Früher war alles besser?

Heinrich Schmitz beschäftigt sich mit der Frage, ob früher alles besser war, und ob ChatGPT diese Frage beantworten kann. Die Samstagskolumne.


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„Früher war alles besser“ habe ich in den letzten Tagen immer wieder gehört – und mich gefragt, wieso offenbar so viele Menschen das glauben. Da wir in Zeiten der künstlichen Intelligenz leben, habe ich spaßeshalber mal das neue Spielzeug Namens Chat GPT befragt und folgende erstaunliche Antwort erhalten:

Es ist eine häufig diskutierte Frage, ob die Vergangenheit besser war als die Gegenwart oder Zukunft. Viele Menschen glauben, dass die Vergangenheit golden war und die Gegenwart oder Zukunft nicht so gut ist. Andere glauben, dass die Vergangenheit nicht so gut war und die Gegenwart oder Zukunft besser ist.

Es gibt jedoch keine einfache Antwort auf diese Frage, da es darauf ankommt, welche Aspekte man betrachtet und aus welcher Perspektive.

Einerseits gibt es gute Gründe, warum manche Leute glauben, dass die Vergangenheit besser war. Zum Beispiel, gab es in der Vergangenheit weniger Kriminalität, weniger Umweltverschmutzung und weniger Stress im Alltag. Es gab auch mehr soziale Gerechtigkeit und weniger soziale Probleme.

Nun ja. So weit, so schlecht. So besonders intelligent scheint diese KI nicht zu sein, denn zumindest bezogen auf die Vergangenheit erzählt sie einen ziemlichen Bullshit.

Das Märchen, dass es in der Vergangenheit weniger Kriminalität gab, wird schon von der Statistik widerlegt. Dennoch glauben offenbar immer mehr Menschen, dass die Kriminalität zugenommen hat, warum auch immer.

Dat Wasser vun Kölle

Dass es in der Vergangenheit weniger Umweltverschmutzung gegeben hat, kann auch nur glauben, wer z.B. den Rhein oder andere tote Flüsse in den 60er Jahren nicht gesehen und gerochen hat. Erst seit den 70er Jahren wurden längs des Rheins Kläranlagen aufgebaut und die Wasserqualität kontinuierlich verbessert. Heute schwimmen da neben E-Scootern sogar wieder lebende Fische. Das bedeutet natürlich nicht, dass aktuell die Belastung mit Mikroplastik kein ernstzunehmendes Problem wäre, aber in den 60ern und früher hätte sich das Plastik vermutlich in der stinkenden Chemiebrühe aufgelöst. Heute kann man in den meisten deutschen Flüssen wieder schwimmen, ohne dass sich die Haut in Fetzen ablöst.

Dass es weniger Stress im Alltag gab, kann ich persönlich nicht beurteilen. Ich weiß aber, dass mein Vater früher 60 Stunden und mehr arbeitete und abends schon reichlich platt war. Und dann gab es sage und schreibe zwei TV-Programme zur Entspannung und die zunächst noch in schwarz-weiß.

Die KI-blöde Behauptung, es habe mehr soziale Gerechtigkeit gegeben, ist nun völlig ohne reale Grundlage. Auf so einen Blödsinn kann man nur kommen, wenn man z.B. die Frauen komplett ausblendet. Zwar stand die Gleichberechtigung seit 1949 im Grundgesetz, aber das war halt erst nur geduldiges Papier. Bis 1958 durften die Frauen nicht einmal selbst über ihr Vermögen verfügen. Das machten erst der Vater und dann der Ehemann. Wenn sie einen Führerschein machen wollten, musste der Ehemann das erlauben. Bis 1977 durfte die Frau nur dann berufstätig sein, wenn dies mit ihren Pflichten in Ehe und Familie vereinbar war. Und ob das der Fall war, bestimmte selbstverständlich der Mann.

Die Frau konnte sich das schön saufen mit Frauengold, um „über den Dingen zu stehen“.

Erst seit 1997 gelten erzwungene sexuelle Handlungen auch in der Ehe als sexuelle Nötigung bzw. Vergewaltigung. Vorher waren sie nur als einfache Nötigung strafbar und wurden faktisch nicht verfolgt. Ja, da hat der Mann natürlich recht, wenn er behauptet, früher habe es mehr Freiheiten gegeben. Allerdings nur für ihn.

Auch Homosexuelle werden wohl dem Spruch, dass früher alles besser war, nicht zustimmen.

Seit Gründung der Bundesrepublik waren homosexuelle Handlungen, wie schon bei den Nazis, strafbar und wurden auch hart verfolgt. Basis war der § 175 des Strafgesetzbuches. Die Frankfurter Homosexuellenprozesse in den frühen 50er Jahren, waren eine Schande für den Rechtsstaat. Und auch das Bundesverfassungsgericht machte zu dieser Zeit eine reichlich beschissene Figur. Am 10. Mai 1957 entschied es:

1. Die Strafvorschriften gegen die männliche Homosexualität (§§ 175 f. StGB) verstoßen nicht gegen den speziellen Gleichheitssatz der Abs. 2 und 3 des Art. 3 GG, weil der biologische Geschlechtsunterschied den Sachverhalt hier so entscheidend prägt, daß etwa vergleichbare Elemente daneben vollkommen zurücktreten.

2. Die §§ 175 f. StGB verstoßen auch nicht gegen das Grundrecht auf die freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 GG), da homosexuelle Betätigung gegen das Sittengesetz verstößt und nicht eindeutig festgestellt werden kann, daß jedes öffentliche Interesse an ihrer Bestrafung fehlt.

Dass es sich dabei um nationalsozialistisches Unrecht handelte, wollte das höchste deutsche Gericht nicht erkennen. Lesen Sie mal, was man in der guten alten Zeit so von Menschenrechten hielt.https://openjur.de/u/363843.html

Erst 1994, vor also nicht einmal 30 Jahren, wurde der § 175 StGB vom Bundestag aufgehoben. Bei der Gleichstellung ist gesellschaftlich auch noch Luft nach oben, aber immerhin.

Nun mag es ja sein, dass gerade das manchem, der von der guten alten Zeit faselt, ein Dorn im Auge ist und er sich wünscht, dass diese verkommene „Moral“ der Spießerjahre möglichst wieder zurückkommt. Das wird aber hoffentlich eine Minderheit rückwärtsgewandter Menschen sein.

Ja, vielleicht fanden die es toll, wenn sie nicht nur Ernst einen Neger nennen durften, ohne dass jemand ihnen widersprach. Auch heute gibt es noch Rassisten, aber der Rassismus ist nicht mehr so leicht zu praktizieren.

Morgen Kinder wird’s was geben

Auch Kindern ging es früher nicht wirklich besser. Zunächst einmal hatten die Eltern ein Züchtigungsrecht. Liebe gleich Hiebe. War natürlich voll christlich von der Bibel abgesegnet:

Denn wen der Herr liebt, den züchtigt er; er schlägt mit der Rute jeden Sohn, den er gern hat. Haltet aus, wenn ihr gezüchtigt werdet. Gott behandelt euch wie Söhne. Denn wo ist ein Sohn, den sein Vater nicht züchtigt? Würdet ihr nicht gezüchtigt, wie es doch bisher allen ergangen ist, dann wäret ihr nicht wirklich seine Kinder, ihr wäret nicht seine Söhne.“

– Hebr 12,6 ff. EU

Das BGB sah das genauso.

Da wurde gern der Rohrstock, der Kleiderbügel oder der Ledergürtel zu „Erziehungszwecken“ eingesetzt. „Pass auf, wenn der Papa nach Hause kommt, gibt es Senge“, hab ich selbst auch noch gehört. Allerdings gab es die dann doch nicht, weil mein Vater sich bei seinem einzigen Versuch, mir eine zu langen, und ich schnell unter den Tisch sprang, einen Hexenschuss zuzog und meine Mutter den Arzt rufen musste.

Lehrer Haumichblau

Dafür gab es Schläge in der Schule. Ein Lehrer genannter Sadist, der in der Hauptschule das merkwürdige Fach Schönschreiben unterrichtete, war auf Kopfnüsse spezialisiert. Er schlich durch die Reihen und schlug einem äußerst schmerzhaft mit dem Knöchel seines Mittelfingers auf den Kopf, sodass man noch am nächsten Tag die Stelle spürte. Ich habe mir auch später noch gewünscht, dass dieser Mann in der Hölle schmort und bis in alle Ewigkeit von einem fiesen Teufel Kopfnüsse bekommt.

Das Recht auf gewaltfreie Erziehung wurde erst mit dem Gesetz zur Ächtung der Gewalt in der Erziehung und zur Änderung des Kindesunterhaltsrechts durch die neue Fassung des § 1631 BGB im November 2000 geändert. Der entscheidende Absatz 2 des § 1631 BGB lautet seitdem:

Kinder haben ein Recht auf gewaltfreie Erziehung. Körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen sind unzulässig.

Seit dem Zweiten Weltkrieg haben sich Gesundheit und Wohlstand weltweit dramatisch verbessert. In China beispielsweise ist die Lebenserwartung innerhalb eines halben Jahrhunderts von 50 auf 73 Jahre gestiegen, in Indien auf 64. Okay, das mag manchem hier völlig egal sein. Aber auch in Deutschland ist die Entwicklung stetig nach oben gegangen:

Der langfristige Trend der steigenden Lebenserwartung in Deutschland kann rückblickend seit der Veröffentlichung der ersten allgemeinen Sterbetafel von 1871/1881 für das damalige Reichsgebiet beobachtet werden. Damals betrug die durchschnittliche Lebenserwartung bei Geburt für Männer 35,6 Jahre und für Frauen 38,5 Jahre. Nach den Ergebnissen der aktuellen Sterbetafel 2019/2021 liegen diese Werte bei 78,5 Jahren (Männer) beziehungsweise 83,4 Jahren (Frauen). https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Bevoelkerung/Sterbefaelle-Lebenserwartung/_inhalt.html

In Armut leben auch heute noch rund 800 Millionen Menschen weltweit. Diese Zahl ist furchtbar, aber sie ist verglichen mit 1980 ordentlich gefallen, denn damals lag sie bei 1,5 Milliarden, und es gab 2 Milliarden Menschen weniger.

Es ist ja gar keine Frage, dass die Gegenwart angesichts von Kriegen, Terror, Klimaerwärmung und vielen anderen Problemen schöner sein könnte. Und es gibt jeden Grund, diese Probleme beherzt anzugehen. Es gab aber eben in den vergangenen Jahrzehnten ganz erhebliche Fortschritte auf nahezu allen Gebieten. Die Gegenwart mag also immer noch schlecht sein, aber sie ist sicherlich nicht schlechter als die Vergangenheit. Verschonen Sie mich also bitte künftig mit der Behauptung, früher sei alles besser gewesen.

Chat GPT ist allerdings auch nicht ganz so doof, wie der erste Teil der Antwort vermuten lässt. Denn es geht weiter mit:

Andererseits gibt es auch Gründe, warum die Gegenwart besser ist als die Vergangenheit. Zum Beispiel gibt es heutzutage mehr Freiheiten und Rechte für verschiedene Gruppen von Menschen, wie Frauen, ethnische Minderheiten und LGBTQ+ Menschen. Es gibt auch mehr wissenschaftliche und technologische Fortschritte, die das Leben erleichtern und verbessern.

Es gibt auch Gründe, warum die Zukunft besser sein kann als die Vergangenheit oder Gegenwart. Zum Beispiel die wissenschaftliche und technologische Entwicklung wird weiter voranschreiten und das Leben der Menschen verbessern. Es werden auch Fortschritte in Bereichen wie Gesundheit, Bildung und Wirtschaft gemacht werden.

Insgesamt gibt es sowohl gute als auch schlechte Aspekte in jeder Zeit, und es ist schwierig zu sagen, ob die Vergangenheit, Gegenwart oder Zukunft „besser“ ist.

Na ja, lassen wir das mal so stehen.

Heinrich Schmitz

Heinrich Schmitz ist Rechtsanwalt, Strafverteidiger und Blogger. In seiner Kolumne "Recht klar" erklärt er rechtlich interessante Sachverhalte allgemeinverständlich und unterhaltsam. Außerdem kommentiert er Bücher, TV-Sendungen und alles was ihn interessiert- und das ist so einiges. Nach einer mit seinen Freital/Heidenau-Kolumnen zusammenhängenden Swatting-Attacke gegen ihn und seine Familie hat er im August 2015 eine Kapitulationserklärung abgegeben, die auf bundesweites Medienecho stieß. Seit dem schreibt er keine explizit politische Kolumnen gegen Rechtsextreme mehr. Sein Hauptthema ist das Grundgesetz, die Menschenrechte und deren Gefährdung aus verschiedenen Richtungen.

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