Nicht nur Fleischverzehr würde ich verbieten.

Dr. med. Ernst Walter Henrich ernährt sich seit vielen Jahren vegan. Mit dem Kochbuch „Vegan Gesund“ publizierte er zusammen mit dem Gourmetkoch Raphael Lüthy ein Standardwerk der vegan gesunden Küche. Sein ebenfalls vegan ernährter Hund Felix erreichte das erstaunliche Alter von 19 Jahren.


Gehen wir doch gleich mal ans Eingemachte mit einem ganzen Fragenkomplex: Meinen Sie nicht, es wird langsam Zeit, auch den Lustfaktor in die vegane Diskussion einzuführen und diesen ganzen lustfeindlichen ideologischen Ansatz beiseite zu legen? Auch wenn wir damit riskieren, diesen Eliteanspruch viele Veganer zu beseitigen?

Warum immer gleich die Weltrettung auf wehenden Fahnen vor sich hertragen müssen? Oder sogar obendrauf noch einen religiösen Aspekt einbauen? Warum soll veganes Essen nicht einfach mal lecker schmecken als Hauptargument? Der Effekt wäre doch am Ende des Tages – von mir aus auch für die Weltrettung – exakt der selbe. Und warum nicht genau das den Leuten erzählen: den Genussansatz zum Big Point machen? Und warum kann man die „Leckerness“ nicht zum allerbestes Argument für eine breite vegane Bewegung nutzen?

Ernst Walter Henrich (EWH): Der Lustfaktor, wie sie ihn nennen, ist kein wirkliches Argument für eine vegane Ernährung. Vegane Ernährung kann besser oder schlechter als Mischkost schmecken. Es kommt ganz auf die Zubereitung an. Mit dem Geschmack kann man daher niemanden von der veganen Ernährung überzeugen, erst recht nicht, langfristig auch dabei zu bleiben. Wenn es nur um den Lustfaktor geht, dann besteht auch kein Grund, nicht mal wieder Fleisch und Milchprodukte zu konsumieren, wenn man Lust darauf hat. Damit jemand dauerhaft bei einer veganen Ernährung bleibt, müssen starke Argumente mit auf den Tisch kommen: gesundheitliche Vorteile und ethische Argumente wie Welthunger, Tierschutz , Klima- und Umweltschutz.

Bitte erzähle Sie uns kurz etwas über Ihren Werdegang und ihre aktuellen Tätigkeiten. Sind Sie auf veganer Mission?

EWH: Ja, selbstverständlich bin ich auf veganer Mission. Fast alle anderen Veganer bemühen sich ja, immer wieder zu betonen, dass sie nicht missionieren möchten. Ich möchte schon missionieren, weil es schlicht und einfach um die wichtigste Sache der Welt geht. Seit ich erkannt habe, welche abscheulichen Grausamkeiten mit den Tieren passieren, wie wir durch den Tierproduktkonsum den Hungertod von täglich 6.000 – 43.000 Kindern und den Klimawandel verursachen und seit ich als Arzt realisiere, welchen immensen gesundheitlichen Schaden Tierprodukte anrichten, obwohl uns täglich die Ernährungsbetrüger das Gegenteil erzählen, fühlte ich mich verpflichtet die Menschen aufzuklären.
Was würden Sie sagen, wie erfolgreich sind Sie damit?

EWH: Nach den eingehenden Emails erfolgreicher Umsteiger und den zwei Millionen angeforderten Vegan-Broschüren zu urteilen, offenbar nicht ganz schlecht. Die hervorragende Resonanz ermutigt mich, meinen Einsatz ständig zu erhöhen.

Wenn ich es könnte, würde ich nicht nur Fleischverzehr verbieten lassen

Wenn Sie es hier und heute sofort politisch bestimmen könnten, würden sie Fleischverzehr verbieten?

EWH: Selbstverständlich würde ich verbieten, dass der Konsum von Fleisch, Milch und Eiern mindestens 51% der weltweiten von Menschen ausgelösten Treibhausgasemissionen verursacht und somit den Klimawandel bzw. die Klimakatastrophe auslöst und damit die Existenzgrundlagen nachfolgender Generationen zerstört.

Selbstverständlich würde ich verbieten, dass wegen eines banalen ungesunden Geschmackerlebnisses ein unerträgliches und zum Himmel schreiendes Unrecht an den Tieren passiert.

Selbstverständlich würde ich verbieten, dass ca. 40 % der weltweit gefangenen Fische, ca. 50 % der weltweiten Getreideernte und ca. 98 % der weltweiten Sojaernte an die „Nutztiere“ der Fleisch- und Milchindustrie verfüttert werden, was zum grossen Teil sogar aus den „Hungerländern“ stammt, während täglich 6.000 – 43.000 Kinder verhungern.

Selbstverständlich würde ich verbieten, dass den Menschen von Ernährungsbetrügern das Märchen von der „ausgewogenen“ Ernährung durch den Konsum von Fleisch, Milch, Milchprodukten, Eiern und Fisch erzählt wird, in Wahrheit aber die schwersten und tödlichen Erkrankungen wie Krebs, Herzinfarkt, Bluthochdruck, Schlaganfall, Diabetes, Alzheimer, Demenz, Adipositas usw. durch diese Tierprodukte gefördert und verursacht werden.

Eine vegane Serengeti wird es nie geben – das Tier ist amoralisch

Hund versus Wolf: Was unterscheidet den domestizierten Wolf vom Wildtier? Bei wilden Raubtieren werden Sie eine vegane Ernährung nie durchsetzen können, dafür bräuchte es ein Bewusstsein beim Hundeartigen. Warum also den Hund vegan ernähren? Um sich selbst den Fleischekel im Napf zu ersparen?

EWH: Es geht nicht um Fleischekel oder darum was die Raubtiere machen, sondern wie moralisch und vernünftig wir uns als Menschen verhalten. Prinzipiell kann man alle Tiere vegan ernähren. Artgerecht ist eine Ernährung dann, wenn sie dem Tier alle Nährstoffe zur Verfügung stellt, die es für ein gesundes und langes Leben braucht. Es kommt also ernährungsphysiologisch nicht darauf an, WOHER ein Tier die Nährstoffe erhält, sondern DASS es alle Nährstoffe erhält. Das ist bei einer richtig zusammengestellten veganen Fütterung in optimaler Weise der Fall. Alle Untersuchungen und Erfahrungsberichte zeigen, dass vegan ernährte Hunde gesünder sind und durchschnittlich erheblich länger leben. Auch vegan ernährte Katzen erfreuen sich bester Gesundheit.

Und was ist mit der Serengeti? Da geht es doch weiter ums fressen oder gefressen werden. Und die Tiere entwicklen sich prächtig dort.

EWH: Das hat alles nichts mit der Serengeti zu tun, sondern damit, dass Tiere nicht nach moralischen Massstäben handeln können, Menschen aber schon. Deshalb ist ein Vergleich Mensch Tier unzulässig und von keiner Relevanz.

Eine Frage zur Auflockerung: Haben Veganer den besseren Sex?

EWH: Das ist nicht unbedingt der Fall. Es kommt darauf an, ob die vegane Ernährung gesund ist. Eine ungesunde vegane Ernährung kann auch eine Arteriosklerose verursachen und eine Impotenz fördern. Deswegen empfehle ich ja immer nicht nur die vegane Ernährung, sondern die gesunde vegane Ernährung nach den sieben Regeln.

Es fällt auf, das Veganer mehrheitlich aus dem Bildungsbürgertum kommen. Wäre es nicht ratsam, will man die vegane Sache wirklich voranbringen, so etwas wie eine Volksvegan-Bewegung zu fördern? Also wirklich preiswerte schmackhafte vegane Produktlinien in Discountern usw.? Das vegane Sortiment dort hat ja nach wie vor die Zielgruppe der Bildungsbürger im Auge.

EWH: Ich bin kein Freund von veganen Produktlinien, weil sie meistens keine gesunden veganen Nahrungsmittel darstellen. Vegane Ernährung sollte sich auf vollwertige, frische, unverarbeitete pflanzliche Nahrungsmittel wie Gemüse, Früchte, Hülsenfrüchte, Samen und Nüsse konzentrieren und daraus wohlschmeckende Speisen kreieren. Diese Nahrungsmittel gibt es in fast jedem Supermarkt schon heute in grosser Auswahl.

Mehr vegane Restaurants würden mich freuen

Peter Unfried, der Autor von „Öko: Al Gore, der neue Kühlschrank“ hatte schon 2008 die mutige Vision von prominenten Vorbildern, die die Öko-Bewegung wirklich für die Massen reizvoll und nacherlebbar machen sollten. Das Konzept scheint aufzugehen. Promis finden es trendy, Ökos zu sein, Sport zu treiben und sich gesund zu ernähren. Und ihre Fans eifern ihnen nach. Was glauben Sie, warum tut sich der Veganismus so schwer damit, auf Vorbilder zu setzen? Gehört immer auch so etwas Basischdemokratisches dazu? Braucht der Veganer das um happy zu sein? Ist vegan automatisch politisch, ist es links und/oder grün? Wäre ein veganer CDUler ein Widerspruch in sich?

EWH: Es gibt nicht DEN Veganer. Nicht jeder braucht einen Promi als Vorbild. Aber jeder braucht eine Motivation, vegan zu werden. Da es verschiedene Argumente für die vegane Lebensweise gibt, sollten wir den Menschen alle Argumente für eine vegane Lebensweise nennen in der Hoffnung, möglichst viele Menschen zu erreichen und zu motivieren.

Es gibt heute schon fast annähernd 1000 vegane Restaurants, Cafés und Bistros in D. Nutzen Sie diese Angebote? Haben Sie ihren Lieblings-Veganer? Wie würden Sie dieses Lieblingslokal einem nicht veganen Paar, das sich zum Essen verabredet hat, empfehlen?

EWH: Woher wissen Sie, dass es fast 1000 Restaurants, Cafés und Bistros in Deutschland gibt? Die Zahl erscheint mir sehr hoch. Selbstverständlich würde ich auch nicht veganen Menschen diese Gastronomie empfehlen.
Fabian Kreipl hat uns im Interview erzählt, das seine App über 1000 Restaurants für Deutschland und Österreich gelistet.

EWH: Dann werden das aber sicher die Restaurants sein, die zusätzlich ein veganes Menü im Angebot haben und keine rein veganen Restaurants. Falls es anderes sein sollte, dann würde mich das freuen.

Hasta la vegania siempre!

Sicher eine der häufigsten Fragen, auf die es aber scheinbar immer noch keine befriedigende Antwort zu geben scheint: Ist es nicht ekelhaft, vegan/vegetarischen Produkten Namen von Fleischprodukten zu geben und diese sogar noch so schmecken zu lassen?

EWH: Nein, das ist für mich überhaupt nicht ekelhaft. Für mich ist ekelhaft, was die Menschen mit den Tieren und den täglich 6.000 – 43.000 verhungernden Kinder machen. Das Problem an diesen Nachahmerprodukten ist vielmehr, dass sie zwar nicht ganz so ungesund wie die Tierprodukte sind, aber auch nicht wirklich gesund sind und besser vermieden werden sollten.

Wann kommt die vegane Revolution der Geschmäcker, der Aromen und Düfte, die an alles erinnern, nur nicht mehr an tote oder gegrillte Tiere?

EWH: Die Revolution des Geschmacks kann jeder sofort für sich selbst erleben, wenn er sich fettarm mit mässigem Salzkonsum und ohne raffinierten Zucker mit frischen, vollwertigen pflanzlichen Nahrungsmittel ernährt. Dann verändert sich sein Geschmackserleben enorm. Man nimmt den Geschmack der Speisen viel intensiver wahr und kann auch intensiver geniessen. Man muss es nur einmal konsequent über einige Wochen durchführen.

Vielen Dank für das Interview!

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Dissterview

Jeder kennt das: man trifft einen interessanten Gesprächspartner, mit dem man sich immer schon austauschen wollte. Aber anschließend stellt man fest: viele Fragen sind offen geblieben. Hatte man die passenden Fragen einfach nicht parat? Warum war man so verdammt defensiv? Das wollen wir mit Dissterview ändern. Wir sprechen mit Menschen über Themen, die uns elektrisieren. Und dann fragen wir, was wir dazu immer schon einmal fragen wollten. Nennen Sie es rücksichtlos. Wir nennen es: Ein Dissterview. Wir sind Alissia Passia, Hasso Mansfeld und Alexander Wallasch.

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