Welche Freiheit?

„Freiheit“ ist ein schillernder Begriff, den viele für sich mit Beschlag belegen. Aber welche Freiheit wollen wir eigentlich?


Im Sommer hat sich die Friedrich August von Hayek Gesellschaft, nachdem es unter der Oberfläche wohl schon länger gärte, in einem spektakulären Akt der Selbstzerfleischung gespalten. „Wo nur kommt der Brass auf Ausländer in den eigenen Reihen her? Woher dieses Schönreden von Diskriminierung? Die Ausfälligkeiten gegenüber Gleichstellung, Inklusion und Integration? Die Sticheleien gegen Homosexuelle? (…) Die schrillen Aufrufe zur „Re-Evangelisierung des Abendlandes“ fragte die ehemalige Vorsitzende Karen Horn.

Damit fügt sich die Hayek-Gesellschaft ein in eine Reihe öffentlich wirksamer Zerfallsprozesse dessen, was bisher als das bürgerlich-liberale politische Spektrum wahrgenommen wurde. Zuvor verzeichnete schon die erfolgreiche Internetplattform „Die Achse des Guten“ zahlreiche Abgänge, darunter den Mitherausgeber Michael Miersch, der sich ähnlich wie Horn äußerte:

„Ich möchte mich nicht mehr täglich ärgern, wenn Menschen verbal ausgegrenzt und herabgesetzt werden, weil sie als Moslems geboren wurden (…) Ich finde es auch nicht lustig, wenn auf der Achse behauptet wird, die EU ähnele immer mehr der UdSSR (…) Mir missfällt das reflexhafte Eindreschen auf alles, was unter dem Verdacht steht, „links“ zu sein. (…) Gelassenheit und Distanz – zwei wichtige journalistische Tugenden – sind verloren gegangen. “.
Am deutlichsten aber wurde der Rechtsruck innerhalb der Alternative für Deutschland. Auch hier entfaltete sich ein ganz ähnliches Muster.

Ungeliebtes Stiefkind der Aufklärung?

Diese Prozesse stehen zusammengenommen für ein generelles Problem innerhalb des modernen Liberalismus, der darunter leidet, dass kaum je definiert, noch vernünftig geklärt wird, was wir unter „freiheitlich“ eigentlich verstehen möchten. Das Etikett „liberal“ nehmen dann auch viele für sich in Anspruch, vom wirtschaftsfreundlichen Flügel der CDU, über die Grünen, von einzelnen meist isolierten Denkern in der Tradition des klassischen Liberalismus nach Locke, Mill und Voltaire über Hayekianer und Nachfolger Ludwig Mises bis hin zu Freunden des Diktators Pinochet in den siebziger und achtziger Jahren.

Selbst ein Bernd Lucke, der doch dezidiert erklärte „Ich bin kein Liberaler“ konnte sich des Etiketts nicht erwehren. Riefen doch behauptete Wirtschaftsnähe der frühen AfD und der professoralen Habitus beinahe alle Klischees auf, die man mit dem Liberalismus verbindet. So steckt denn der Liberalismus in einem handfesten Dilemma: Er wird auch von illiberalen Gruppierungen vereinnahmt und erstickt in Grabenkämpfen und unsäglicher „Untergang des Abendlandes“ – Rhetorik.

Auf der anderen Seite gestehen noch die größten Gegner dieser Strömungen dem Liberalismus zu, dem Ideal nach einer der, wenn nicht der wesentliche Grundpfeiler der westlichen Gesellschaft zu sein. Ausgerechnet der Liberalismus ist so das ungeliebte Stiefkind der Aufklärung.

Freiheit könnte so einfach sein.

Dabei klingt die Sache so einfach. Das Ziel des Liberalismus ist die größtmögliche Freiheit des Einzelnen. So stellten sich frühe Liberale gegen die Zumutungen des Absolutismus und standen damit nicht selten an der Seite der noch etwas jüngeren Arbeiterbewegung. Die freie Entfaltung der eigenen Lebensgestaltung, die freie Äußerung der eigenen Meinung, eine freie Gesellschaft, in der der Kantschen Vorstellung nach die Freiheit des Einzelnen dort endet, wo die anderer anfängt. Allein darüber, was das bedeutet, ließe sich allerdings stundenlang diskutieren, wurde auch Jahrhunderte lang ohne abschließendes Ergebnis diskutiert. Aber prinzipiell? Kann man prinzipiell gegen die Freiheit sein?
Man kann in jedem Fall, das beobachten wir immer wieder. Weil es Sicherheit vorgaukelt.

Hermeneutischen Vorgaben

Alle großen politischen Richtungen bieten bestimmte Projektionsflächen mit hermeneutischen Vorgaben. Der klassische Sozialdemokrat (auch so eine aussterbende Art) weiß in etwa, wofür er zu stehen hat und wogegen. Er steht auf der Seite der organisierten Arbeiterschaft, setzt sich für Teilhabe der Schwachen gegen die Mächtigen ein und findet sich selbst stets, indem er den Gegner bestimmt.

Der Konservative dagegen verwaltet das Bestehende, versucht es womöglich im Kleinen Schritt für Schritt noch zu optimieren, und wo immer er gut leben kann, findet er sein natürliches Umfeld.

Sozialdemokraten und Konservative wissen stets in etwa, nach welchem Mustern sie Gesellschaft zu lesen haben. Der Liberale muss dagegen zuerst sich selbst lesen lernen, ehe er den Entwurf des eigenen Selbst mit Leben füllt. Er ist mit der Freiheit alleingelassen und muss zudem damit zurechtkommen, dass die freie Entfaltung unterschiedlicher Menschen zu ganz unterschiedlichen, ja gegenläufigen Lebensentwürfen führen kann. Gerade hiermit haben wohl auch viele moderne Liberale Probleme, die sich einen anderen Lebensentwurf als „Erfüllung durch Arbeit“ kaum vorstellen können.

Freiheit kann eine Belastung sein, wenn die Möglichkeiten zur Ausgestaltung nicht gesehen werden. Der Zwang, immer wieder eigene Entscheidungen zu treffen, erscheint dann als Bedrohung. Der Liberalismus überlässt uns der Freiheit, und heute sehen sich darin viele Menschen verlassen. Und viele können das Wort Freiheit schon gar nicht mehr hören.

Liberalismus – Zu Tode gesiegt ?

Diese Freiheitsmüdigkeit ist sicher auch darin mitbegründet, dass der Liberalismus sich in einigen gesellschaftlichen Bereichen zu Tode gesiegt hat. Ob Personenfreizügigkeit nicht nur innerhalb dieses Landes sondern sogar größtenteils innerhalb Europas oder freie Schul- und Berufswahl. Diese heutigen Banalitäten sind Errungenschaften eines liberalen Politikverständnisses. Übrigens auch die freie Sexualität, die freie Partnerwahl, das Recht mit jedem zusammenzuleben, mit dem ich zusammen leben möchte.

Im Großen und Ganzen lebt der Mensch heute freier als noch vor 50, wahrscheinlich auch noch vor 25 Jahren. Doch macht etwa die Freiheit des Liebeslebens auch die Fallstricke deutlich. Jugend und Adoleszenz sind chaotischer geworden, mehrere Studien legen nahe, dass gerade die heutige junge Generation im Gegensatz zu früheren nach stabilen Lebensentwürfen dürstet. Ein Bedürfnis, das über die Liebe weit hinausgeht.

Freiheitsmüdigkeit und „freiwilliger Konformismus“.

Wer sich dem Liberalismus in Übereinstimmung mit dessen aus der französischen Revolution tradierten Idealen verpflichtet fühlt, darf über all diese Probleme nicht leichtfertig hinweg gehen. „Liberté! Egalité! Fraternité!“. Hinter diesen hehren Forderungen steht schon immer die Vorstellung einer Gesellschaft freier Individuen, die sich zum eigenen Vorteil gesellschaftsvertraglich zusammenschließen.

Der mündige Mensch ist der Adressat liberaler Ideen, doch der mündige Mensch ist kein bei Geburt fertiger, sondern ein werdender. Deshalb setzt jede ernsthafte liberale Staatstheorie nicht nur einen staatlichen Ordnungsrahmen voraus, der die Liberté des freien Wettbewerbs so überformt, dass diese den Kantschen Beschränkungen genügt und nicht zu einem selbstzerstörerischen Kampf ums Dasein wird. Auch die Egalité will entsprechend wohl verstanden werden: nicht nur als Gleichheit vor dem Gesetz, sondern auch als zumindest annähernde Chancengleichheit in der persönlichen Entfaltung.

Bildung! Dieses Wort gilt es immer wieder zu betonen. Einem jeden den (staatlichen) Zugang zu Bildung zu gewährleisten ist nicht unfreiheitlich oder gar „sozialistisch“, sondern die Bedingung der Möglichkeit einer Gesellschaft tatsächlich freier Individuen. Dazu kann es auch gehören – hier kommt die Fraternité ins Spiel – Menschen, deren Lebensweg sich als Sackgasse erweist, neue Chancen und Möglichkeiten aufzuzeigen. Zuviel Angst vor falschen Entscheidungen begünstigt freiwilligen Konformismus (übrigens ein Schlüsselwort des Hayekschen Freiheitsbegriffes). Und wo die vielbeschworene Freiheit am Ende doch nur in gesellschaftliche Monotonie und Unterwerfung unter „alternativlose“ Sachzwänge mündet, darf man sich nicht wundern, wenn die Bürger in freier Entscheidung im Schoß von Mutti Merkel landen.

Bei zu viel „freiwilliger“ Konformität wählt man im nächsten Anlauf sogar womöglich der Einfachheit halber gleich die offen totalitäre Alternative.

Aporien, Paradoxa, Ideale

Natürlich sind gerade in den letzten beiden Dekaden eine Fülle an illiberalen, durch keinen vernünftigen staatlichen Ordnungsrahmen zu rechtfertigende, oft heftig in die individuelle Lebensführung eingreifende Regulierungsmaßnahmen aufgekommen. Es wird erzieherisch, und nicht die Freiheit des einzelnen sichernd, ins Leben eingegriffen. Viele weitere solcher Maßnahmen werden forciert. Einige, wie etwa das Rauchverbot, vorangetrieben von starken Interessensgruppen und mit zumindest stillschweigender Unterstützung der Mehrheit, die dabei dem Selbstverständnis nach ein Mehr an Freiheit unterstützt.

Es ist das alte, schon von de Tocqueville ausgemachte Paradoxon, „dass sich mit dem Abbau sozialer Ungerechtigkeiten gleichzeitig die Sensibilität gegenüber verbleibenden Ungleichheiten erhöht“. Diese Wahrnehmung führt dazu, dass Freiheit tendenziell gegenüber einer immer weiter reichenden Ergebnisgleichheit ins Hintertreffen gerät. Denn wenn der Ordnungsrahmen doch schon seit langem im Großen und Ganzen verwirklicht ist, wir in einem gefestigten bürgerlichen Rechtsstaat leben, und dennoch die Welt nicht perfekt ist – müsste man doch noch ein bisschen mehr machen, oder?

Nein: Es ist dieses Mehr, aus dem der Paternalismus erwächst, der die Freiheit erdrosselt.

Erbschaften abschaffen?

Ein wenig mehr leben und leben lassen, allen Idealen zum Trotz ein Sinn fürs Pragmatische. Das wäre heutigen Gleichheitseiferern ebenso anzuraten wie besonders verbohrten „Liberalen“. Denn Idealismus führt in seiner Reinform notwendig auf Aporien. Ein Beispiel zum Schluss aus meinem eigenen „Forderungskatalog“:

Ich vertrete die im Text dargelegte Überzeugung, dass eine wirklich freie Gesellschaft nur möglich ist, wenn jeder die Möglichkeit hat, sich von Geburt an frei zu entfalten. Dem steht aber jegliche Erbschaft im Weg, die schon für unterschiedliche Startvoraussetzungen sorgt. Deshalb plädiere ich gerne provokativ für eine Erbschaftssteuer von 100 % und radikale Umverteilung zwischen Geburt und Tod. Ich halte das für konsistent aus dem liberalen Ideal der Chancengleichheit hergeleitet.

Und dennoch kann man mir mit gleichem Recht entgegnen, nur der vollständige Wegfall jeglicher Erbschaftssteuer sei liberal, da die persönliche Freiheit verlange, den Einzelnen frei über sein Vermögen auch nach dem Tode verfügen zu lassen. Beide Positionen lassen sich nicht so ausdiskutieren, dass am Ende eine den Sieg davonträgt. Sie lassen sich nur in Kompromissen gesellschaftlich vermitteln. Auch das zu akzeptieren und nicht mit dem Kopf durch die Wand zu wollen gehört zu meinem freiheitlichen Selbstverständnis.

Hasso Mansfeld

Mit seinen Kampagnen Ostpakete für den Westen und Bio goes Lifestyle setzte Hasso Mansfeld gesellschaftliche Akzente. Er ist Diplom-Agraringenieur und fand durch seine Karriere in der Markenartikel-Industrie zur Publizistik. Viermal wurde er mit dem deutschen PR-Preis ausgezeichnet. Gemeinsam mit Christoph Giesa organisierte er die Facebookkampagne „Joachim Gauck als Bundespräsident“ und hat die liberale Ideenschmiede FDP Liberté im Netz initiiert. Mansfeld trat als Kandidat der FDP für die Europawahl an. Hasso Mansfeld arbeitet als selbstständiger Unternehmensberater und Kommunikationsexperte in Bingen am Rhein.

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