„Sex sells“ – aber will man das? Pole Dancerin Lea Merscher

Den Tanz an der Stange kennen die meisten wahrscheinlich vor allem aus Nachtklubs und Filmen. Doch Pole Dance hat sich als Sport und Bühnenkunst von seiner Herkunft emanzipiert. Und bleibt dennoch aufregend anzusehen.


„An alle, die gelästert haben ich sei professionelle Stripperin – ihr hattet recht. Ich bin ‚professionell’“ – so schrieb Lea Merscher auf Facebook, kurz nachdem sie auf dem CrazyPole Gala Cup in Erfurt den deutschen Meistertitel der Kategorie „professionell“ Pole Art gewann. Lea* ist Pole-Dancerin, tanzt seit gut zweieinhalb Jahren an der Stange und arbeitet sich nun langsam in Richtung Elite der deutschlandweiten Pole-Dance Szene vor. Das allerdings sei, sagt sie, trotz der Überraschungserfolge in diesem Jahr, noch ein weiter Weg. Auch bei den Europameisterschaften in Brno nahm Lea teil, dort bremsten sie mehrere Verletzungen aus.
Aber Deutsche Meisterin? Europameisterschaften? Lea wiegelt im Gespräch ab.

Lea Merscher: Titel sind mir jetzt eigentlich gar nicht so wichtig. Zumal die Situation Europaweit recht unübersichtlich ist. In Deutschland gibt es zwei wichtige Verbände: Den Deutschen Pole Sport Verband, der rein sportlich auftreten möchte und auch die Anerkennung als Sportverband anstrebt, und dann Galas wie „Crazy Pole“, bei denen „Pole Art“ im Mittelpunkt steht.

Sören Heim: Wie unterscheiden sich Pole Sport und Pole Art denn konkret?

LM: Eigentlich erkennt man das beim ersten Hinschauen. Die reinen Sportler tragen eher praktische Sportkleidung wie etwa Bodenturner, bewertet wird die saubere Ausführung verschiedener Figuren und Tricks. Solche Figuren fließen auch bei Pole Art in die Bewertung ein, gleichzeitig geht es aber darum, tänzerisch eine Geschichte zu erzählen, wie im Ballett zum Beispiel. Pole Art ist Performancekunst. Aber natürlich sportlich ebenso herausfordernd.

„Pole Art ist Performancekunst“

SH: Ein sonderlich bekannter oder gar verbreiteter Sport ist Pole Dance ja nun nicht? Wie kamen Sie überhaupt auf die Idee, sich daran zu versuchen?

LM: In den USA ist der Sport deutlich bekannter, obwohl sich in Deutschland in den letzten Jahren doch einiges getan hat. Wie kam ich dazu – ich habe mich früher eigentlich nie sportlich betätigt, wollte aber schon immer gerne etwas tänzerisches machen. Nach verschiedenen Versuchen bin ich in einem Schnupperkurs bei Frankfurt gelandet. Im Studio Dance Line Wiesbaden hat sich die Leidenschaft dann verfestigt. In den letzten zwei Jahren kann man sagen dass ich etwa 15 Stunden pro Woche trainiere.

SH: Und was reizt am Pole Dance?

LM: Die Bewegung, das harte Ganzkörpertraining, klar. Aber besonders auch das entwickeln der Choreografien zwischen den zwei Stangen. Das Erzählen einer Geschichte mit dem Ziel, den Zuschauer auch emotional zu berühren. Als Tänzerin entwickle ich die Grundzüge meiner Choreografie selbst, meine Trainerin Andrea Britt-Dillenberger, wirklich eine Topchoreografin, berät mich dann.

SH: Und im reinen Pole Sport können Sie sich sich gar nicht vorstellen?

LM: Nein, was das betrifft bin ich ein Bühnenmensch. Von mir aus könnte man ruhig auch den Wettkampfcharakter von Pole Art noch stärker zurückfahren. Ich will mit der Performance begeistern und habe eigentlich nie für Siege trainiert. Das kam dann mehr nebenbei. Ich sehe da wirklich große Parallelen zu Ballett, oder anderen Formen von Ausdruckstanz.

„Nein, ich ziehe mich nicht für Geld aus“

Der Deutsche Pole Sport Verband (DSVP) wurde 2010 gegründet, und ist im Bestreben als Sportverband anerkannt zu werden akribisch drauf bedacht, alle Verbindungen zur als „anrüchig“ empfundenen Herkunft vom Tanz an der Stange in Nachtklubs abzubrechen. Eher wird da schon auf Chinesische Akrobatik am Mast verwiesen. Auf Wikipedia wird unter anderem (allerdings ohne Quelle) kolportiert, der Verband teile vor Meisterschaften allen Teilnehmern per Rundschreiben mit, das „Blicken lassen von Intimbereichen (auch unabsichtlich)“ sei verboten und führe zur Disqualifikation. Aber die Vorstellung, dass Pole Dance und Striptease quasi Synonyme sind, scheint sich doch hartnäckig zu halten. Oder sind das eher Witzeleihen unter Freunden?

LM: Nein, mein Facebook-Post war schon ernst gemeint. Nicht wenige Bekannte waren anfangs wirklich schockiert und dachten, ich zöge mich nun für Geld aus. Von Zeit zu Zeit kommen solche Missverständnis immer wieder auf, weshalb ich, wenn ich über mein Hobby spreche, mittlerweile betone: Pole Dance – aber ohne ausziehen.

SH: Aber dass es ein anregender Anblick ist, wenn eine sportliche attraktive junge Frau an Stangen tanzt, kann man doch nicht leugnen, oder? Darum, dass Zuschauer das „heiß“ finden, kommt man doch, sagen wir mal, nicht herum?

LM: Das finde ich auch nicht schlimm. Zu aller erst: Ich finde man sollte das Tanzen im Nachtklub ebenfalls respektieren, aber was wir machen ist doch etwas anderes. Ansonsten: Beachvolleyball schaut sich auch nicht jeder wegen des Punktestandes an. Eiskunstlauf. Wettbewerbe in lateinamerikanischen Tänzen. Natürlich kann Tanz seine körperlichen Reize nicht verleugnen – jede Art von Tanz.

SH: Die Outfits die bei Pole Art getragen werden, tragen auch ihren Teil bei…

LM: Wir zeigen viel Haut. Aber das hat tatsächlich sportliche Gründe. Textilien haben an der Stange keinen Halt. Es braucht den natürlichen Widerstand der Haut, damit man nicht abrutscht.

SH: Stichwort abrutschen – So elegant es von außen aussieht: Ich stelle mir Pole Dance relativ schmerzhaft vor.

Von Schmerzen und Lästereien

LM: Gerade am Anfang ist es das. Allein die erste Übung, der Pole Seat – man sitzt mit überschlagenen Beinen an der Stange – tut höllisch weh an den Innenseiten der Oberschenkel und gibt kräftig blaue Flecken. Und klar, wenn man abrutscht tut es weh, wenn man falsch greift und zu viel Kraft aufwendet tut es weh. Wenn wir Pole Dancerinnen uns treffen vergleichen wir schon mal Flecken, Striemen, und wunde Hände. Aber wir tragen diese Blessuren mit Stolz.

SH: Um nochmal auf das eingangs zitierte Vorurteil zurückzukommen – wenn Sie dann ihren Sport genau erklärt haben, hat aber niemand mehr damit Probleme?

LM: Oh, das ist ganz unterschiedlich. Vor kurzem habe ich mit einer älteren Frau darüber gesprochen, die war ganz begeistert und wollte unbedingt einen meiner Auftritte sehen. So hat sie dann auch mal einen seltenen Ausflug auf YouTube unternommen. Auf der anderen Seite: Gerade von jüngeren Frauen wurden schon mal Gerüchte gestreut, wobei dann im Einzelgespräch nicht selten deutlich wird – eigentlich würden die es einfach auch gern mal mit Pole Dance versuchen. Männer finden es zwar auf der Bühne cool, aber machen schon auch dumme Sprüche.

SH: Ernsthaft? Wieso?

LM: Naja, meist ist das dann wohl doch eher scherzhaft gemeint.

Das Klischee über Kung Fu- und Karate-Filme will, dass ein kleiner Kämpfer irgendwo unbeteiligt in der Ecke steht – von ihm weiß man schon im Voraus: er wird noch wichtig. Er ist überhaupt der stärkste Kämpfer von allen. Zumindest, wenn man den Simpsons glauben darf. So ähnlich fiel mir Lea im Publikum eines Showtanzabends auf. Die ganze Haltung, die Art wie Lea sich fortbewegte. Ohne dass das Programm bekannt gewesen wäre war klar: dort sitzt, geht, steht der Höhepunkt des Abends.

Der Sport verändert dich

LM: Die Auswirkungen, des Sports auf meine Haltung sind wirklich unglaublich. Wahrscheinlich nicht nur äußerlich, auch innerlich: Man tritt der Welt ganz anders gegenüber. Ich merke das auch bei meinen Mädels, anfangs stehen sie ganz zusammengesunken vor mir, hängende Schultern, Kopf nach unten – nach ein paar Trainingseinheiten sieht das schon viel besser aus.

Pole Cover

SH: Ihre Mädels?

LM: Ich trainiere Tänzerinnen in Wiesbaden. Erst nur Schnupperkurse, dann auch Fortgeschrittene. Und man kann in diesem Sport wirklich schnell Fortschritte machen, gerade wenn man schon sportlich ist, zum Beispiel vom Turnen kommt oder von anderen Formen des Tanzes. Aber auch von Null anfangen geht. So war es ja bei mir auch.

SH: Und wer kommt zu Ihren Kursen?

LM: Frauen, die einfach was Neues ausprobieren wollen. Klar, auch Frauen, die vielleicht lernen möchten sexy an der Stange zu tanzen, oder Frauen, die gehört haben was für ein tolles Ganzkörpertraining Pole Dance ist. Ganz unterschiedlich. Und den meisten sieht man schon im ersten Kurs an, ob sie dabei bleiben. Und wer dabei bleibt, fährt vielleicht schnell genauso darauf ab wie ich.

SH: Sie sagen „Frauen“ – tanzen Männer nicht an Stangen?

LM: Bei uns im Studio nicht, generell gibt es das aber schon. In Brno habe ich zum Beispiel José Rodrigues kennen gelernt, einen Balletttänzer der auch Pole Art betreibt. Und auf einem unglaublich hohen Niveau!

SH: Wie geht es denn nun für Sie weiter? Auch nächstes Jahr stehen ja wieder Meisterschaften an.

LM: Erstmal müssen jetzt Verletzungen auskuriert werden, unter anderem zwei Zerrungen, die ich schon nach Brno mitgebracht hatte. Dann muss ich wieder ordentlich ins Training kommen, ob es noch reicht um sich für die Wettkämpfe im nächsten Jahr zu qualifizieren wird man sehen. Ansonsten möchte ich öfter rein als Bühnenkünstlerin auftreten, die Faszination Pole Art verbreiten. Und mein BWL Studium soll bei alledem natürlich auch nicht zu kurz kommen.

Pole Dance ist, ob als Pole Sport oder Pole Art ein junger Sport, und hat Chancen, sich in Zukunft zum veritablen Trend zu entwickeln. Gerade dass Pole Art seine Herkunft von Nachtklub und Varieté zwar übeschreitet, sie aber nicht komplett verleugnet, könnte den Darbietungen ein immer breiteres Publikum erschließen. Denn seien Sie ehrlich, lieber Leser: Haben nicht vielleicht auch Sie den Artikel in erster Linie wegen der Bilder angeklickt? Und am Ende einige interessante Einblicke in einen beachtenswerten Sport gewonnen?

* Fortan Vorname auf Wunsch von Lea Merscher

Lesen Sie weitere Kolumnen von Sören Heim

Sören Heim

Sören Heim ist Journalist, Übersetzer und Schriftsteller. Er ist Träger des kosovarischen Preises für moderne Dichtung „Pena e Anton Pashkut“ (Stift des Anton Pashku) und des Sonderpreises „Favorit von Daniel Glattauer“ der art.experience 2014. In HeimSpiel schreibt Sören Heim mit Heimvorteil zu den Schnittpunkten von Kunst, Kultur und Gesellschaftspolitik. Er beleuchtet die unerwartete Bedeutung ästhetischer Fragestellungen für zeitgenössische Debatten, die mit Kunst auf den ersten Blick kaum Berührungspunkte haben. Und wo immer, sei es in der Politik, sei es in der Ökonomie, sei es gar im Sport, er auf geballten Unsinn und Unverstand trifft, wagt der Kolumnist auch das ein oder andere Auswärtsspiel. Bisher erschien die Kolumne HeimSpiel im Online-Debattenmagazin The European. Daneben veröffentlicht Heim in mehreren Literaturzeitschriften vornehmlich Lyrik und dichte Kurzprosa, und bloggt auf der eigenen Homepage aus seinem Zettelkasten. Monographien: Kleinstadtminiaturen: Ein Roman in 24 Bildern. Girgis Verlag: 2016 – ISBN: 978-3939154181.Cover nur Front Gewogene Worte: Nachdichtungen aus dem Chinesischen. edition maya: 2016 – ISBN: 978-3930758463.cover kathaStrophen. Experimente in Rhythmus und Melodie. Chiliverlag: 2017 -ISBN: 978-3943292541.FrontCover 2_bleu Algenhumor: Gedichte für das dritte Jahrtausend. Girgis Verlag: 2016 – ISBN: 978-3939154228.algen Audio-Exklusiv: La vie! La jeunesse! – Hörmordkartell 2017

More Posts - Website

Follow Me:
TwitterFacebook

Schreibe einen Kommentar zu sh Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert