Zwischen Freiheit und Ordnung – Streikrecht in Deutschland
Die dauernden Streiks der GDL führen zu zunehmendem Unmut. GDL-Chef Weselsky scheint das nicht zu kümmern. Nun gibt es Rufe nach einer gesetzlichen Regelung. Eine Kolumne von Heinrich Schmitz.
Bild von Gerd Altmann auf Pixabay
Wenn man den Gesprächen von Passanten zuhört, fällt zunehmend der Name Weselsky in engem zeitlichen Zusammenhang mit den Worten: übertrieben, unverschämt, unzumutbar. Und ja, die dauernden Streiks der GDL nerven nicht nur Bahnkunden.
Wegen einer Stunde
Und da fragt man sich schon, ob es legitim ist, ein ganzes Land alle naslang mehr oder weniger lahmzulegen. Wenn ich das jetzt alles richtig mitbekommen habe, sind sich Bahnvorstand und GDL beim Thema Arbeitszeitverkürzung bis auf eine Stunde pro Woche näher gekommen. Und trotzdem soll weiter gestreikt werden. Und zwar nicht mehr normal, sodass die Bahn sich vorbereiten und Notfallpläne erstellen kann, sondern mit sogenannten Wellenstreiks, also mehr oder weniger kurzfristig angekündigt. Für Bahn und Kunden eine Zumutung, ja; und mit welchem Ziel?
Also schlägt die CDU ein Streikgesetz vor, in dem künftig geregelt werden soll, wann ein Streik unverhältnismäßig ist. Die FDP ist nicht abgeneigt, und wenn Weselsky so weiter an seinem Nachruhm arbeitet, wird auch ein großer Teil der Bevölkerung, sofern nicht in einer Gewerkschaft organisiert, dem zuneigen.
Grundrecht
In Deutschland ist das Streikrecht ein zentraler Bestandteil der Arbeitsbeziehungen und ein grundlegendes Instrument für Arbeitnehmer, um ihre Interessen zu vertreten.
Es wird aus Art. 9 GG hergeleitet:
Art. 9
(1) Alle Deutschen haben das Recht, Vereine und Gesellschaften zu bilden.
(2) Vereinigungen, deren Zwecke oder deren Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten, sind verboten.
(3) Das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, ist für jedermann und für alle Berufe gewährleistet. Abreden, die dieses Recht einschränken oder zu behindern suchen, sind nichtig, hierauf gerichtete Maßnahmen sind rechtswidrig. Maßnahmen nach den Artikeln 12a, 35 Abs. 2 und 3, Artikel 87a Abs. 4 und Artikel 91 dürfen sich nicht gegen Arbeitskämpfe richten, die zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen von Vereinigungen im Sinne des Satzes 1 geführt werden.
Selbstverständlich könnte auch dieses Grundrecht durch ein Gesetz eingehegt werden. Doch die Frage, ob das Streikrecht gesetzlich geregelt werden sollte oder nicht, ist eine Debatte, die sowohl die Gewerkschaften als auch die Arbeitgeber und die Politik spaltet. Während Befürworter einer gesetzlichen Regelung argumentieren, dass dies zu mehr Klarheit und Fairness führen würde, warnen Gegner vor einer Einschränkung der individuellen Freiheit und Flexibilität. Schauen wir uns die Argumente genauer an.
Das Streikrecht ergibt sich unmittelbar aus dem Grundgesetz und ist ansonsten bisher nicht gesetzlich geregelt. Was es an Regeln gibt, ist durch Richterrecht, insbesondere des Bundesverfassungsgerichts, entstanden.
Für eine gesetzliche Regelung spricht vor allem die Notwendigkeit, klare Rahmenbedingungen für Streiks zu schaffen. Aktuell basiert das Streikrecht in Deutschland eben weitgehend auf der Rechtsprechung und den Vereinbarungen zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften. Dies führt oft zu Unsicherheiten und Streitigkeiten über die Zulässigkeit von Streiks, vornehmlich in Branchen, in denen Tarifverträge wenig verbreitet sind. Eine gesetzliche Regelung könnte hier sicher Klarheit schaffen und die Rechte sowohl der Arbeitnehmer als auch der Arbeitgeber deutlicher definieren.
Verhältnismäßigkeit
Außerdem könnte eine gesetzliche Regelung dazu beitragen, die Verhältnismäßigkeit von Streiks sicherzustellen. Kritiker argumentieren häufig, dass Streiks zu schnell und zu leichtfertig eingesetzt werden, ohne ausreichende Rücksichtnahme auf die Folgen für Unternehmen und die Gesellschaft insgesamt. Durch gesetzliche Vorgaben könnten bestimmte Kriterien festgelegt werden, die erfüllt sein müssen, bevor ein Streik rechtlich zulässig ist. So wären z.B. Zwangsschlichtungen denkbar, die vor einem Streik versucht werden müssten. Erst wenn diese Schlichtungsgespräche scheitern, dürfte dann die Arbeit niedergelegt werden. Dies könnte helfen, wilden Streiks vorzubeugen und die Verhandlungsbereitschaft beider Seiten zu fördern.
Auf der anderen Seite gibt es jedoch auch starke Argumente gegen eine gesetzliche Regelung des Streikrechts. Ein zentraler Punkt ist die Gefahr, dass eine gesetzliche Regulierung die Flexibilität und Dynamik der Arbeitsbeziehungen einschränken könnte. Arbeitskonflikte sind oft komplex und individuell, und starre gesetzliche Vorgaben könnten dazu führen, dass die Parteien weniger in der Lage sind, auf ihre spezifischen Bedürfnisse einzugehen. Dies könnte letztendlich zu einer Verhärtung der Fronten und zu längeren, eskalierenden Konflikten führen.
Schwächung der Gewerkschaften
Ein weiteres Argument gegen eine gesetzliche Regelung ist die Befürchtung, dass diese die Verhandlungsmacht der Gewerkschaften schwächen könnte. Gewerkschaften spielen eine wichtige Rolle dabei, die Interessen der Arbeitnehmer zu vertreten und für gerechte Arbeitsbedingungen zu kämpfen. Eine zu starke Regulierung des Streikrechts könnte ihre Handlungsfähigkeit beeinträchtigen und ihre Möglichkeiten einschränken, wirksamen Druck auf die Arbeitgeber auszuüben.
Insgesamt ist die Frage nach einer gesetzlichen Regelung des Streikrechts in Deutschland eine komplexe und höchst kontroverse Angelegenheit. Beide Seiten haben gültige Argumente, und eine endgültige Lösung wird wahrscheinlich nur durch einen ausgewogenen Kompromiss erreicht werden können, der die Bedürfnisse und Interessen aller Beteiligten berücksichtigt. Es bleibt abzuwarten, ob und wie sich die Debatte in Zukunft entwickeln wird. Bis dahin werden Arbeitskämpfe und Streiks weiterhin ein wesentlicher Bestandteil der deutschen Arbeitskultur bleiben.
Mag sein, dass die Härte, mit der Weselsky seine GDL durch die Tarifverhandlungen führt, zum Ergebnis hat, dass die Streiks der Bevölkerung derart auf die Klötze gehen, dass er zwar als nerviger Gewerkschaftsführer in die Geschichte eingeht, aber auch als derjenige, der dafür gesorgt hat, dass das Streikrecht gesetzlich geregelt wird.
Ich bin mir allerdings sicher, dass derartige Gesetzgebungsideen von den Gewerkschaften mit vereinten Kräften vom Tisch gestreikt würden. Das mag zwar unzulässig sein, es ist aber nach wie vor wirksam.