks selbst. Bekanntlich haben solche Störungen eine gute Tradition, sie sind fast notwendig Teil der Kunstrezeption und des Diskurses über Kunst. Der Künstler will mit seinem Werk etwas Neues, Ungewohntes schaffen, und muss damit rechnen, dass das mündige Publikum dieses Neue ablehnt, es zurückweist, dass er am Publikum scheitert. Da hilft es auch nicht, dass das Werk, das da am Sonntag zur Aufführung kam, bereits 50 Jahre alt ist, denn es gehört auch gerade zur Musikkultur, dass ihre gewöhnlichen Zeitspannen des Alt-Werdens nicht in Monaten, sondern in Jahrhunderten gemessen werden.

Ich selbst bin begeisterter Steve-Reich-Hörer, auch wenn mein Zugang der eines Laien ist. Wenn ich ein Stück von ihm genießen möchte, lege ich zu Hause eine CD ein. Natürlich würde ich mir gern auch einmal ein Stück von ihm live anhören, aber wenn ich ins Konzert gehe, muss ich damit leben, dass gerade die öffentliche Musikaufführung in einem ganz spezifischen Sinn demokratisch ist – sie kann vom unverständigen aber mündigen Zuhörer auch gestört werden. Der Veranstalter kann viel dafür tun, dass diese Störungen unterbleiben – durch gute Erläuterungen und Einführungen. Wenn er das unterlässt, kann es sein, dass er scheitert, dass es zum Eklat kommt – das gehört als Risiko zu jedem Konzert.

Mit Wutbürgertum und Fremdenfeindlichkeit hat das alles nichts zu tun. Leider leben wir aber in Zeiten, in denen die politischen Stimmungsmacher gern jedes Ereignis für ihre Zwecke ausnutzen und uminterpretieren. Auch damit muss man in einer Demokratie der (sozialen) Medien wohl leben.

Lesen Sie auch die letzte Kolumne von Jörg Friedrich über Lüge und Empörung in sozialen Medien.

Jörg Phil Friedrich

Der Philosoph und IT-Unternehmer Jörg Phil Friedrich schreibt und spricht über die Möglichkeiten und Grenzen des digitalen Denkens. Friedrich ist Diplom-Meteorologe und Master of Arts in Philosophie.

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