Erzengel mit Lederjacke
Stefan Waggershausens Comeback zum 70. Geburtstag
„They never come back!“ lautet ene geflügelte Weisheit des Boxsports. Im mindestens ebenso harten Musikgeschäft ist es ähnlich. Nicht vielen gelingt ein überzeugendes Comeback, das jenseits überflüssiger Zweitaufgüsse mit künstlerisch ansprechender Qualität aufwartet. Der alte Showbizhase Stefan Waggershausen bildet eine Ausnahme. Etliche Jahre nach dem letzten Studioalbum schenkt er sich und dem Publikum zum zeitgleichen 70. Geburtstag das bewusst anachronistische „Aus der Zeit gefallen“.
Letzteres passt recht gut als Leitfaden seiner Karriere. „Hallo Engel“ war vor knapp 40 Jahren der erste Solohit des Mannes vom Bodensee, der als Songwriter und Produzent auch für andere Künstler (u.A. Wolfgang Petry“) arbeitete. Unverwechselbares Merkmal ist seine charismatische, leicht heisere Stimme, die immer ein wenig klingt, als läge ihm ein Tonnengewicht auf den Rippen. Gesang und Texte erzählen Stories von Erotik, Underdogs, Unbeugsamkeit und Freiheit. Dabei bleibt Waggershausen stets individuell und vermeidet – im Gegensatz zu vielen Kollegen – trotz typischer Attribute jegliches Klischee einer Lied gewordenen Marlboro-Werbung. Stücke wie „Touché d’amour“, „Ich hab ’ne Überdosis von Dir in mir“ (beide von 1985) oder das 1990er Duett mit Viktor Lazlo „Beim ersten Mal tat’s noch weh“ funktionieren auch Jahrzehnte später als Wegweiser an der Schnittstelle von Rock und sexy Schmachtfetzen.
Und dann gibt es noch dieses eine Lied, jenen einen Evergreen von 1984, der den Unterschied markiert zwischen ziemlich guten Tracks und unsterblichen Songs. „Ich bin dein dunkler Cherubim“. Nein, bist du nicht! Cherubim ist Plural. Doch das ist der einzige kleine Fehltritt, den sich die Überballade „Zu nah am Feuer“ gönnt. Sinistre, erotische Spannung und die umwerfende Ausstrahlung der „Sphinx im schwarzen Kleid“ Alice kreieren eine finster-romantische Flamme, deren laszives Heldenpaar sich konstant am Abgrund bewegt. Es ist eines der sexuell aufgeladensten deutschsprachigen Lieder überhaupt.
Nun kommt die neue Platte und bringt einmal mehr auf den Punkt, warum der versierte Waggershausen schon vor langer Zeit anspruchsvolle Ikonen wie Willy DeVille zur Zusammenarbeit bewegen konnte. „Der Lack ist ab, die Schlacht verloren“ heißt es im erdig-melancholischen Opener „Die Drinks sind getrunken“. Das Lied glänzt entgegen seiner Zeilen auf ganzer Linie. Es wurzelt weit näher an Gothic Americana der Marke 16 Horsepower/Wovenhand als im Topf deutschrockender Zopfigkeit, in den man ihn medial zu oft unverdient warf. Kein Wunder, dass ausgerechnet „Hank Williams“ als Gallionsfigur und Leitbild auftaucht. Leider ist ausgerechnet dieses Lied die einzge Schwachstelle im ansonsten gelungenen Blues-, Rock- und Country-Mix. Warum Waggershausen gerade diesem so tragischen Helden ein biederes Scheunenball-Arrangement verpasst, irritiert.
Drumherum bastelt er jedoch viele Highlights, so saftig wie die Kakteen in Louisiana, Texas und Mexico. Zur Krönung schüttelt er mit „Belladonna“ eine weitere Killerballade aus dem Lederjackenärmel. Ein leichter Hauch Orient, eine Prise indischer Sitarmagie und die nächtliche Färbung seiner Stimme erschaffen ein märchenhaftes Kleinod für Verliebte. „Belladonna und der Prinz tanzen verloren für sich.“ Wer herausfinden möchte, ob sie am Ende zueinander finden, greife getrost zu diesem zwölf Lieder umfassenden Spätwerk.
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